Linke Tour de Table

Viel wird dieser Tage über ein rot-grün-rotes Bündnis gesprochen. „Rote-Socken-Kampagne“ sagen die einen, wichtige Debatte die anderen. Wir ordnen ein und schließen uns der zweiten Position an. Ein Kommentar.

Die Bündnisfrage ist im aktuellen Bundestagswahlkampf so präsent wie lange nicht. Es war zuletzt auch immer klar, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt, irgendwer findet sich schon, der mit ihrer Union eine Koalition eingehen würde. Und so kam es dann auch, selbst wenn die SPD sich jedes Mal erstaunlich zierte.

Red Socks reloaded

Nach den aktuellen Umfragen ist allerdings vieles offen. Wer wird die Regierung anführen, welche Mehrheiten demokratischer Parteien sind denkbar? Und immer wieder wird aktuell das Linksbündnis – SPD, Grüne, Linkspartei (Reihenfolge und Stärke variabel) – ins Feld geführt. Von vielen Anhängerinnen und Anhängern des linken Parteienspektrums wird sich nun über eine „aufgewärmte Rote-Socken-Kampagne“ echauffiert, denn die Debatte passt vielen nicht in ihr Wahlkampfnarrativ.

Dabei ist es durchaus eine Debatte, die geführt werden sollte. Armin Laschet hat sich beispielsweise sehr deutlich positioniert: Er würde keine Regierung unter Stützung von Linkspartei oder AfD eingehen (so wie die aktuelle Amtsinhaberin Angela Merkel auch). Olaf Scholz schließt die Beteiligung der Linken allerdings auch auf explizite und wiederholte Nachfrage nicht aus, Annalena Baerbock auch nicht.

Realpolitische Spitze vs. linke Basis

Der Ehrlichkeit halber muss man sagen, dass beide nicht gerade für eine linke Politik stehen. Scholz war einer der Architekten der Schröderschen Agendapolitik, die die Linkspartei einst erst groß werden ließ. Baerbock ist als Reala ihrer Partei auch persönlich nicht unbedingt für sozialistische Ideen bekannt. Vor allem den Zankapfel Außenpolitik arbeitet Baerbock in ihrem wegen Plagiatsvorwürfen in die Kritik gekommenen Buch Jetzt durchaus realpolitisch und nachvollziehbar ab.

Hinter beiden stehen aber Parteien, die durchaus entsprechende Tendenzen zeigen. Nehmen wir mal an, dass ein Linksbündnis nach der Wahl rechnerisch möglich wäre, aber Baerbock oder Scholz mit einer anderen Mehrheit ins Kanzleramt einziehen. Sie bilden mit ihren Koalitionspartnern die jeweilige Regierung, ernennen Ministerinnen und Minister und arbeiten ihren Koalitionsvertrag ab.

Rücktritt ist möglich

Nach ein oder zwei Jahren aber muss Baerbock oder Scholz zurücktreten. Die Proteste von Fridays for Future gegen das zu zurückhaltende Klimaschutzgesetz von Kanzlerin Baerbock werden zu groß und sie hält dem Druck nicht stand. Oder Olaf Scholz – die in der Tat nicht unwahrscheinliche Variante – wird doch noch Opfer einer seiner Fehlleistungen im Amt des Finanzministers (darüber schrieben wir hier bereits ausführlich – erst kürzlich gab es neue Vorfälle, in deren Rahmen die aktuell SPD-geführten Finanz- und Justizministerien in Berlin von der Zentralen Kriminalinspektion und Staatsanwaltschaft Osnabrück durchsucht wurden). Mit dem/der Kanzler/in tritt laut Grundgesetz auch immer die gesamte Regierung zurück. Alle Ministerinnen und Minister wären somit von heute auf morgen nicht mehr im Amt.

Beide Versionen sind nicht völlig abwegig, ebensowenig ein konstruktives Misstrauensvotum, bei dem sich beispielsweise die linken Parteiflügel jemand anderes im Kanzleramt wünschen und sich deshalb zusammentun. Wenn Scholz oder Baerbock zurückträten oder zurücktreten müssten, dann gibt es nicht automatisch eine Neuwahl. Erst einmal gäbe es die Möglichkeit, ein neues Bündnis zu schließen und eine/n neue/n Bundeskanzler/in zu wählen.

Koalition der Herzen

Stellen wir uns vor, dass sich Saskia Esken, Kevin Kühnert, Rolf Mützenich (alle SPD), Janine Wissler (Linke) und Jürgen Trittin und Aminata Touré (beide Die Grünen) bei einem „Kraftriegel der Produktion“ zusammensetzen und im „Hinterzimmer“ etwas auskungeln. Diese Vertreterinnen und Vertreter aller drei Parteien haben immer wieder inhaltliche Nähe deutlich weiter links als Scholz und Baerbock erkennen lassen; auch die jeweiligen Parteien und Fraktionen ticken tendenziell eher weiter links als ihr aktuelles Spitzenpersonal (mit Ausnahme der Linkspartei, da gibt’s nur links und ganz links).

Eine Linkskoalition unter diesem Personal – das auch im Fall eines Rücktritts (und Machtverlusts) Baerbocks oder Scholz‘ noch da und vermutlich gestärkt wäre – ist alles andere als undenkbar. Scholz und Baerbock können jetzt noch so viel abwinken, gewählt werden bundesweit Parteien (Ausnahme: Potsdam, dort treten Baerbock und Scholz zusätzlich gegeneinander um das Direktmandat an) und diese bestimmen über die inhaltliche Ausrichtung der Politik.

Linksbündnis – auch/vor allem ohne Scholz und Baerbock denkbar

Dass die Linkspartei aber in unserem Land keine Verantwortung übertragen bekommen sollte, das hat ihre Enthaltung in der Frage der Evakuierungen aus Afghanistan jüngst gezeigt. Auch das Wahlprogramm dieser Partei kommt nach unserer Einschätzung nicht sehr gut weg. Jeder Wählerin und jedem Wähler sollte dies bewusst sein, wenn er oder sie am 26. September das Kreuzchen macht – oder auch zuvor bei der Briefwahl.

Selbst also wenn Baerbock und Scholz das Linksbündnis also für sich selbst ausschlössen, jeder Wählerin und jedem Wähler muss bewusst sein, dass es keine Garantie gibt, dass sich die Parteien nach der Wahl an die Aussagen ihrer heutigen Spitzenkandidaten/in halten, ganz im Gegenteil. Die Verunglimpfung der aktuellen Debatte als „aufgewärmte Rote-Socken-Kampagne“ ist also mehr als ungerechtfertigt, sondern die Debatte ist überaus wichtig für die Richtung in unserem Land.

HMS

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