Glanz durch Distanz

Man stelle sich vor, es ist Spektakel und kaum einer geht hin. So war es auf der ersten digitalen Frankfurter Buchmesse, die am gestrigen Sonntag zu Ende ging. Die Messe stand mit ihrem offiziellen Titel unter dem Motto: Die Frankfurter Buchmesse – Special Edition 2020 – All together now! ❤️. Und bei allem gemeinsamen Wirken, allem Bemühen und aller interessanten Inhalte zum Trotz fühlte sie sich eben doch ein wenig leer und irgendwie deprimierend an.

Breit aufgestellt

Das lag auch weniger am vielseitigen Programm, sei es nun für Fach- oder private Besucher, dem sogenannten Lesepublikum, dem sich 200.000 Nutzer.innen widmeten. So versuchten die Organisator.innen der Frankfurter Buchmesse 2020 nicht nur ein möglichst breites Spektrum abzudecken, wie es eben auch auf einer physischen Messe geboten würde, sondern auch das eine oder andere Meet-&-Greet-Format ins Digitale zu übertragen, was jedoch wirklich eher ein wenig trostlos wirkte.

Eröffnung der Frankfurter Buchmesse Special Edition 2020. V.l.n.r.: Karin Schmidt-Friderichs, Tarek Al-Wazir, Prof. Monika Grütters, Peter Feldmann und Juergen Boos // © Copyright: Marc Jacquemin / Frankfurter Buchmesse

Dafür gab es so genannte kuratierte Networking-Events, überhaupt ein ausführliches und kreativ gestaltetes Fachprogramm sowie eine von der Messe angebotene Plattform zur Anbahnung von Kontakten für den Handel mit Rechten und Lizenzen (genannt Frankfurt Rights), was natürlich ein wesentliches Kernelement für den B2B-Bereich der Buchbranche ist. Hier hörten wir allerdings von dem einen oder anderen Verlag, dass man sich durchaus auf bereits angebahnte Kontakte verlassen hätte und dies quasi in Eigenregie gestaltete, sich aber dennoch auf diesem Digitalportal präsentierte.

Niemandem zum Greifen nah

Auch die Aussteller konnten sich digital präsentieren, was bereits zuvor möglich war, aber natürlich in diesem Jahr ausgebaut wurde. So gab es virtuelle Messestände, Leseproben, Verlagsvorschauen, Links zu den Verlagen, etc. Das ist natürlich alles gut und schön, dennoch aber völlig steril. Hier funktioniert eine quasi Vollübertragung ins Digitale lediglich bedingt. Zum einen fehlen die Begegnungen am Messestand, zum anderen das Buch als Produkt. Viele Leser.innen (und natürlich Verleger.innen und Autor.innen) mögen, genießen, ja lieben die haptische Wahrnehmung eines gedruckten Buches. Die Möglichkeit es zu entdecken, es zu erfühlen. Was bringt der schönste Leineneinband, wenn sich Interessierte lediglich ein Coverbild oder eine 3D-Animation anschauen können.

Anne Weber spricht über ihr Buch „Annette, ein Heldinnenepos“ // © Copyright: Marc Jacquemin / Frankfurter Buchmesse

So war auch die Preisverleihung des Deutschen Buchpreises 2020 am 12.10.2020 an Anne Weber für ihr Buch Annette, ein Heldinnenepos (erschienen bei Matthes & Seitz Berlin), quasi der Auftakt der Frankfurter Buchmessetage, von einer seltsam fremdartigen Atmosphäre geprägt. Wie auch die offizielle Eröffnung am folgenden Tag. Oder die Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an den Wirtschaftsphilosophen Amartya Sen, für die nachvollziehbarerweise nahezu alle Teilnehmer.innen per Video zugeschaltet werden mussten. Warum dann aber die Laudatio von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aufgrund seiner Quarantäne vom zweifelsohne großartigen Burghart Klaußner vorgetragen werden musste und man nicht den Bundespräsidenten, dessen Testergebnisse negativ ausfielen, zuschaltete, mag uns für lang ein Rätsel bleiben.

