Geschichten, wie sie nur die Mode erzählen kann

Beitragsbild, v. l. n. r.: Tony Curtis und Janet Leigh, die „ein schwarzes, mit Diamentclips geschmücktes Neckholder-Kleid vor[führte], dessen Stil sich als zeitlos erweisen sollte“ auf der 25. Oscar-Verleihung 1953, der ersten, die auch im Fernsehen übertragen wurde, Foto: © abcdvdvideo.com; das Buchcover von Oscars – Glamour auf dem roten Teppich. Eine Fashiongeschichte der Academy Awards; Ann-Margret in einer „türkisfarbenen, pelzbesetzten Samtkombination [von Helen Rose] aus Jacke, Kleid und Hose [die] den später aufkommenden Hippielook vorwegzunehmen schien“, 1965, Foto: © abcdvdvideo.com

„Derzeit geschieht in der Politik viel, zu dem man Stellung nehmen muss“, sagt die Schauspielerin Scarlett Johansson in einem Beitrag des Wall Street Journal vom 24. Februar 2017 anlässlich der bevorstehenden 89. Oscarverleihung. Im Jahr darauf sollten #MeToo und Time’s Up die Oscars prägen. Wiederum drei Jahre zuvor, 2015, also noch bevor Donald Trump US-Präsident geworden war, war mit #OscarsSoWhite „die mangelnde Diversität der Nominierten“ beklagt worden. Im selben Jahr wurden mit #AskHerMore „mehr substanzielle Fragen in den Interviews“ gefordert. Was wiederum die Presse nervös werden ließ, die am Roten Teppich des Filmpreises kaum mehr Fragen zu Fashion zu stellen können glaubte.

Revolution und Kommerz

Sicherlich dürfte auch manch Fotograf*in nicht sonderlich froh darüber gewesen sein. Ebensowenig diverse Designer*innen und Modelabels, für die das Defilee in ihren oft aufwendigen, nicht selten einzigartigen Haute-Couture-Roben aber ebenso gern aufgemischten Prêt-à-Porter-Ensembles die eigentliche Show bedeutete. Etwas, das sich bereits bei der 81. Oscarverleihung im Jahr 2009, mitten in der weltweiten Finanzkrise, deutlich abzeichnete. Nachdem im Vorjahr die Einschaltquoten der Verleihung nicht ansatzweise die Erwartungen erfüllten, entschieden die Produzenten des ganzen Events zweierlei: Zum einen würden fünfmal so viele ehemalige Oscar-Gewinner*innen eingeladen werden. Zum anderen wurde mit ihnen vereinbart, „den Roten Teppich diesmal zu meiden und den Festsaal durch einen Nebeneingang zu betreten.“

Zum Thema Nebeneingang: Die auf der 12. Oscar-Verleihung 1940 als Beste Nebendarstellerin ausgezeichnete Hattie McDaniel musste das „nur Weißen“ vorbehaltene Ambassador Hotel durch einen solchen betreten. „Sie hatte sich Gardenien, ein Symbol der Reinheit, ins Haar und an den Kragen ihrer türkisfarbenen, perlenbestickten Jacke gesteckt […] Hollywood-Kolumnistin Louella Parsons schrieb über McDaniel […] ihre Aufmachung sei ‚einer Königin würdig‘ gewesen“, weiß Dijanna Mulhearn zu berichten // Foto: © abcdvdvideo.com

Dadurch sollten die TV-Zuschauer*innen dazu gedrängt werden, auch die Zeremonie und nicht nur das Einlaufen der Stars anzuschauen, wollten sie Blicke auf deren Outfits werfen. Fotograf*innen befürchteten Einnahmeeinbußen, für die TV-Sender verlor die Berichterstattung an Reiz und auch „die Modedesigner waren verärgert, da sie viel in die Outfits investiert hatten und nun mit eingeschränkter Medienpräsenz rechnen mussten.“ 

