Schmutzige Tricks unter der Lupe

Verschwörungstheorien und das Leugnen von Wahrheiten sind ja gerade schwer in Mode. Nicht nur wenn „Schlagersänger“ in der Debatte um Corona querdenken, sondern auch die Diskussion um Fake News ist nicht nur im US-Wahlkampf präsent. Aber auch bei einem anderen gesellschaftlichen Thema geht es viel um das Leugnen von Fakten und das Verschleppen von Maßnahmen: beim Klimaschutz. Die beiden Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres greifen die Thematik in ihrem Buch Die Klimaschmutzlobby – Wie Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen auf und stellen sehr anschaulich dar, wie einflussreiche Gruppen einen effektiveren Klimaschutz verhindern.

Eine strukturierte, sachlich fundierte und aktuelle Analyse

Die beiden Autorinnen gehen bei ihrer Analyse sehr strukturiert vor: Zuerst erarbeiten sie, wer dieser Klimaschmutzlobby angehört und was sie antreibt. Anschließend beschreiben sie anhand einiger Fallbeispiele, wie diese Lobby arbeitet und welcher Mittel sie sich dafür bedient sowie in welchen Bereichen sie überall aktiv ist. Der Fokus liegt dabei vor allem im zweiten Teil auf Europa – der EU, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Osteuropa – aber auch Brasilien und vor allem die Vereinigten Staaten kommen vor allem im ersten Teil immer wieder vor. Nicht zuletzt deshalb, weil wichtige Akteure, wie das Heartland Institute in den USA sitzen und von dort ihren Einfluss in die ganze Welt ausüben. Zum Abschluss gibt es außerdem einen kleinen Ausblick auf die aktuelle Klimapolitik und fünf Vorschläge aus aller Welt, wie eine radikal andere Klimapolitik aussehen könnte und sollte.

Wie gesagt, Götze und Joeres gehen bei ihrer Analyse sehr strukturiert vor. Auf Teil 1 wird in der zweiten Hälfte aufgebaut und das ist wichtig. Die Autorinnen belegen ihre Thesen und Aussagen mit einer überaus großen Zahl an in der Regel sehr hochwertigen und unabhängigen Quellen. Der tatsächliche Textteil sind etwa 230 Seiten und dafür gibt es mehr als 50 Seiten eng gedruckter Endnoten. Das zeigt, welche Mühe sich die Autorinnen bei ihren Recherchen gegeben haben.

Überdies besticht das im Juni 2020 erschienene Buch durch seine Aktualität. Das gerade einmal ein Jahr alte Klimapaket der Bundesregierung aus dem Herbst 2019 fand noch Eingang in das Buch, ebenso wie einige andere Entwicklungen um den letzten noch annähernd coronafreien Jahreswechsel. Und der aufklärerische Effekt ist besonders hoch: Der „Thinktank“ EIKE dürfte bislang wenigen Leuten bekannt sein, ist aber bundesweit einer der wichtigsten Akteure in der Klimaleugnerszene – und steht der AfD vermutlich nicht nur zufällig sehr nah. Hier leistet das Buch exzellente Aufklärungsarbeit.

Lobbyismus 101 – fast lehrbuchhaft beschrieben

Nun zur inhaltlichen Bewertung: In Die Klimaschmutzlobby stellen die beiden Autorinnen überaus anschaulich dar, wie eine Lobby in einem bestimmten Politikbereich arbeitet. Sie gehen in die Tiefe, wenn es um die Aktivitäten der Agrarfirmen geht, der Ölgesellschaften oder der Energieproduzenten. Lobbyismus kann ein schmutziges Geschäft sein, egal in welcher Branche. Die Methoden, die Wirkmechanismen, die Herangehensweise von Interessenvertreterinnen und -vertretern an Entscheidungsträgerinnen und -träger werden detailliert illustriert und mit anschaulichen Beispielen belegt. Am Beispiel der klimaschädlichen Industrien stellen die beiden somit lehrbuchhaft dar, wie Lobbyismus funktioniert – im Grundstudium der Politikwissenschaft lernt man das kaum besser.

