„Jetzt kommt unser Jahrzehnt“

Wiedergelesen: Patti Smith Just Kids – ein unsentimentaler Blick zurück in die Zeit der 1970er Jahre als alles im Leben von Patti Smith und Robert Mapplethorpe begann und als Leben und Kunst unzertrennlich zusammengehörten.

Von Nora Eckert

Der Zufall hatte Patti Smith und Robert Mapplethorpe Ende der Sechziger Jahre in New York zusammengebracht. Sie sind gerade 23 Jahre alt geworden, als sie 1969 Silvester feiern. Sie hatten bis dahin schon manches ausprobiert – Robert, der Schmuck entwirft und herstellt, der zeichnet und Collagen anfertigt, und Patti, die dichtet, Schriftstellerin werden will und den französischen Dichter Arthur Rimbaud verehrt. Sie leben zusammen, lieben sich, hungern gemeinsam, wissen nicht, von was sie die Miete bezahlen sollen, nehmen Gelegenheitsjobs an, aber sind füreinander da, teilen alles und sie wissen an jenem Silvesterabend in New York noch nicht, dass sie schon bald berühmt sein werden – Patti, die wundervoll poetische und lebensnahe Songs schreibt und sie mit ihrer so unverwechselbaren rauen, ein wenig heißer klingenden Stimme singt, von denen einige zu Hits werden, und Robert, der zu einem der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts aufsteigt, der Pornografisches salonfähig macht als ginge es darin um nichts anderes als um kühle Ästhetik und zugleich die obszönsten Blumenbilder fotografiert, dem hinreißende Porträts von klassischer Strenge gelingen und der stets auf der Suche nach dem dichtesten Schwarz ist. Auch wenn sie all das noch nicht wissen können, so steckt auf jeden Fall der Ehrgeiz in ihnen, berühmt zu werden, mit all der kreativen Energie, die sie antreibt, weshalb sich Robert in jener Nacht sicher ist, dass jetzt ihr Jahrzehnt kommen würde. Und so kam es.

Offenbar besaß Mapplethorpe so eine Art prophetisches Wissen, vielleicht war es nur Selbstvertrauen, der Glaube an sich selbst und die Gewissheit, man habe der Welt etwas zu geben. Denn an einem früheren Silvester, da gab es für Patti zu den obligatorischen guten Vorsätzen zusätzlich noch einen Zettel. „Er schrieb mir einen Zettel, auf dem stand, dass wir zusammen Kunst machen und damit Erfolg haben würden, mit oder ohne den Rest der Welt.“

Neunzehn Jahre später, wir schreiben das Jahr 1989, liegt Robert im Sterben mit der zu dieser Zeit noch tödlichen Diagnose: AIDS. Und es starben so viele damals. Sie waren da schon lange ihre eigenen Wege gegangen, und dennoch blieben sie bis zum Schluss verbunden. Und so verspricht sie ihm, sie werde ihre gemeinsame Geschichte aufschreiben. Das Versprechen hat sie eingelöst, obschon erst spät – 2010 erschien Just Kids [in Deutschland bei Kiepenheuer & Witsch, 2011 als Taschenbuch bei Fischer, Anm. d. Red.], und ich hatte diese Erinnerungen verschlungen wie jetzt beim Wiederlesen, weil mir vieles vertraut und verwandt erschien und an einigen Stellen in meine Lebensgeschichte unvermittelt hineinwuchs, auch wenn ich den beiden nie begegnet bin und wir mehr als 6000 km voneinander entfernt lebten.

Der Titel Just Kids ist ein Zitat, ob authentisch oder nur gut erfunden spielt keine Rolle, und gehört, wie Smith erzählt, zu einer Szene im Central Park. Patti und Robert fallen in ihrem schrägen Hippie-Outfit einem älteren Ehepaar auf, das fotografierend ebenfalls im Park unterwegs ist. Die Frau hält die beiden für Künstler, worauf ihr Mann antwortet, nein, das seien Kids wie alle anderen. Sie waren natürlich beides und auf jeden Fall Kinder ihrer Zeit, einer hedonistischen Zeit, in der nicht zuletzt das Outfit ein politisches Statement enthielt. Aber wie Patti Smith in ihren Erinnerungen zu verstehen gibt, schufen Flower Power, der Summer of Love samt sexueller Revolution, Rock und Pop trotzdem keine Blumenwiese des Lebens und schon gar nicht zwischen Hudson, East River und Atlantik.