Joanne Woodward „nähte ihr Kleid zu Hause auf der eigenen Nähmaschine.“ Eine beeindruckende trägerlose Robe in smaragdgrünem Ton, bedruckt mit Blumenmotiven. Eine garstige Bemerkung Joan Crawfords soll Woodward bei der Entgegennahme ihres Oscars als Beste Hauptdarstellerin auf der 30. Oscar-Verleihung 1958 angeblich zum Weinen gebracht haben // Foto: © abcdvdvideo.com

An diesen verknüpften Beispielen der angesichts von 95 Jahren Oscargeschichte jüngeren Zeit lässt sich leicht erkennen, dass bei den als größten Filmpreis der Welt geltenden Academy Awards Stil und Feierlichkeit, Kommerz und Klasse, Politik und Individualismus nahe beinander liegen. Dies nicht erst seit dem Vormarsch der Sozialen Netzwerke und Hashtags ab etwa 2012, im Grunde von Beginn im Jahre 1929 an. So elegant und vielfältig wie die meisten Looks der (vornehmlich weiblichen) Stars zeichnet Dijanna Mulhearn ein sehr genaues Portrait der erwähnten Verknüpfungen — und bereichert uns mit einer schier unfassbaren Tiefe an Kenntnis über diverse Designs, Macher*innen und Hintergründe der Oscar-Modegeschichte.

Krise und Party

So darf der Titel Oscars – Glamour auf dem roten Teppich. Eine Fashiongeschichte der Academy Awards des vorliegenden, mit knapp 2,8 Kilogramm durchaus schwergewichtigen und knapp 500 Seiten inhaltsstarken Text-Bildbandes, der Ende Februar im Prestel Verlag erschienen ist, nicht als Größenwahn sondern als verlässliche Programmansage verstanden werden. In einem persönlichen Vorwort gibt die Stilikone und zweifache Oscar-Gewinnerin (für Aviator und Blue Jasmine, in diesem Jahr nominiert als Beste Hauptdarstellerin in Tár) Cate Blanchett, nebenher eine enge Freundin Mulhearns, an, dass sie mittlerweile die kindliche Freude am Verkleiden schon als frühen Versuch sich auszudrücken erkenne. 

Ebenso verweist sie, ganz im Sinne der Buchautorin, auf die Inspiration und die Geschichten, die die Roben erzählten und ebenso darauf, wie lang der Weg war „den Frauen (und Männer — danke, Billy Porter!) zurücklegen mussten“, um auf den Roten Teppich zu gelangen und hier als Individuum gemeinsam mit ihrem Outfit sowie in den letzten paar Dekaden nicht selten Stylist*innen und einem Label ihre Geschichte zu erzählen. So verbindet der mit 820 (!) Fotografien reicht bebilderte Band Mode- und Kulturgeschichte mit der der USA (und manches Mal Welt) sowie biografischen Schlaglichtern einzelner Darsteller*innen. 

Elizabeth Taylor, in einer an ihr Kleid aus Die Katze auf dem heißen Blechdach erinnernden Robe, und ihr damaliger Ehemann Eddie Fisher auf der 32. Oscar-Verleihung 1960 // Foto: © Alamy

Es geht also nie nur um den Look, den schönen Schein, sondern in beinahe jedem Jahr — der Band arbeitet sich chronologisch von der ersten Oscarverleihung 1929 zur 94. im vergangenen Jahr 2022 vor — auch darum, was gerade in der Studio- und Filmwelt geschah, wie es um den Zeitgeist stand, auch um die Bedeutung semiotisch-kultureller Zuweisungen und darum, welche Krise (bspw. die Weltwirtschaftskrise) oder Dynamik (bspw. die Hochzeit von Prince Charles und Lady Diana Spencer) gerade ihren Einfluss auf die Glamourwelt Hollywoods ausübte. So etwa bei jener im Jahr 1960 — mittlerweile wurde das Spektakel seit sieben Jahren im TV übertragen, was im Jahr 1989 zu einer Quote von über einer Milliarde Zuschauer*innen weltweit führte —, für die laut Dijanna Mulhearn das Motto „[f]ür eine Generation jüngerer Schauspielerinnen […] ‚simmer or shimmer‘“ zu lauten schien. 

