Ein Junkie der Musik und des Lebens

Mit 75 Jahren hat Iggy Pop zwar den Drogen und dem Alkohol abgesprochen, dafür dem Yoga zugesprochen. Eine Sache, der der gern als „Godfather of Punk“ bezeichnete Sänger aber nie absprechen wird, ist wohl die Musik. Das ist auch auf seinem mittlerweile 19. Studioalbum, gemeinsam produziert mit dem gut vierzig Jahre jüngeren Andrew Watt (der auch mit Elton John an den „Lockdown Sessions“ und Miley Cyrus’ „Plastic Hearts“ arbeitete sowie mit Eddie Vedder an „Earthling“ und nun auch Gitarre und Backgroundgesang beisteuert), namens EVERY LOSER merklich. 

Nachdem Iggy Pop 2019 mit Chansons flirtete, kommt er hier wieder ganz zu seinen Wurzeln, dem Proto-Punk, zurück und eröffnet das Album mit der aggressiv-engagierten Schimpftirade „Frenzy“, die kaum etwas auslässt — „I’m in a frenzy / You fucking prick / I’m in a frenzy / You goddamn dick / I’m in a frenzy / You stoned douchebag / And this hate that I feel is, oh, so real“ —, uns perfekt mitreißt und nicht nur aufgrund einer anderen Textstelle noch lange nicht an einen möglichen Ruhestand des Sängers glauben lässt. 

Country-Anstrich im Punk

Weiter geht’s gemeinsam mit Red Hot Chili Peppers-Schlagzeuger Chad Smith, Josh Klinghoffer und dem Song „Strung Out Johnny“, in dem er singt, Gott hat mich zum Junkie gemacht, aber Satan hat es mir gesagt. Verführung und Konsequenz werden hier kraftvoll und ein wenig fucked up präsentiert: „First time- you do it with a friend / Second time- you do it in a bed / Third time- you can’t get enough / The your life gets all fucked up“

Danny Clinch fotografiert Iggy Pop und Andrew Watt in Doheny Beach, California am 29. September 2022 // © Danny Clinch

Zum ersten Mal aufgefallen ist mir hier wie auch im folgenden, etwas durchwachsenen Song „New Atlantis“, dass die Stimme des Rockers an manchen Momenten stark an Johnny Cash erinnert. Gerade im vorgenannten Song mag das auch am am Country kratzenden Arrangement liegen. Weiter unterstützt wird Pop bei EVERY LOSER unter anderem von Guns N’ Roses-Bassist Duff McKagan, Pearl Jam-Gitarrist Stone Gossard, dem kürzlich verstorbenen Foo Fighters-Schlagzeuger Taylor Hawkins und blink-182-Schlagzeuger Travis Barker. 

Ausreißer und Kracher

Every Loser – Albumcover // Design: Raymond Pettibon

Letztgenannter ist auch an „Neo Punk“ beteiligt, der unverkennbar nach frühen blink-182-Tracks und damit ein ganzes Stück aus der Zeit gefallen klingt. Im Gegensatz zu manchen Evergreens erinnert dies irgendwie eher ungut an die eigene Jugend. Ganz passend auch der Titel „Modern Day Ripoff“, scheint sich Iggy Pop hier doch einfach der The Stooges zu bedienen, ohne viel Eigenes neu dazuzugeben. 

Dass es sich dabei eher um einen Ausreißer handelt, beweist die andante moderato Ballade „Morning Show“, die Iggy Pop mit gefühlvoller Stimme trägt und der Tragik des Textes („The hurt that’s in my face / Didn’t come from outer space / I’m crispy on the outside / And juicy where I cry / We cannot be happy, because I will not be happy“) eine Wärme gibt, die uns durch wunderbare vier Minuten führt. Das augenzwinkernde Intermezzo „The News for Andy“ reißt uns zurück ins Lebendige und erinnert ans Vor-Vorgänger-Album „Post Pop Depression“, um es kurz darauf mit „All The Way Down“, der beinahe wie ein Addendum zu „Frenzy“ scheint, nochmals richtig krachen zu lassen. 

Kein Alterswerk

„Every Loser needs a bit of joy“ singt Iggy im titelgebenden Track „Comments“, der, wenig überraschend, von den sozialen Medien inspiriert wurde. Andrew Watt, der sehr auf Stars fixiert sei — „Es ist wie ein Fetisch bei ihm.“ —, wie Pop gegenüber Apple Music sagt, wollte eigentlich die gesamte Textzeile als Titel nutzen. Offenbar kam es so nicht und irgendwie fühlt es sich auch richtig an. Alles andere hätte beinahe nach einem Gedicht geklungen und selbst wenn Textteile auch in „Comments“ rotzig-poetisch anmuten („Sell your face to Hollywood / They’re payin good, payin good / Sold my face to Hollywood / I’m feeling good, looking good“), ist’s eben doch nicht Walt Whitman

So dürfte Iggy Pop wohl über die Bühne springen, wenn er als Special Guest die Red Hot Chili Peppers auf ihrer internationalen Stadiontournee begleitet – und dabei auch einen Termin in Deutschland (26. Juni, Mannheim, Maimarktgelände) spielt // © Vincent Guignet

Neben eben genanntem Track war Taylor Hawkins noch am wütend-rührenden Album-Closer „Regency“ beteiligt, in dem es um das große Business von Parkplätzen, erneut den Teufel, Upgefuckedheit und der (vermeintlichen) Treue sich selbst gegenüber geht. Ein in mehrerlei Hinsicht würdiger Abschluss eines gut hörbaren und abwechslungsreichen Albums, das so gar nichts von einem Alterswerk hat.

JW

EVERY LOSER ist am 6. Januar 2023 bei Gold Tooth Records/Atlantic Records erschienen. 

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert