Vor drei Tagen hatte für viele das gefühlt unterträglich lange Warten ein Ende: Die zweite Staffel der Netflix-Serie Heartstopper ist seit dem 3. August 2023 bei dem Streamingdienst verfügbar. Und nicht nur das – am 1. Dezember 2023 erscheint pünktlich zum Weihnachtsgeschäft der fünfte Band der von Alice Oseman erdachten Geschichte(n) und Charlie, Nick und Co. Ein sechster ist in Vorbereitung.
„Tipp, tipp, tipp. Bürst, bürst.“
Doch bevor es soweit ist und wir in Kürze auch die zweite Staffel der auf den gleichnamigen Graphic Novels basierenden Coming-of-Age-Serie beurteilen, widmen wir uns heute noch fix dem zweiten Band, der im Mai 2022 im Loewe Verlag erschienen ist und – wieder auf die Serie bezogen – inhatlich und zeitlich den zweiten Teil der ersten Staffel abdeckt. Oder umgekehrt, je nachdem, was mensch zuerst schaut oder liest.
Gerade kam es zum ersten Kuss zwischen Charlie und Nick auf einer etwas seltsamen Hausparty. Und wie sich das alle wünschen dürften, endet der Kuss damit, dass Nick panisch abhaut. Läuft (weg). Charlie ist, ganz seinem sensiblen Naturell entsprechend, verunsichert ohne Ende und denkt, alles (Freundschaftliche) zwischen den Beiden kaputtgemacht zu haben. Hat er nicht: Am nächsten Morgen steht Nick vor der Tür und entschuldigt sich für seine Reaktion: „Ich hab ganz ehrlich voll die mega Schwulenkrise.“ Willkommen im Leben, Hase!
„Ich hab recherchiert, was bisexuell bedeutet“
Oseman erzählt in diesem Band davon, wie Nick seine (Bi-)Sexualität ergründet, in den Freundeskreis von Charlie eingeführt wird, der ihn bis auf den skeptisch-eifersüchtigen Tao prompt ins Herz schließt und davon, wie Nicks vermeintliche Freunde abweisend und teils homofeindlich gegenüber Charlie sind. Was zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Nick und dem Oberspacko Harry führt – solche gibt‘s eben an jeder Schule. #isso.
Ebenso lernen wir mit Tara und Darcy ein lesbisches Paar kennen (wie die zwei zueinander gefunden haben, wird in einem Kurzcomic am Schluss geschildert); Tara hat früher Nick „gedatet“ und ist nun sehr, sehr happy für ihn und Charlie. Es wird also auch das beginnende Coming-out von Nick thematisiert, was zum Schluss zu einem wunderbaren Moment zwischen ihm und seiner Mutter führt.
„Du findest immer wieder Entschuldigungen für mich“
Mit Elle wird auch nun auch der erste trans*-Charakter und ein mögliches Love Interest für Tao eingeführt und natürlich taucht auch Charlies blickige Schwester Tori wieder auf, die es gut mit den beiden meint und sich doch Sorgen macht – siehe Absatz vier. In der Tat scheint es sinnvoll, ein wachsames Auge auf Charlie zu haben. Allzu gutmütig und genügsam ist der Junge unterwegs, was ihm auch Nick klarzumachen versucht, wenn er meint, Charlie solle sich nicht immer für alles und jeden entschuldigen.
Da ist was dran und ich muss gestehen, dass ich während der Lektüre (und des Schauens der Heartstopper-Serie) durchaus das eine oder andere Mal die Augen verdreht habe, wenn Charlie mal wieder die Schuld für das schwierige Verhalten anderer auf sich nahm. Natürlich gibt es diese Menschen, die, wie es so heißt, zu gut für diese Welt sind. Niemanden, der oder die so ist, in meinem Bekanntenkreis zu haben, finde ich allerdings gut. Ich würde das auf Dauer nicht aushalten.
Durchaus sympathisch allerdings ist, dass Charlie keinerlei Anstalten macht, Nick in irgendeiner Form unter Druck zu setzen. Auch da gibt es im realen wie fiktiven Leben ganz andere Figuren, die nicht verstehen können, warum mensch es nicht laut von den Dächern ruft. Das ist ebenso übergriffig wie unsympathisch.
„Ich mag dich so sehr“
Gar nicht unsympathisch hingegen ist dieser zweite Band der Heartstopper-Reihe, der erneut ansprechend gezeichnet und von Vanessa Walder kurzweilig und treffsicher ins Deutsche übersetzt worden ist. Ansonsten gilt auch hier, was ich bereits im vergangenen Jahr zum ersten Teil schrieb: „Nicht zuletzt ist es vor allem eine Geschichte, und ich bin nicht der erste, der dies schreibt und ein Teil meines Umfelds sagt es ebenso immer und immer wieder, die sich natürlich viele von ‚uns‘ in ihrer Schulzeit gewünscht hätten. Jene, die ihre erste bewusste Erfahrung mit der eigenen nicht heteronormativen Sexualität noch Ende der 90er– oder in den Nullerjahren machten, wissen, wie leicht es war, an den Rand zu geraten.“
Wurde der erste Band um eine Playlist ergänzt, erfahren wir hier, was Charlie und Nick gern so tragen und lesen die Tagebucheinträge der beiden, die auf den ersten Kuss folgten. Es ist durchaus charmant, welches Universum Oseman hier zwar mit herzlicher Leichtigkeit aber eben auch einer angemessenen und den Leser*innen gegenüber respektvollen Ernsthaftigkeit entwirft.
In diesem Sinne: Auf zu Heartstopper-Band drei und vier und natürlich der zweiten Staffel sowie später den Kurzromanen Nick & Charlie und This Winter. Oder zum Jahrbuch? Oder dem Malbuch? Hach, es gibt noch vieles zu entdecken!
AS
PS: In Ungarn soll ein Buchladen eine Rekordstrafe von 32.000 Euro zahlen, da dort Ausgaben von Heartstopper nicht wie vorgeschrieben eingeschweißt und Kindern und Jugendlichen somit unzugänglich verkauft wurden. Was es mit dem Gesetz auf sich hat, lest ihr auch im Text von Frank Hebenstreit zu Märchenland für alle.
Alice Oseman: Heartstopper – Volume 2; Aus dem Englischen von Vanessa Walder; Mai 2022; 320 Seiten; durchgehend illustriert; Hardcover mit Spotlack; Format: 15.3 x 21.5 cm; ISBN: 978-3-7432-0937-4; 15,00 €
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