Persönlichkeit und Image

In jenem Jahr nämlich wurde nicht nur das Rennen um die Filmtrophäe mit großem Interesse begleitet, sondern auch das Weltraumrennen zwischen den USA und der UdSSR. Dies „führte zu einer Welle von Kleidern, die aussahen wie aus Quecksilber gegossen.“ Besonders stachen hier Doris Day und Janet Leigh hervor. Letztere in einem Kleid der Kostümbildnerin Edith Head, die über 450 Filme ausstatte, 35 Mal für den Oscar nominiert war und ihn achtmal einheimste und wohl zurecht nach wie vor als eine der einflussreichsten Kostümbildnerinnen der Filmgeschichte gilt. Im Lauf der 1960er-Jahre verantwortete Head es als Modeinspektorin auch, dass die (ungeschriebenen) Stilregeln der Zeremonie eingehalten wurden. Vor allem als ab 1966 die TV-Übertragung in Farbe möglich wurde, war dies geboten.

Marla English in einem Modell von Edith Head, Edith Head in einem Modell von Edith Head und Gene Tierney, 26. Oscar-Verleihung 1954 // Foto: © abcdvdvideo.com

Dass das natürlich nicht immer klappen würde, war beinahe klar. So fiel manch ein Kleid kürzer, durchsichtiger, tiefer oder bunter aus, als die Veranstalter*innen sich dies wünschten. Manches mal diente dies dazu, der eigenen Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen, ein Statement zu setzen oder dafür zu sorgen, durch einen kalkulierten Eklat im Gespräch zu bleiben. Ab und an fanden sich alle drei Anliegen vereint. 

„Mehr als eine Milliarde Zuschauer erlebten weltweit die bislang wohl bunteste Mischung von Modestilen. Das beliebteste Accessoire der Stars war diesmal die verliebte Begleitung an ihrer Seite“, weiß Dijanna Mulhearn über die 61. Oscar-Verleihung 1989 zu berichten. Auf dem Foto sehen wir Newcomerin Drew Barrymore in Betsy Johnson und Corey Feldman // Foto: Courtesy of Alan Light

Spannend an der nun schon bald einhundertjährigen Geschichte der Oscars ist, dass es für viele Schauspielerinnen häufig nicht nur um die eigene Person versus dem öffentlichen Image, das gerade in den Anfangsjahren oft durch Studiovorgaben geformt wurde, ging, sondern auch immer schon um Feminismus, den Kampf der Anerkennung der gleichwertigen Leistung und Würde von Frauen. 

Kampf und Wertschätzung

So lesen wir auf Seite 128 zur 35. Oscar-Verleihung im Jahr 1963 etwa über Joan Crawford und Bette Davis, deren legendäre Fehde gar eine Ryan Murphy-Serie hervorbrachte: „Die Rivalität zwischen Davis und Crawford war bekannt. Crawford kooperierte mit dem Studiosystem und tat alles, um dem ihr auferlegten Image treu zu bleiben, während Davis für mehr Realismus im Film kämpfte und sich auch entsprechend kleidete. Kleidung war für sie stets ein Medium, um Meinung auszudrücken.“ (Apropos Ryan Murphy: Wir begegnen im Buch sehr oft Halston; so wird auch noch einmal manifest, welchen Stellenwert der Designer als Kreativer und als Mensch in den USA genoss.)

