Kapitalismus im Turbogang

Money makes the world go round. All die marxistisch-leninistisch-wagenknechtischen Jüngerinnen und Jünger sehen im Kapitalismus die Wurzel allen gesellschaftlichen Übels. Und es stimmt, die Thesen von Marx und Engels haben zu ein bis zwei Weltkriegen geführt und zu einer anschließenden Spaltung der Welt in West und Ost. Und obwohl sich der Kapitalismus am Ende scheinbar durchgesetzt hat, ist linkes Gedankengut bis heute in Diskurs und Gesellschaft verwurzelt.

Zuverlässiger Fahrradkurier: John (Philip Froissant) // © Paramount+/W&B Television/Gordon Muehle

Das ist, ob vieler Auswüchse des Kapitalismus, nachvollziehbar: zunehmend ungleiche Einkommen und Vermögen, Wohnungsnot, Kinder- und Altersarmut, Krisen und Turbulenzen an Finanzmärkten oder Raubbau an der Natur sind nur einige Beispiele (für die der Sozialismus allerdings auch nur bedingt tragfähige Lösungen gefunden hat, aber das mal nur am Rande).

Über Nacht zum Billionär

Was aber passiert, wenn ein Mensch über Nacht zu einem solchen Vermögen kommt, dass er oder sie damit die Welt und unser gesamtes System verändern kann – sogar verändern soll. So geht es John Fontanelli (Philip Froissant, Die Kaiserin, Am Ende – Die Macht der Kränkung), der noch unter seinem Geburtsnamen Pohlmann als Fahrradkurier in prekärer Beschäftigung in Berlin arbeitet und mit Mitte 20 sein Leben genießt. Über Nacht wird er zum Erben des größten Vermögens der Welt: Eine Billion Dollar – wie auch die sechsteilige Serie auf Basis des bereits vor mehr als 20 Jahren erschienenen Erfolgsromans von Andreas Eschbach heißt.

Aufrichtiger Handschlag zwischen Cristoforo Vacchi (Orso Maria Guerrini) und John (Philip Froissant)? // © Paramount+/W&B Television/Gordon Muehle

Das Geld wurde von einem seiner Vorfahren angelegt und es demjenigen seiner Nachkommen zu vermachen, der exakt 500 Jahre später dessen jüngster nach damaligen Recht volljähriger Nachkomme sei. Auflage: Er solle das Geld, das sich durch kluge Investitionen in einem halben Jahrtausend auf heute eine Billion Dollar vermehrt hat, nutzen, um die Welt zu retten, denn die Prophezeiung sah voraus, dass die Welt in Schwierigkeiten stecken würde (ein wenig also wie OpenAI, das sich ja auch dem Wohl der gesamten Menschheit verpflichtet sieht).

Leben in Gefahr

Nach einem kurzen Leben im Luxus kommt jedoch der brutale Alltag: Neider wie Luc Fontanelli (Carl Malapa) versuchen John das Vermögen streitig zu machen und trachten nach seinem Leben. Globale Akteure und ein versnobter Zirkel aus elitären Wirtschaftsbossen sieht John als eine Gefahr für das System, das sie reich gemacht hat.

Paaaarrrrteeeeyyy!!! // © Paramount+/W&B Television/Gordon Muehle

Und dann ist da ja auch noch die Aufgabe, die Welt zu retten. Wo soll John hier beginnen? Bei Umwelt- und Klimaschutz? Bei sozialen Spannungen? Bei den Schäden und Konfliktlinien, die der Kolonialismus gerissen hat? Und wenn dann schließlich ein Ziel identifiziert ist: Wie soll das Ganze bewerkstelligt werden?

Hebelwirkung und Fadenkreuz

John beschließt, sich auf die Expertise der bisherigen Vermögensverwalter zu verlassen, vor allem der charmanten Franca Vacchi (Alessandra Mastronardi), deren Familie nicht erst seit der Generation ihres Großvaters und dessen Schwester Elena (Greta Scacchi) das spätere Vermögen Johns verwaltete und mehrte. Er gründet auf ihren Rat hin eine Art Hedgefonds, die sich mit strategischen Minderheitsbeteiligungen an globalen Konzernen Einfluss und Präsenz erkaufen will.

© Paramount+/W&B Television/Gordon Muehle

Das wiederum schmeckt nicht jedem – siehe oben. Es entspinnt sich eine zunehmend verworrene Jagd auf John, der in all dem Chaos mit dem populistischen US-Präsidenten diniert und im nächsten Moment mit einer nordischen Version von Elon Musk am Strand eine Schlägerei vom Zaun bricht und sich im Fadenkreuz der globalen Öffentlichkeit befindet.

Aus dem Alltag gegriffen

Die Grundprämisse, mit der wir bei dieser Miniserie von Paramount+ konfrontiert sind, ist eigentlich nicht sehr außergewöhnlich. Im Gegenteil, die Story vom Tellerwäscher zum Millionär wurde viele Male in Literatur, Film und anderen Medien aufgegriffen. Und doch fühlt es sich so an, als wäre Eine Billion Dollar direkt aus unserem Alltag gegriffen. Ohne Andreas Eschbachs Romanvorlage zu kennen, trifft die Figur des Waisenjungen, der sich als Fahrradkurier verdingt, viele Töne unserer aktuellen Debatte.

Und nun?! // © Paramount+/W&B Television/Gordon Muehle

Das liegt einerseits an der schnoddrigen und dennoch zukunftsorientierten Art von John, der das Lebensgefühl einer ganzen Generation wiedergibt. Natürlich denkt er erst einmal an einen Ferrari, versorgt seine Freunde mit Jobs (kommt uns bekannt vor) und lebt eine Weile unbedarft in Saus und Braus. Doch die moderne Welt funktioniert anders.