John Niven liest aus seinem neuen Buch „Die Fuck-It Liste“ // © Niklas Goerke / Frankfurter Buchmesse

Das bringt uns direkt zum nächsten Punkt: Das Live-Programm der verschiedenen Kanäle, welches sich in erster Linie an das Lesepublikum wendet. Da gab es die ARD-Buchmessenbühne, natürlich Das Blaue Sofa vom ZDF, eine gesellschaftspolitisch geprägte Reihe namens Weltbühne und am Samstag das BOOKFEST digital. Je nach Interessenlage des Publikums gab es hier und dort mal mehr und mal weniger zu entdecken. Wir beispielsweise konnten viele kleine Highlights für uns ausmachen (eines davon hier), von denen wir euch auch noch ausführlicher in den kommenden Tagen berichten werden. 

Auch hier wieder das Problem, dass ein persönliches Treffen oder auch mal eine Zufallsbegegnung auf dem Gang nicht möglich waren. Gerade für viele Lesende, die bereits Geld in die Bücher „ihrer“ Autorinnen und Autoren investiert haben, ist es sicherlich ärgerlich, diese nicht einmal persönlich zu sehen, sich vielleicht eine Widmung holen zu können und mal eine Frage stellen zu dürfen. 

(Kleinere) Ärgernisse

Dass manch eine Moderation nicht sonderlich gelungen war und es auch Studiointerviews gab, bei welchen wir das Gefühl hatten, die Moderatorin weiß überhaupt nicht worum es geht und die Autorin möchte nur weg (so geschehen unter anderem im Gespräch von Hatice Akyün mit Petra Morsbach), war sicherlich unschön – und respektlos – aber auch etwas, das echtes Messefeeling brachte. 

Hin und wieder gab es einige Verbindungsstörungen. Der Stream fiel auch gern einmal aus (wie zum Beispiel beim Interview zum Buch Die Klimaschmutzlobby), und bei manch einem eingespielten Video hörte man dann „von hinten“ gern mal jemanden rufen „Regie! Regie! Machen wir die Zeit jetzt voll? Regie!“ Wobei das schon eher in die Kategorie charmantes Holpern fällt und sicherlich für kaum jemanden ein großes Drama gewesen sein sollte.

Eher ärgerlich war, dass sich zwar von den dicht getakteten, auf verschiedenen Kanälen stattfindenden Veranstaltungen die Termine theoretisch in den eigenen digitalen Kalender importieren ließen. Da diese aber häufig den gleichen Titelbeginn hatten (bspw. Frankfurter Buchmesse) und erst dann die Namen der Beteiligten folgten, überschrieben sich die Termine dann gegenseitig. Das ärgerte, ließ mich, beziehungsweise uns, dann letztlich alles ganz klassisch per Hand notieren. 

Hektisch war es also dennoch. Zwar sparte man sich als Besucher.in das Rennen zwischen den Hallen und zu weiteren Veranstaltungen, doch Zurücklehnen und sich von Stream zu Stream klicken war dann auch nicht so wild. Überhaupt ist eines der größten Mankos nach unserem Empfinden der doch recht unübersichtliche und nur bedingt benutzerfreundliche Aufbau des #FBM20-Webauftritts. Gerade für nicht sonderlich netzaffine Menschen, die aber dennoch nicht auf ein wenig Messeerlebnis verzichten wollten, mag das eine Herausforderung, ja gar Hürde, gewesen sein.

Größere Dankbarkeit 

Nicht unerwähnt bleiben darf und soll, dass die digitale Buchmesse ob nun für das Fach- oder Lesepublikum ohne Gebühr zugänglich war. Fachbesucher mussten sich registrieren, andere nicht. Somit lassen sich auch ein wenig Planungschaos für geneigte Privatpersonen sicherlich verschmerzen (Fachbesucher hatte noch andere Möglichkeiten, Termine auf dem Portal zu organisieren).

So war die Frankfurter Buchmesse – Special Edition 2020 also eine Erfahrung mit verschiedenen Facetten, wenn auch vielen Abstrichen. Dennoch ist es unbedingt schön und lobenswert, dass man nicht darauf verzichten wollte, sie überhaupt stattfinden zu lassen. Einiges war sicherlich unausgereift in der Umsetzung und manches Gespräch hätte man sich kompetenter gewünscht. Was aber vor allem fehlte, waren, wie erwähnt, die Begegnungen und das neue Buch in der Hand. Dafür können die Organisator.innen nun wahrlich nichts und haben dennoch etwas Gutes aus der ernst zu nehmenden Pandemie-Situation gemacht.

Eure queer-reviewer

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