Olivia de Havilland in einem Modell der Schwarzen Modeschöpferin Ann Lowe für Sonia Gowns Inc. mit Marcus Goodrich auf der 19. Oscar-Verleihung 1947, nachdem sie einen Prozess gegen Warner Brothers gewonnen und so einen Präzedenzfall geschaffen hatte // Foto: © abcdvdvideo.com

In diesen Sätzen finden wir also die Elemente Persönlichkeit, Image, Wahrnehmung und Feminismus — alles ebenfalls ausgedrückt durch den Auftritt auf dem Roten Teppich (beziehungsweise zuvor schlicht vor den Event-Locations und in den Entrées). So mutet es ein wenig komisch an, wenn Dijanna Mulhearn auf Seite 424 in Bezug auf Time’s Up und Jane Fonda schreibt, sie sei die Mutter aller Hollywoodproteste. In Bezug auf gesamtgesellschaftliche Anliegen mag da etwas dran sein, wenn es aber um Branchenprotest geht, gab es Frauen vor ihr, die die Autorin durchaus benennt.

Ingrid Bergman und Jennifer Jones auf der 17. Oscar-Verleihung 1945, in „einer Zeit, in der dezente Abendkleider als besonders geschmackvoll galten“ und „Hüte und anderer Kopfschmuck zum bevorzugten Accessoire, um Individualität auszudrücken“ wurden // Foto: © abcdvdvideo.com

Etwa Olivia de Havilland, die gegen die Knebelverträge ihres Studios (Warner Brothers) klagte und sich gegen viele Stimmen behauptete, eben Bette Davis, die in ihren Outfits klarmachte, sich nicht gängeln zu lassen, Elizabeth Taylor, die immer wieder gegen Klischee- und Rollenbilder anzugehen hatte, Ingrid Bergman, die ihrer starken Persönlichkeit auch in ihrem Auftreten Ausdruck verlieh (Designer Howard Greer urteilte 1945 „ihre Vorstellung von Mode sei eine ‚aufgehübschte Bauerntracht‘“)  und natürlich Jane Fonda, die Stardom und Message verband oder auch eine Diane Keaton, die ohnehin immer ihr eigenes Ding machte. 

Tradition und Individualismus

Dabei zieht sich durch die Stilgeschichte der Oscars etwas, das sich seit Jahrzehnten auch durch den Alltag der Menschen und insbesondere in der letzten Dekade durch unser aller Leben zieht: ein Generationenkonflikt. Es gab jene, die traditionell gesinnt waren, eine bestimmte Art von Optik und Auftritt, einen gewissen Dresscode, bewahren wollten und solche, die für Wandel, Verjüngung in mehrerlei Hinsicht und Öffnung standen. Kaum ein Wunder, dass unter anderem das Jahr 1967 hier einen Wendepunkt markierte: „Auf der Grundlage von Musik, Kunst und Mode entstanden zahllose Subkulturen, und die Vielfalt der Stile, die schnell auch wieder wechselten, hielt Head und ihr Team auf Trab.“ 

Sonny Bono und Cher in einem transparenten Zweiteiler mit üppigen Paillettenstickereien von Bob Mackie (über den viel Spannendes im Band steht) im Jahre 1973 auf der 45. Oscar-Verleihung // Foto: © Ron Galella/Getty Images

Dies sollte sich den in den Folgejahren fortsetzen und in den 1970er-Jahren wurden aktivistisch zu lesende Outfits vermehrt getragen. Heute würde man den gutmeinenden Träger*innen allerdings nicht mehr die Veränderung der Gesellschaft, sondern wohl kulturelle Aneignung unterstellen. Die Konflikte zwischen den Generationen gab es allerdings schon in den Jahrzehnten zuvor. Natürlich wollten etablierte Darstellerinnen das Feld des Blitzlichts und der Aufmerksamkeit nicht einfach so den jungen, nach oben strebenden Sternchen überlassen. Einen für den Band feinen Abschluss der Themenkomplexe Generationen und Individualismus finden wir (neben einem einnehmenden Foto Timothée Chalamets) schließlich im Jahr 2022: „Die Hollywood-Jungstars rissen die Führungsrolle auf dem Roten Teppich mit einer unglaublichen Verve an sich. […] Das Zeitalter des Individualismus hat dort eine neue Phase der Mode eingeläutet.“

