„Mit Schröder muss man nicht sentimental sein“

Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Reihe Parlamentarische Pause ≠ politische Pause. Wir werden in der sommerlichen Zeit weiterhin politische Bücher besprechen, uns mit den Sommerinterviews von ARD und ZDF beschäftigen, selber Schwerpunktthemen setzen, Interviews führen und uns einiges Spannendes einfallen lassen. Am Ende steht ein Fazit, wie wir den Sommer mit und für euch erlebt haben.

Vor knapp zwei Wochen sagte Gerhard Schröder im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages auf Einladung der Linkspartei als Sachverständiger zur Gaspipeline Nord Stream 2 aus. Ausgerechnet die Linke, die Schröder sonst meidet, wie der Teufel das Weihwasser, hatte diesen kleinen Coup gelandet. Ein weiterer kleiner Coup ist die sehenswerte Dokumentation Gerhard Schröder – Schlage die Trommel über den Altkanzler, die Arte an diesem Dienstag, den 14. Juli, erstmalig zeigt.

Wird es jetzt Ernst für Gerhard Schröder? Wohl eher nicht. // © Deutscher Bundestag / Achim Melde

In dem knapp einstündigen Film zeichnet Regisseur Torsten Körner (Angela Merkel – Die Unerwartete, 2016; Angela Merkel – Im Lauf der Zeit, 2022) die wesentlichen Stationen in Schröders bisherigem Leben und insbesondere dessen von 1998 bis 2005 währender Kanzlerschaft nach. Nicht fehlen dürfen eine Reihe von Zeitgenoss.innen und Wegbegleiter.innen – u. a. Joschka Fischer, Sigmar Gabriel, Gesine Schwan, der ehemalige polnische Präsident Aleksander Kwasniewski, der Ex-Außenminister Frankreichs, Hubert Védrine, Renate Künast und Oskar Lafontaine – solchen also, die es heute noch gut mit ihm meinen und solchen, die Schröder vielleicht auch so meiden dürften, wie der Teufel das Weihwasser.

Ärmliche Verhältnisse und die Mutter ein „Löwe“

Schröder wurde 1944 in ärmlichste Verhältnisse geboren und hat sich in den 54 folgenden Jahren bis ins höchste Regierungsamt hochgekämpft. Die Jugendzeit wird dabei in der in fünf Kapiteln gegliederten Dokumentation recht schnell abgehandelt und so landet der Film zügig im Jahr 1980, als Schröder erstmalig in den Bundestag gewählt wird. Häufiger wird seine von ihm sehr geliebte Mutter, die den Spitznamen „Löwe“ hatte, und welch wichtige Rolle sie für ihn spielte, erwähnt. Da Schröder allerdings meinte, aus dem Bundestag heraus werde es mit der Kanzlerschaft nicht gelingen, wechselte er 1986 in den Hannoveraner Landtag, wo er zuerst Oppositionsführer, ab 1990 Ministerpräsident und schließlich Kanzler im Wartestand ist. Schröder hatte schon sehr früh klar gemacht, dass die Landeshauptstadt an der Leine nur eine Zwischenstation ins Kanzleramt sein solle. Die Story vom Rütteln am Zaun ist ja bereits legendär.

Nachdem er 1994 noch Rudolf Scharping den Vortritt bei der Kanzlerkandidatur lassen musste, war er 1998 mit bekanntem Ausgang an der Reihe. Schröders Amtszeit als Regierungschef fiel in eine Zeit schwerer Entscheidungen: Eintritt in den Kosovokrieg, Solidarität mit den USA nach dem 11. September 2001, das beharrliche Nein zum Irak-Krieg außenpolitisch; innenpolitisch war er mit Massenarbeitslosigkeit konfrontiert, die er durch die Hartz-Gesetze bekämpfte, damit seine Partei de facto spaltete und sich damit auch „verantwortlich für den Niedergang der SPD“ zeichne (Oskar Lafontaine). Das waren Risse, die bis heute tiefe Wunden hinterlassen haben. Oder, wie der bislang letzte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in der Doku sagt: „Schröder schlachtete heilige Kühe.“ Nach der Kanzlerschaft schließlich wechselte Schröder in die Unternehmensführung der russischen De Facto-Staatsunternehmen Rosneft und Nord Stream AG, für die er heute Lobbyarbeit macht.

Genau diese Lobbyarbeit wird im Film, wenn auch etwas schwammig, vermittelt, dann doch von verschiedenen Seiten (u. a. sehr differenziert von Otto Schily) kritisiert. Lediglich Joschka Fischer sagt, dass er dazu nichts sagen möchte und Sigmar Gabriel gibt an, dass man sich nicht zu schade sei, Schröder und seine guten Kontakte zu Putin zu nutzen, wenn es beispielsweise um Gefangene in der Ukraine gehe, ihn dann am nächsten Tag aber wieder kritisiere. An diesem Vorwurf der Doppelmoral und Heuchelei ist natürlich durchaus etwas dran.