Allerdings, und nun werden wir etwas kritischer, lernt man im Studium der Politikwissenschaft auch, dass Lobbyismus in einer Demokratie nicht per se schlecht ist. Unternehmensverbände, gesellschaftliche Organisationen, NGOs, Menschenrechtsaktivisten, Gewerkschaften – sie alle vertreten Interessen aus der Bevölkerung und sie alle haben in einer Demokratie ihre Berechtigung. Eben das zeichnet doch eine Demokratie aus, die Vielfalt der Meinungen und Interessen und die Aufgabe der Politik ist dann die Abwägung und der Ausgleich dieser Interessen. Das wird in Die Klimaschmutzlobby leider nicht sehr deutlich.

Mit ihrem Buch argumentieren Götze und Joeres nämlich sehr einseitig gegen die von ihnen angeprangerte Lobby. Das ist durchaus nachvollziehbar, denn die Thematik ist überaus wichtig und wird in der Etagen der Entscheider allzu oft verschleppt. Aber es ist auch auf einem ähnlich kompromisslosen und anstrengenden Level wie Fridays for Future.

Dazu trägt zu einem gewissen Teil die generelle Tonalität bei: Die Klimaschmutzlobby ist zwar ein sehr sachbezogenes Buch, aber gleichzeitig ist die Stimmung düster, es werden klare Feindbilder geschaffen und jedes Klischee, das dieses Feindbild auch nur mittelbar und zwischen den Zeilen bestärkt wird von den beiden bedient. Ein paar Beispiele:

Der „alte weiße Mann“

Der britische Politiker und klimawandelskeptische bis -leugnende Brite Lord Peter Lilley zum Beispiel wird als „vornehme[r] ältere[r] Herr“ (S. 213) bezeichnet, den die beiden besuchen. Er sitzt „auf einem antiken Sofa in seinem Wohnzimmer. Durch die schweren Vorhänge schimmert das Londoner Schlechtwetter, aber der betagte Politiker hat es gemütlich in seinem dreistöckigen Reihenhaus in Westminster“ (S. 212), also einem Nobelviertel der britischen Hauptstadt. Das ist das Klischee des „alten weißen Mannes“, das hier bedient wird.

Außerdem wird deutlich, dass durch das Buch hindurch nur die männliche Form benannt wird („Lobbyisten“, „Gewerkschafter“, „Unternehmer“). Das mag formal an vielen Stellen korrekt sein, aber der Aufruf am Ende „[d]eshalb müssen wir, als Journalistinnen, Politiker, oder Bürgerinnen, dem Narrativ der Lobbyisten eine mächtige faktenbasierte Erwiderung entgegensetzen […]“ (S. 237) ist wohl eine der wenigen Stellen, an denen die weibliche Form genutzt wird, natürlich im Zusammenhang mit gutem, vernünftigem Handeln. Die Schwarz-Weiß-Malerei, böser und gieriger Mann, gute und kritische Frau, zieht sich somit ebenfalls durch.

Die bösen Lobbyisten

Oder fast am Ende heißt es: „Die Strippenzieher kennen sich untereinander, ob sie nun in Brüssel zusammen After-Work-Cocktails trinken oder in Bayreuth Opern anhören“ (S. 234) – das Feindbild des „bösen und geldgierigen Lobbyisten“ durchzieht das Buch wie nur wenig anderes. Dass gesunder Lobbyismus aber wichtig für eine Demokratie ist, wie bereits oben dargelegt, findet keinen Eingang. Stattdessen führt das zu falschen Schlussfolgerungen, beispielsweise zu verschleppten Innovationen zur Reduktion klimaschädlicher Gase: „Hinter all diesen Versprechen steht derselbe Gedanke: die Rettung von klimaschädlichen Geschäftsmodellen ins 21. Jahrhundert“ (S. 233).

Ein Feld von verblühten, teils vertrockneten Sonnenblumen in der Braunkohleregion Lausitz. // © the little queer review

Das stimmt so nicht, bzw. ist es nicht konkret genug. Von Extremfällen, wie beispielsweise dem Geflecht um die Koch-Brothers in den USA abgesehen, sollen klimaschädliche Geschäftsmodelle nicht gerettet werden, weil sie klimaschädlich sind und Unternehmen die Umwelt absichtlich schädigen wollen. Es sollen in der Regel bewährte Modelle gerettet werden, die guten Umsatz bringen, Wohlstand, Arbeitsplätze. Dabei wird der Klima- und Umweltschutz vernachlässigt, Innovation verschleppt, externe Kosten ausgeklammert und politische Regulierung verhindert. Das ist alles andere als gut. Aber diesen entscheidenden Unterschied, treffen die Autorinnen selbst nicht, da die neoliberalen Lobbyisten in dem von ihnen gezeichneten Bild nur auf ihren eigenen Vorteil aus sind.

