Vom Regen in die Polizeidienststelle: So geht es Josef Micklitza (Stefan Rudolf), nachdem er auf dem Dortmunder Hafengelände einen Toten gefunden hat. Allerdings nicht irgendeinen Toten, sondern den prominenten Vermögensberater Claus Lembach – der auch sein Vermögensberater gewesen war. Seltsam. Noch seltsamer wird’s, als Micklitza kurz darauf untertaucht.
Geht einer, kommt eine
Die Kommissar:innen Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt), Jan Pawlak (Rick Okon) und Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) finden das auch sehr, sehr seltsam und ermitteln uns fragen einmal den Bruder der Weggetauchten: Nachtklubbesitzer und Hobby-Junkie Georg „Micki“ Micklitza (gewohnt wunderbar: Sascha Geršak), der aber nichts wissen will. Dafür taucht in dessen nicht jugendfreien Orbit nun die vor über einem Jahr verschwundene Frau Pawlaks, Ella Tremmel (Anke Retzlaff), wieder auf.
Das zieht den Kommissar auch persönlich sehr tief in den Fall, der an anderer Stelle mit dem Bankhaus „Roden“, dessen Kopf Dr. Artur Mehring (André Jung) und dem – wie könnte es anders sein – zwielichtigen Finanz-Guru mit allerlei Nebenbeschäftigungen, Wiglaf Beck (Heiko Pinowski), verknüpft ist, was Faber und seine No-Bullshit-außer-meinen-Attitüde auf den Plan ruft. Was in Tatort: Gier und Angst, dem zweiten Dortmunder-Thema binnen kürzester Zeit, immerhin für manch einen heiteren Moment sorgt.
Hundeblick der Verzweiflung
In erster Linie ist er nämlich großes Familiendrama um die Frage, ob und wie Jan Pawlak es schaffen kann, seine geliebte Ella, immerhin auch Mutter ihrer betreuungssüchtigen Tochter Mia (Jana Giesel), aus den Drogen raus und in die Familie reinzuholen. Dass sie recht eng mit ihrem neuen Partner und alten Freund Micki ist, mag da kaum helfen. Spannend ist es durchaus, wie Pawlak, mit Okonschem Hundeblick der Verzweiflung, dem aber auch eine tiefsitzende Wut inne scheint, immer tiefer in die Nachtwelt hineingerät, zwischen Frau und Team zerrieben wird und scheinbar doch nie völlig den Fokus verliert. Oder täuschen wir uns?
Möglich. Dahinter allerdings verliert der eigentliche Mordfall ein wenig an Bedeutung, auch wenn natürlich schließlich alles mit allem zusammenhängt, isch ja der Tatort. Im Gegensatz zu Masken geht es hier weniger verspielt-soapig, dafür etwas konstruierter zu, doch aber mit einem nachvollziehbaren (und vorhersehbaren) Täter und Tatmotiv.
Es geht voran
Im Grunde könnte Gier und Angst, aus der Feder von Sönke Lars Neuwöhner und Martin Eigler, die auch den hochgelobten Dortmunder Tatort: Sturm schrieben, als ein Film zum Auf- und Ausbau der Charaktere im Ermittler:innen-Team gesehen werden. Rosa Herzog gewinnt mehr Profil, Faber wird mehr zum garstigen Team-Papa, Bönischs Beziehung zu Sebastian Haller (Tilmann Strauß) wird auf die nächste Esakalationsstufe gebracht und Pawlak – siehe oben.
Dass die den Film ummantelnde und titelgebende Frage, wozu Gier und Angst uns treiben mögen, schlussendlich lediglich Schablone für schon recht oft in diversen Ausprägungen vernommene kapitalismuskritische One-Liner und semi-philosophische Bemerkungen ist, tut auch nicht weiter weh. Immerhin kommt’s nicht mit der unsympathischen, sich auf die Schulter klopfenden Kölner Selbstgewissheit auf die Palette.
Was für die Dortmunder Erzählungen nun schon beinahe zum Running Gag zu werden scheint, ist die lakonisch vermittelte Erkenntnis, dass das Böse immer und überall lauert und die Menschheit im Grunde schlecht ist. Faber und Co. wachsen uns mehr und mehr ans Herz.
AS
Tatort: Gier und Angst läuft am 2. Januar 2022 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist nach einer Wiederholung wieder bis zum 17. Dezember 2022 in der ARD-Mediathek verfügbar.
Tatort: Gier und Angst; Deutschland, 2021; Buch: Sönke Lars Neuwöhner, Martin Eigler; Regie: Martin Eigler; Kamera: Benjamin Dernbecher; Musik: Sven Rossenbach, Florian Van Volxem; Darstellende: Jörg Hartmann, Anna Schudt, Stefanie Reinsperger, Rick Okon, Sascha Geršak, Anke Retzlaff, Stefan Rudolf, Tilmann Strauß, Heiko Pinkowski, André Jung, Matthias Bundschuh, Anja Herden, Angelika Bartsch, Jana Giesel; Eine Produktion der unafilm im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks für Das Erste.
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