Stoffe und Stoffgeschichte(n)

Eine besondere Freude an Oscars – Glamour auf dem roten Teppich ist, wie raffiniert Dijanna Mulhearn es versteht, all diese Anliegen, Fehden, diversen Klatsch und Tratsch und Versäumnisse der Oscar-Akademie mit Details zu Mode, Stoffen und Kleidungsgeschichte(n) zusammenzuführen. Hier fehlt es natürlich in vierundneunzig Jahren an nichts: Vintage-Mode und Haute-Hippie-Look, Lamé und Crêpe, Rüschen und Fransen, Pailletten und Strass, Blüten und Perlenstickereien, Trägerkleider oder trägerlose Kleider (die „dank findiger Schneiderkunst über die Schwerkraft“ siegten), Sanduhrsilhouette oder lässig geschnitten und rückenfrei, seriös gedeckte Töne und zuckersüße Bonbonfarben, Satin und Seidenchiffon, Volants und Spitze, Samtjacken und Paisley-Hemden, Seiden-Moiré und Organza, cognacfarbener Samt und silbern besticktes Chiffon — you name it, it might be in here. (Es empfiehlt sich überdies im Rahmen des Genusses des Bandes auch Joëlle Murrays im Reclam Verlag erschienenes Wörterbuch der Mode zur Hand zu haben.)

Joan Fontaine, die ein Jahr jüngere Schwester Olivia de Havillands, und Conrad Nagel auf der 11. Oscar-Verleihung 1939 // Foto: © abcdvdvideo.com

Dabei fällt der aufwendigste und zeitintensivste Look nicht unbedingt als der beste eines Jahres aus. Ebenso verdeutlicht dieser glamouröse Band, wie sehr die Kombination Träger*in und Outfit passen muss. Etwas, wofür wohl nicht immer alle Beteiligten einen Blick hatten und haben. Für uns ist dies mit fortschreitender Jahreszahl besser und besser zu beurteilen, da es natürlich mehr Fotoaufnahmen der späteren Jahre gibt (und hier auch vermehrt die Herren durch Mut zum Look auffallen). 

Deutlich wird das daran, dass die ersten zwanzig Oscar-Jahre gut fünfzig Seiten des Bandes ausmachen, die letzten zwanzig hingegen beinahe zweihundert. Und doch: Trotz weniger verfügbarem Material, sind die Texte Mulhearns auch in den frühen Jahren nicht weniger erkenntnisreich und interessant. Wer einen Blick in den ausführlichen Teil der Anmerkungen wirft, erkennt einen üppigen Quellenreichtum und eine Leidenschaft für Mode und die Wirkung von Kleidung.

Katherine und Jack

Dennoch sind mir an ein, zwei Stellen kleinere Fehler aufgefallen, bei denen es mich wundert, dass diese weder Dr. Cornelia Panzacchi und Alexander Bick, die den Bildband ins Deutsche übertragen haben, noch dem Lektorat aufgefallen sind. So steht im Jahr 1974, dass Katherine Hepburn zum dritten Mal die Trophäe als Beste Hauptdarstellerin entgegennahm. Das war hingegen schon 1968 der Fall und im Jahr 1974 gewann Glenda Jackson den Oscar für ihre Rolle in Mann, bist du Klasse! Dies steht auch am Rand der Textseite, an dem für jedes Jahr die Preise für Darsteller*innen, den Besten Film und das Beste Kostümdesign (bis einschließlich 1967 jeweils für Schwarzweiss- und Farbfilm) gelistet sind, korrekt.