Der böse Neoliberalismus

Was uns zur nächsten Unschärfe führt: Der alte Kampfbegriff „neoliberal“ wird von den Autorinnen ohne Abstriche genutzt. Alles Neoliberale – so gewinnt man den Eindruck – ist per se böse. Unabhängig davon, dass die Politikwissenschaft durch die neoliberale Strömung ohnehin eine große Bereicherung erfahren hat – erst sie führte zu einem demokratischen Grundverständnis, um das heute in Ländern wie Belarus mit größter Härte gerungen wird – wird der Begriff des Neoliberalismus (oder auch im Zweifel des Liberalismus) durchgängig gefühlt mit dem Bösen gleichgesetzt.

Dieses Feindbild sollte heute doch eigentlich überwunden sein, oder? Und ja, es stimmt, dass die FDP sich bislang nicht als große Verfechterin des Klimaschutzes hervorgetan hat, aber ihre parteinahe Friedrich-Naumann-Stiftung in einem Atemzug mit EIKE oder der österreichischen FPÖ zu nennen (S. 69) wird der Realität auch nicht gerecht.

Oder das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW), das sie als „Lobbyorganisation der Arbeitgeberverbände“ (S. 177) bezeichnen. Götze und Joeres kritisieren, dass die Experten des IW in der Regel als „neutrale Wissenschaftler“ (ebd.) bezeichnet werden, dies aber nicht seien. Das stimmt nicht. In den Qualitätsmedien wird das Institut in der Regel durchaus als „arbeitgebernah“ bezeichnet. Einmal mehr drängt sich der Eindruck auf, dass hier Feindbilder bis in die höchsten Sphären gezeichnet werden sollen.

Ein lesenswertes Buch, das aber übermäßig auf Feindbilder setzt

Es gäbe noch einige weitere Details, die besprochen und kritisiert werden könnten. Die Frage, ob Politiker nach ihrer Karriere Jobs in der Wirtschaft und bei Konzernen aus ihrem Fachbereich annehmen sollten, beispielsweise (auf Seite 237 sprechen sich Götze und Joeres dagegen aus, bedenken aber nicht, dass auch Ex-Politiker von etwas leben müssen – es muss ja nicht gleich jeder zu Gazprom gehen oder Tönnies beraten) könnte noch weitere Erörterung finden. Oder das Bild von den mündigen Verbraucherinnen und Verbrauchern, die mit ihrem Konsumverhalten durchaus der bösen Lobby etwas entgegensetzen können. Auf dieses gehen die Autorinnen nur ganz kurz auf den letzten Seiten ein.

Darauf wollen wir hier aber verzichten, denn alles in allem ist Die Klimaschmutzlobby ein sehr fundiert recherchiertes Buch, das einen Einblick in den Lobbyismus gewährt. Die Autorinnen klären tief gehend darüber auf, wie der Klimaschutz leider noch heute verschleppt wird und welche Branchen hierbei besonders negativ auffallen. Der aufklärerische Wert ist überaus hoch und das Buch voll von wertvollen Informationen. Dass ihnen das sehr wichtig war, erläutern die beiden Autorinnen auch in einem Online-Interview anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2020. Dieses ist hier (ab 2:41:44 bis 2:54:40) verfügbar und bricht dann leider ab – was wir schon live etwas ärgerlich fanden.

Nichtsdestoweniger bedienen sich Susanne Götze und Annika Joeres etablierter Feindbilder, überhöhen sie zu ihrem Nutzen und schaffen damit die Grundlage für noch mehr Unfrieden in dieser Thematik. Das Framing, das sie den Interessenvertreterinnen und -vertretern vorwerfen, betreiben sie selbst ohne Unterlass. Das ist schade und dürfte gerade die ihnen kritisch gegenüberstehende, aber dennoch potentiell erreichbare Leserschaft abschrecken.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier (Blick ins Buch).

Götze, Susanne & Joeres, Annika: Die Klimaschmutzlobby – Wie Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen; 1. Auflage, Juni 2020; 304 Seiten; mit 4 Grafiken; Hardcover mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-492-07027-0; Piper Verlag; 20,00 €; auch als eBook erhältlich (16,99 €)

Beitragsbild: Gut sichtbar: Ein Ölfleck im Matsch.

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