Als sie von Brooklyn nach Manhattan zogen, wussten sie, dass sie sich ab jetzt im energetischen Zentrum befanden, wo Kunst und Leben nur schwer zu trennen waren und manchmal auch nur eine Kunst des Überlebens bedeutete, aber wo man sich immerhin Selbst finden konnte und das Glück obendrein. Das für mich Überraschendste war dabei, dass Mapplethorpe sein Schwulsein erst finden und dann noch akzeptieren musste, denn bis dahin teilte er mit Patti nicht nur den Tisch, sondern auch das schmale Bett, wo sie eng an eng schliefen. Ein längerer Ausflug nach San Francisco, den er allein unternimmt, um herauszufinden, wer er ist, klärt die Situation: „Er liebte niemanden, er liebte alle. Er liebte Sex, er hasste Sex. Das Leben ist eine Lüge, Wahrheit ist eine Lüge“, lesen wir bei Smith und sind erstaunt, wie sie auf seine Entdeckung reagiert, nämlich „beschränkt und provinziell“, gesteht sie rückblickend. Natürlich kannte sie Jean Genet, aber gerade deshalb hielt sie das Schwulsein eher für etwas Dichterisches, Künstlerisches, aber kaum etwas, was im Leben ihres Roberts eine Rolle spielen würde. Begriffsstutzig war sie trotzdem nicht und seine Muse blieb sie noch lange. Es ist immer gut, offen zu bleiben für das ganze Leben.

Patti Smith erzählt zwei Erfolgsgeschichten aus den 1970er Jahren, die zu verstehen geben: Das Leben ist nicht planbar, aber sich im richtigen Milieu zu bewegen, fördert die Zufallsquote ungemein. Die Siebziger waren auch mein Jahrzehnt, das Jens Balzer treffend einmal das entfesselte nannte, und es enthält ebenso meine Erfolgsgeschichte. Und das Erstaunliche, wie diese verschiedenen Geschichten wie durch Luftwurzeln miteinander verbunden sind. Berühmt wurde ich nicht, was auch nicht in meiner Lebensplanung stand, aber sich selbst zu finden, wie ich mich in meinem trans*Sein damals fand, ist mindestens ein ebenso großes Ding im Leben. Es geht also auch um etwas wie Subtexte des Lebens, um einen Sound der Zeit, der diesseits und jenseits des Atlantiks die Luft zum Vibrieren brachte und um Menschen, deren Namen den gleichen Klang für Patti und Robert wie für mich besaßen mit dem Unterschied freilich, dass die beiden, anders als ich, ihnen persönlich begegneten, von einigen Ausnahmen abgesehen.

Doch zurück zu unserem New Yorker Paar. Die Entscheidung, ein Zimmer im damals schon legendären Chelsea Hotel zu nehmen, darf man fast schicksalhaft nennen: „Das Chelsea war ein Puppenhaus in der Twilight Zone, mit Hunderten von Zimmern, von denen jedes ein eigenes kleines Universum barg.“ Viva lebte dort beispielsweise, „umweht von Eau Sauvage“, William Burroughs, Jimi Hendrix, Janis Joplin, einfach alle, die in der Underground-Kultur Rang und Namen besaßen und die zu den Ikonen der Rock– und Pop-Kultur zählten. „Ich liebte dieses Hotel, seine schäbige Eleganz und die Geschichte, die es so eifersüchtig bewahrte.“ Die Hotel-Lobby nennt Smith ihre Universität und Allen Ginsberg und Burroughs ihrer Lehrer. Patti und Robert bewohnten das Zimmer 204, wo es sich lebte „wie in einer halbwegs einladenden Gefängniszelle“. Dort künstlerisch zu arbeiten, war für beide eine große Herausforderung. Aber auch dafür fand sich eine Lösung, als sie schließlich Atelierräume mieten konnten.

In der unmittelbaren Umgebung des Hotels befanden sich einige In-Lokale, die als Umschlagbörsen für Ideen und Chancen funktionierten und ebenso als Bühne für den Jahrmarkt der Eitelkeiten. Vor allem wurden sie auch von Andy Warhol und seiner Entourage aus der Factory besucht. Mapplethorpe suchte Warhols Nähe. Smith nennt es seine „Mission“:

Und was sich nachts im Max’s abspielte, klingt dann so:

Das Geldproblem blieb noch eine ganze Weile auf der Tagesordnung. Angeregt durch den Film Asphalt Cowboy will Robert nun auch ein Hustler werden und geht anschaffen. Dafür bot sich die berühmt-berüchtigte 42nd Street an, was ihm dann doch zu heftig war. „Nun wollte er auf Joe-Dallesandro-Pflaster ausweichen, zur East Side in die Nähe von Bloomingdale’s, wo es sicherer war.“

Aber endlich wird Mapplethorpe von Warhols Factory wahrgenommen und eingeladen, um beispielsweise die Rohschnittszenen von Trash mit anzusehen. Doch wichtiger als das, sollte die Bekanntschaft mit dem Kurator für Fotografie am Metropolitan Museum of Art John McKendry werden. Denn Mapplethorpe hat sich längst für die Fotografie entschieden, wobei Patti zu seinem ersten und er selbst zu seinem zweiten Modell wurde. Und als er schließlich den sehr reichen Samuel Jones Wagstaff Jr. kennenlernt, der nicht nur reich, sondern auch intelligent und attraktiv war, hatte er seinen Mäzen gefunden. Robert schenkte „Sam eine Fotografie, und Sam Robert eine Hasselblad. Dieser frühe Geschenktausch ist symbolisch für ihre Rollen als Künstler beziehungsweise Mäzen“, lesen wir bei Smith. Aber Pattis Karriere kommt ebenso voran, ihre Gedichte finden Anerkennung und sie werden zu Liedtexten. Sie bekommt Auftrittsmöglichkeiten. Eines Tages kam Bob Dylan in den Club, aber anstatt eingeschüchtert zu sein, gewinnt sie eine unglaubliche Selbstsicherheit. Diese Nacht sei wie eine Initiation gewesen, um sie selbst zu werden, lässt sie uns wissen.

In meine kleine West-Berliner Welt, die immerhin den Glamour des Nachtlebens kannte, als ich 1976 im Travestiecabaret Chez Romy Haag zu arbeiten begann, drang natürlich auch ihre Musik ein, während ich Mapplethorpes Fotografien erst viel später kennenlernte, deren Magie ich dann sofort hoffnungslos verfiel. Einer ihrer erfolgreichsten Songs war 1978 „Because the nNight“, der sich absolut richtig anfühlte: „Because the night belongs to lovers / Because the night belongs to lust“, lautete der Refrain, und „Desire is hunger is the fire I breath / Love is a banquet on which we feed“.

Auch waren die oben erwähnten trans*Frauen Holly und Candy für mich längst Idole geworden, die ich durch ihre Filmauftritte in Flesh und Trash kannte. Sie lebten etwas vor, zu dem ich erst noch finden sollte. Wayne County, die Glam– und Punk-Rockerin kam Ende der Siebziger nach West-Berlin und nannte sich nun fortan Jayne – Berlin wurde zu ihrem Testgelände im Frausein, wie sie in einem Interview bekannte.

Und dann gab es da noch einen Import, den ich bei Patti Smith wiederfand: Anthony Ingrassia, kurz Tony genannt, der in den Siebzigern durch den Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach West-Berlin kam. Er landete im Chez Romy Haag und trat sogar gelegentlich auf. In der Hauptsache aber war er Dramatiker, der die Berliner Off-Theaterszene mit dem Stück Sheila beehrte. Patti Smith erzählt, wie sie in dem Stück Island von Tony mitwirkte: „Ich habe nie richtig verstanden, worum es in dem Stück ging, aber es war Tony Ingrassias großes Epos. Einfach jeder machte mit […].“ Die Aufführung wurde zum gesellschaftlichen Ereignis.

Smith erinnert ebenso daran, wie jung damals gestorben wurde: Brian Jones, Jim Morrison, Janis Joplin, Jimi Hendrix. Und dabei war diese Zeit so hungrig nach Wirklichkeit, hedonistisch eben. Aber die Wirklichkeit ist mehr als nur eine große Lust, sie ist immer doppelgesichtig, weshalb Mapplethorpes Resümee so lautete: Die „Kirche [habe] ihn zu Gott, das LSD aber zum Universum geführt […]. Er sagte auch, Kunst habe ihn zum Teufel geführt, und Sex habe dafür gesorgt, dass er dort blieb.“

Nora Eckert ist Publizistin, im Vorstand beim Bundesverbandes Trans* e.V. und bei TransInterQueer e. V. und Teil der Queer Media Society

Hardcover-Ausgabe von Just Kids

Patti Smith: Just Kids – Die Geschichte einer Freundschaft; März 2010; Aus dem Englischen von Clara Drechsler, Harald Hellmann; 352 Seiten; Hardcover, gebunden; ISBN: 978-3-462-04228-3; Kiepenheuer & Witsch; 24,00

Als Taschenbuch verfügbar im Fischer Verlag; ISBN: 978-3-596-18885-7; 14,00 €

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