Shirley MacLaine auf der 46. Oscar-Verleihung im Jahr 1974 in „strassbesetztem, schmal geschnittenem Kleid von Edith Head, das MacLaine bereits zur 38. Oscar-Verleihung getragen hatte.“ // Foto; © Ron Galella/Ron Galella Collection via Getty Images

Ähnlich ergeht es Jack Nicholson 1975, der im Text als Preisträger genannt wird — was jedoch erst 1976 für Einer flog über das Kuckucksnest sein sollte (das Bild mit Anjelica Huston in einem Modell von Halston (!) an seiner Seite ist fabelhaft). Ebenfalls 1967 wurde Louise Fletcher für ihre Rolle als Mildred Ratched ausgezeichnet. Zuerst wollte sie sich von ihrer Gage ein Kleid des Bostoner Modeschöpfers Alfred Fiandanca kaufen. Doch eine Freundin meinte, sie solle sich doch erst einmal an den Designer selbst wenden. Dieser „war mit Freuden bereit, ihr das Kleid zu borgen, und verzierte es sogar noch mit handgemachten Kuckucken“. 

Botschaften und Brüskierung

Die Verbindung von Desiger*innen und Modelabels mit den Stars, die sich mittlerweile — auf einem vermeintlichen Höhepunkt der Kommerzialisierung — oft durch Verträge, Werbedeals und ähnlichem, gebündelt, im Begriff „Markenbotschafterin“ zusammengefasst findet, wurde so intensiv, dass beispielsweise Anne Hathaway sich zu entschuldigen hatte, als sie 2013 statt Valentino Prada trug. Untergang! 

86. Oscar-Verleihung, 2014: Lupita Nyong’o „trug ein eisblaues Chiffonkleid, das ihre Stylistin Micaela Erlanger und Prada gemeinsam kreiert hatten. Nyong’o wurde nicht nur zur besten Nebendarstellerin gekürt, sondern auch zur ’schönsten Frau‘ des Abends.“ // Foto: © Christopher Polk/Getty Images

Neben solchen Anekdoten der jüngeren Zeit, die ökonomisch für manche zwar ärgerlich sein dürften, aber doch eher in die Kategorie „Ach, herrjemine“ fallen, freut es vor allem, dass die zunehmende Diversität auf dem Roten Teppich Einzug in den Band gehalten hat und es dennoch nicht versäumt wird, auf das viel zu lange Ignorieren Schwarzer und allgemein nicht-weißer Schauspieler*innen zu verweisen und ebenso zu verdeutlichen, dass die Oscar-Akademie in puncto Repräsentanz noch einen beträchtlichen Weg vor sich hat. 

Zeitlos und Stilvoll

Es trifft zu, was der im Buch gut vertretene Design-Star Giorgio Armani in einem den Band einleitenden Brief schreibt: „Der Glamour des Roten Teppichs zieht das Publikum magisch an und verleitet es nicht nur zum Träumen, sondern regt es auch zum Denken an.“ Genau dem wird Dijanna Mulhearns üppiger, farbenprächtiger, aufwendig gestalteter Band gerecht — er verzaubert, inspiriert, entführt uns in vergangene Zeiten und lässt uns doch niemals wirklich aus der realen Welt treten.

Kurz vor Schluss ein weiter Blick zurück ins Jahr 1937 auf die 9. Oscar-Verleihung im Biltmore-Hotel. Wir sehen rechts im Bild Jean Harlow und Loretta Young. Harlow in einem weißen Pelzmantel, diese galten als besonders exotisch und luxuriös, da sie sowohl Wohlstand verkörperten als auch schwer sauber zu halten waren // Foto: © abcdvdvideo.com

Für jemanden wie mich, der seit jeher Filme so sehr schätzt und liebt wie Mode (mitsamt allem was an Kommunikation und Business dazugehört) und eine Affinität zu schönen, klangvollen Texten hat, ist Oscars – Glamour auf dem roten Teppich. Eine Fashiongeschichte der Academy Awards ein Glanzstück ohnegleichen. Ein, zwei kleine Fauxpas’ sind aufgrund des Aufwands und der ausladenden Gestaltung ähnlich wie im Fashion-Bereich zu verzeihen. Und wenn wir schon von Business reden: Mit 59,00 Euro ist das Preis-Leistungsverhältnis mehr als ausgewogen, ist der prachtvolle Text-Bildband doch so zeitlos und stilvoll wie manch eine in ihm abgebildete Garderobe. 

AS

PS: So viele Filme (erneut) zu schauen! Oh weh! (Ich habe noch immer nicht Joker geschaut, schätze aber Hildur Guðnadóttirs Score sehr…)

PPS: 1950 waren Rock Hudson und Ronald Reagan auf der 22. Oscar-Verleihung; Reagan in Begleitung seiner zukünftigen Ehefrau Nancy Davis (im Jahr zuvor wurde die frisch von Ronald Reagan geschiedene Jane Wyman als Beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet; Scheidungsgrund: politische Differenzen), die keine gute Figur im Umgang mit dem HI-Virus und der AIDS-Krise an den Tag legen sollte. Als Rock Hudson, dessen Homosexualität ein offenes Geheimnis war, am 2. Oktober 1985 starb, war er einer der ersten weltweit bekannten Stars, die AIDS und im weiteren Sinne einer unbeweglichen sowie homo– und menschenfeindlichen Politik zum Opfer fielen. 

Ronald Reagan mit Nancy Davis // Foto: © abcdvdvideo.com

PPPS: Was für ein attraktiver Mann der 22-jährige Tyrone Power im Jahr 1937 doch war! Apropos attraktive Männer (derer es reichlich zu sehen gibt): Zwei Mal sehen wir auch Ryan Philippe abgelichtet, selbstredend an der Seite seiner ungleich erfolgreicheren Ex-Frau Reese Witherspoon. Der gute Mann jedenfalls hat mich in meiner Jugend so manches Mal beschäftigt…

PPPPS: …apropos beschäftigen: Es schien mir nicht sinnstiftend, diese ohnehin sehr ausführliche Besprechung noch durch Name-Dropping anzureichern. Dass wir unzähligen Designer*innen und Schauspieler*innen begegnen, dürfte klar sein. Etwas schade übrigens ist es, dass, nachdem die Stars sich weniger von studioeigenen oder überhaupt Film-Kostümdesigner*innen einkleiden ließen, diese im Text auch kaum mehr stattfinden. Ein, zwei Sätze zu Sandy Powell, Colleen Atwood, Alexandra Byrne, Jenny Beavan oder Milena Canonero wären schon schön gewesen. 

PPPPPS: Durch den Band sind wir nun auf Oscar Dearest: Six Decades of Scandal, Politics and Greed Behind Hollywood’s Academy Awards 1927-1986 von Peter H. Brown und Jim Pinkston aufmerksam geworden, das es jedoch quasi nirgendwo gibt. Falls es jemand entdecken sollte: Wir freuen uns auch über derlei Zuwendungen. 😉

Oscars – Glamour auf dem roten Teppich von Dijanna Mulhearn

Die 95. Oscars werden in der Nacht von Sonntag, 12. März 2023, auf Montag, 13. März 2023, im 2001 eigens für die Oscar-Verleihung erbauten Dolby Theatre in Los Angeles vergeben. Dieses mal wird der Teppich allerdings nicht rot sondern erstmalig champagnerfarben sein.

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Dijanna Mulhearn: Oscars – Glamour auf dem roten Teppich. Eine Fashiongeschichte der Academy Awards; mit einem Vorwort von Cate Blanchett und einer Einführung von Giorgio Armani; übersetzt von Dr. Cornelia Panzacchi und Alexander Bick; Februar 2023; 480 Seiten, 820 Abbildungen; Format: 21,5 x 29,0 cm; Hardcover, gebunden mit Struktureinband und farbigem Vorsatzpapier und Lesebändchen; ISBN: 978-3-7913-8934-9; Prestel Verlag; 59,00 €

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