John Inc.

Soziale Medien und was wir in und mit ihnen machen, beeinflussen unser Leben ganz maßgeblich. Im Turbogang des Kapitalismus wird John zur Marke und welche Konsequenzen das haben kann, sehen wir in dieser Miniserie ganz vortrefflich illustriert. Die Macherinnen und Macher um Florian Baxmeyer und Isabel Braak (Regie), Stefan Holtz und Florian Iwersen (Drehbuch) sowie Quirin Berg, Max Wiedemann und Kerstin Nommsen (Produktion) haben diese Themen in eine ansprechende Miniserie gepackt.

Schauwerte, die Logikfehler ausgleichen: John und Leibwächter Marco Benetti (Erdal Yıldız) // © Paramount+/W&B Television/Gordon Muehle

Wie bereits angedeutet, die bei Lübbe erschienene und nun neu aufgelegte Romanvorlage von Andreas Eschbach haben wir bislang nicht gelesen (aber weltweit doch eine Menge Menschen; zwar keine Billion aber eine Gesamtauflage von über einer vergleichsweise lächerlichen Million weltweit, u. a. in den USA, Großbritannien, Frankreich, Türkei, Russland, Südkorea und den Niederlanden, spricht für sich), aber es ist schon erstaunlich, wie viele wiederkehrende Motive es in seinen Romanen gibt. Ein Leben im Luxus, globaler und individueller Reichtum, Rolex-Uhren, die als Zahlungsmittel verwendet werden, oder das Interesse an globalpolitischen Fragen sind Motive, die bei ihm immer wiederkehren – egal, ob es sich um weihnachtliche Kurzgeschichten oder ganze Bücher handelt.

Fehler in der Gleichung

Leider ist diese Romanverfilmung jedoch auch vor einigen Logikfehlern nicht gefeit. So ist beispielsweise die Gründung eines Hedgefonds mit angestrebten Minderheitsbeteiligungen bestimmt ein sinnvoller Weg, die Prophezeiung zu erfüllen. Ob es aber der klügste ist, sei dahingestellt. Tendenziell gibt es sinnvollere Wege wie Stiftungslösungen oder andere Steuerschlupflöcher, die vielleicht aufblitzen, aber nicht weiterverfolgt werden.

Malcolm Mc Caine (Oliver Masucci) // © Paramount+/W&B Television/Gordon Muehle

Ein zweiter wesentlicher Fehler (Achtung: Spoiler!) betrifft die Kalkulation der Antagonist*innen (u. a. gespielt von Oliver Masucci), die am Ende auf einen Zusammenbruch des Systems setzen. Ein so komplexes System wie den globalen Finanzkapitalismus niederzureißen, ist aus deren Sicht vielleicht ein hehres Ziel, aber kann so kontrolliert nicht bewerkstelligt werden. Auch unter dem Eindruck des jüngsten Prequels von Die Tribute von Panem bleibt festzustellen, dass Disruption immer zu Problemen führen kann, die nicht vorherzusehen waren. Was als „kontrolliertes Einreißen“ geplant war, kann schnell in einem außer Rand und Band geratenen Chaos bis hin zum Bürgerkrieg werden. Die Erlebnisse von 1923 sind – wenn auch 100 Jahre – dennoch noch nicht ganz so lange her. Hier ist die Weitsicht mancher Akteure arg getrübt – mag das vielleicht an Alterskurzsichtigkeit liegen?

Nerven und Grenzen

Das lässt trotz aller Unterhaltung ein etwas schales Gefühl zurück. Ja, die Macherinnen und Macher von Eine Billion Dollar treffen mit ihrer Serie den Nerv einer Generation, spielen mit einer Utopie und zeigen uns gleichzeitig deren Grenzen auf. Es geht mit hoher Geschwindigkeit und Spannungsdichte durch Berlin und um die halbe Welt, was ein gewisses Jet-Set-Gefühl bedienen mag.

Überall lauern Gefahren // © Paramount+/W&B Television/ Xiomara Bender

Gleichzeitig gibt es manche Inkonsistenzen, die möglicherweise der Romanvorlage von Andreas Eschbach entstammen können, aber nicht müssen. Nicht alles ist hier klar und perfekt, aber das ist die Welt ja selten. Für gute Unterhaltung sorgt die sechsteilige Miniserie, deren Ende eine Fortsetzung zuließe, dennoch.

HMS

Eine Billion Dollar ist seit dem 23. November 2023 auf Paramount+ verfügbar.

Eine Billion Dollar; Deutschland 2023; Regie: Florian Baxmeyer, Isabel Braak; Drehbuch: Stefan Holtz, Florian Iwersen, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Andreas Eschbach; Bildgestaltung: Marcus Kanter, Yoshi Heimrath, Maximilian Hoever; Musik: Martina Eisenreich, Michael Kadelbach; Darsteller*innen: Philip Froissant, Alessandra Mastronardi, Oliver Masucci, Greta Scacchi, Nicolò Pasetti, Peter Sepenuk, Stefano Cassetti, Mariam Hage, Louis Nitsche, Philipp Karner, Peter Becker, Orso Maria Guerrini, Carsten Bjørnlund, Erdal Yıldız, Dana Herfurth, Nyamandi Adrian, Carl Malapa, u. v. m.; sechs Episoden à ca. 50 Minuten; seit 23.11. im Stream bei Paramount+

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert