„Nicht geplant, aber auch kein Zufall“

Zur Erholung von der gestrigen Niedersachsen-Wahl und dem Niedersachsen-Tatort haben wir uns überlegt, für den heutigen Montag einmal das Land zu verlassen und in das uns völlig unbekannte und fremde Land Österreich zu wechseln und zwar in eine Stadt namens „Wien“. Hier lebt  -– womöglich Tür an Tür mit Dominik Barta – der aus der Uckermark stammende Tino Schlench, der, so gibt er in einem Porträt im Börsenblatt im Rahmen seiner Nominierung für den Young Excellence Award 2021 an, eher ein Fernsehkind gewesen sei…

Besonderheiten und Ton und Form

…der Weg zur Literatur „war im Grunde Teil einer pubertären Revolte.“ Nun, Viva la revolución können wir da wohl nur sagen. Denn sonst wären uns und vielen, vielen anderen Menschen der feinsinnige Instagram-Account, der sachkundige Blog und seit Juni 2020 der Audiospur-Podcast des Literaturpalast-Errichters vorenthalten geblieben.

Hinterhofleben mit Tino Schlench // Foto: © Michael Marlovics

Besonders an allen drei Outlets ist dabei nicht nur ein selten zu findender, ganz eigener und vor allem nicht anbiedernder Ton, sondern auch der ursprüngliche Fokus auf den deutschen und europäischen Osten. So heißt der Podcast, der in Kooperation mit TRADUKI entsteht, in Gänze dann auch: Literaturpalast Audiospur – Geschichten aus Südosteuropa. Hier spricht Schlench einmal im Monat mit „Autor*innen, Übersetzer*innen, Journalist*innen oder Menschen des literarischen Lebens, die sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit der Literatur Südosteuropas auseinandersetzen“, wie er es auf seiner Homepage beschreibt.

Aus dem Rahmen fallen

Dass er sich in den Folgen mit einer Länge von jeweils circa einer Stunde Zeit für Themen, Gäste und Gedanken nimmt, sticht dabei angenehm heraus. In diesem Sinne empfehlen wir euch die Audiospur aufrichtig (es gibt u. a. interessante und sehr aufschlussreiche Folgen mit Dana Grigorcea, Autorin von Die nicht sterben, oder Marie-Janine Calic, Autorin einer tief gehenden Tito-Biografie). Doch allein vom Reden und Lesen und Schreiben über das Lesen kann fast niemand leben.

So arbeitet der 1983 geborene Wahl-Wiener, der mal als Praktikant in der Shoah-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem und im Anschluss bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv tätig war, nun neben manch einer Moderation seit etwa einem Jahr für den kleinen Wiener Buchverlag TEXT/RAHMEN. Bleibt sich und seiner thematischen Leidenschaft aber auch dort treu und bemüht sich auch darum, Übersetzungen aus dem osteuropäischen Raum unterzubringen.

Vaterkomplex par excellence 

Was zu klappen scheint: Am 3. November 2022 erscheint der kroatische Roman Daddy Issues von Dino Pešut in der Übersetzung von Alida Bremer; im Frühjahr 2023 folgt der rumänische Roman Soldaten von Adrian Schiop (Übersetzung: Eva Ruth Wemme). Tino dazu: „Bei beiden Fällen handelt es sich um queere Autoren/Romane – das war nicht geplant, ist aber auch kein Zufall.“

Tino Schlench am Yppenplatz im 16. Wiener Bezirk, Ottakring (ob die Taube im Hintergrund auf ihren Einsatz als Stand-In wartet, entzieht sich unserer Kenntnis) // © Michael Marlovics

Natürlich war es auch kein Zufall, dass wir ihn eigeladen haben, an unserer 5 Fragen an…-Reihe teilzunehmen. Nun also los!

Achso: Unnötig es extra anzumerken, aber sei’s drum – den Young Excellence Award 2021 erhielt natürlich er.

Welches Buch hat Dich zuletzt geprägt oder berührt?

Tino Schlench: Literarisch geprägt hat mich vermutlich besonders die Literatur Österreichs, Autor:innen wie Ingeborg Bachmann, Peter Handke, Thomas Bernhard oder Elias Canetti (den zähle ich dazu). Ohne Malina von Ingeborg Bachmann wäre ich womöglich nie nach Wien gezogen, wo ich seit sieben Jahren lebe. An meinem Interesse für Mittel- und Osteuropa sind der Ungar Péter Nádas und der Rumäne Mircea Cărtărescu maßgeblich beteiligt.

Welcher Film/welche Serie ist Dir deutlich in Erinnerung?

Tino Schlench: Ich liebe anstrengende Autor:innenfilme. Zuletzt habe ich mir endlich ein paar Sachen des polnischen Regisseurs Krzysztof Kieślowski angesehen, die mir allesamt gut gefallen haben. Besonders schön fand ich den dritten Teil seiner Drei-Farben-Trilogie Rot. Die Atmosphäre, das Augenmerk für Details, das Gewicht von Kleinigkeiten, das zurückgenommene Spiel, ja, sowas gefällt mir schon sehr gut.

Gibt es auch was an Musik?

Tino Schlench: Mir wird immer stärker bewusst, dass ich musikalisch völlig in den 90er-Jahren hängengeblieben bin. Über aktuelle Neuerscheinungen informiere ich mich vor allem auf der Hipster-Seite pitchfork.com und lasse mir von deren Redaktions-Team auch gern einreden, was ich gut oder weniger interessant zu finden habe. Während ich kitschige Bücher oder Filme überhaupt nicht ertrage, darf’s musikalisch gern dramatischer zugehen. Zum Leidwesen meines Umfelds singe ich nach ein paar Gläsern Wein dann auch gern mal mit, beispielsweise beim besten Popsong aller Zeiten, der nun tatsächlich gar nichts mit dem 90ern zu tun hat: „Se telefonando“ von Mina aus den 60ern, produziert von Ennio Morricone.

Was kommt Schönes auf den Teller, und was auf gar keinen Fall?

Tino Schlench: Die richtige Menge an Butter und Knoblauch macht jede Mahlzeit zu einem festlichen Gericht!

Ein letzter Gedanke, der nicht fehlen darf?

Tino Schlench: „wer zu spät kommt findet vor“ (aus einem Gedicht von Cornelia Hülmbauer)

📖🍷

PS: Wer Tino Schlench nun prompt kennenlernen möchte, hat dazu direkt morgen, am 11. Oktober, in Wien Gelegenheit. In der Hauptbücherei am Gürtel moderiert er die Buchpräsentation von Andrej Kurkows Kriminalroman Samson und Nadjeschda (bei Diogenes). Auf seiner Homepage findet ihr auch weitere Termine

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