Ein sehr breitbeiniges Ego

Dass Schröder kein Mann von kleinem Ego ist, wird in der Dokumentation auch an verschiedenen Stellen betont. Sei es im Zusammenspiel mit anderen mächtigen Männern, seinem Auftreten gegenüber Wegkamerad.innen, speziell auch seinem recht besonderen Verhältnis zu Oskar Lafontaine. So schenken sich die „zwei gewaltigen Zwanzigender“ (Joschka Fischer) auch in der Rückschau nichts. Lafontaine macht Schröder, wie bereits erwähnt, mitverantwortlich für den Niedergang der SPD und unterstellt ihm Verrat an Wähler.innen und Genoss.innen, Schröder belächelt Lafontaine in erster Linie in seinen die Archivaufnahmen begleitenden Kommentaren. Ein faszinierendes Beispiel und gleichsam tiefer Einblick in die Persönlichkeit der beiden Alphas ist folgender Moment – Lafontaine: „Ich hätte damals [nach der Wahl Schröders zum Kanzler, Anm. d. Red.] vorsichtig sein sollen, weil die Medien immer schrieben: ‚Lafontaine ist der Regisseur, Schröder steht auf der Bühne.‘“ – Schröder: „Aber das war mit mir nun gar nicht zu machen.“

Das ist unterhaltsam, dennoch ist diese Breitbeinigkeit auch ein wenig bedenklich. So merkt Joschka Fischer an, dass Schröders größte Schwäche seine Angst vor einem Kontrollverlust sei; bloß kein Abhängigkeitsverhältnis entstehen lassen. Dies führte schließlich zu Neuwahlen und dem Verlust der Kanzlerschaft (die Elefantenrunde fällt in der Dokumentation übrigens leider gänzlich unter den Tisch). Deutlich kritisiert wird diese Breitbeinigkeit auch von den zwei prominentesten interviewten noch heute politisch aktiven Frauen, Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen, von 2001 bis 2005 Landwirtschaftsministerin im Kabinett Schröder, und Gesine Schwan, seit 1972 SPD-Mitglied und seit 2014 Vorsitzende der Grundwertekommission der Partei. Dabei werden absolut richtige Sätze gesagt, doch mögen die eventuell ein wenig unter den Tisch fallen, da beide Politikerinnen doch eher stark polarisieren. Wobei Gesine Schwan hier noch am aufgeräumtesten wirkt.

Auch die aktuelle Frau des Altkanzlers, Soyeon Schröder-Kim, kommt zu Wort. // Foto: MDR / © Broadview

Das Verhältnis Schröders zu Frauen wird natürlich auch angesprochen. Ein wenig wirkt das wie eine der besseren Bunte-Stories, was durchaus positiv ist. So wechselte er diese zwar häufiger, aber suchte sich wohl immer Frauen, die ihm auch Paroli bieten konnten (was Doris Schröder-Kopf auch heute noch gern via Facebook tut), die er zu dieser Zeit aber wohl immer absolut liebte und die quasi seine Sparringspartnerinnen waren. Quasi seien es Verhältnisse auf Augenhöhe gewesen, was auch an einem Zitat Sigmar Gabriels verdeutlicht werden soll: „Ich hab mit Schröder Fußball geguckt, als er bügeln musste.“

Also Ego, Lautstärke, Männlichkeit und doch Bewusstsein und Menschlichkeit. Seinem Draht zu „den Menschen“ und seiner Fähigkeit mitzuziehen, ja eben zu trommeln, wie der sich auf ein Gedicht Heinrich Heines beziehende Titel es schon andeutet, wird hier dann auch von allen Seiten Respekt gezollt. So beginnt der ehemalige Kanzler dann auch mit einer Mini-Lesung: „Schlage die Trommel und fürchte dich nicht, / und küsse die Marketenderin! / Das ist die ganze Wissenschaft / das ist der Bücher tiefster Sinn. / Ich habe sie begriffen, weil ich gescheit / und weil ich ein guter Tambour bin“. Das ist das poetische Dem-Volk-aufs-Maul-schauen.

Die SPD als Schlachter

Auf einer weiteren Ebene geht es natürlich auch immer wieder um die Partei SPD und die kommt, so im Großen und Ganzen, nicht so richtig gut weg. Martin Schulz, ehemaliger Vorsitzender und grandios-krachend gescheiterter Kanzlerkandidat 2017, sagt, dass es ein wiederkehrendes Phänomen der SPD sei, dass das, was im Inneren der Partei diskutiert werde, oft nichts mit dem zu tun habe, was im Volk diskutiert werde. So wollte die Partei Lafontaine als Vorsitzenden und Kanzler, das Volk aber Schröder, dasselbe würden wir dieser Tage wieder erleben. Stimmt. 

Auch Sigmar Gabriel lässt immer mal wieder eine gewisse Grundunzufriedenheit mit seiner Partei erkennen und das war wohlgemerkt, bevor man sich beschwingt mit dem Schlachtermesser auf ihn und speziell seine Tönnies-Beratungstätigkeit warf. 

Am besten bringt es der Künstler und enge Freund Schröders, Markus Lüpertz, dessen Werke die Dokumentation auch begleiten, auf den Punkt, als er sagt, die SPD habe „eine große Tradition drin, dass sie ihre Helden, und sie hatte ja wirklich ein paar bemerkenswerte und großartige Leute und sie wurden alle von der Partei geschlachtet, weil scheinbar im Sozialismus […] zu viel Spießertum herrscht.“ Andererseits, so Gesine Schwan, „mit Schröder muss man nicht sentimental sein, dem kann man sagen ‚Is‘ Feierabend.’“

AS / HMS

Gerhard Schröder – Schlage die Trommel; MDR, 2019; Ein Film von Torsten Körner; läuft am 14. Juli 2020 um 21:45 Uhr auf arte und ist bis zum 12. August 2020 in der Mediathek verfügbar.

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