Unsympathische Menschen haben auch gute Ideen

Das Coronavirus hat nicht nur diejenigen hart getroffen, die ihren Urlaub ein-, zweimal im Jahr in der Ferne verbringen, sondern auch jene, die ihre Reisetätigkeit tagtäglich mit ihrem Job verbinden. Die ZDF-Autorin Sibylle Smolka hat in der Dokureihe 37 Grad die Thematik des Digitalen Nomadentums aufgegriffen und in der – in mehrerlei Hinsicht aufregenden – halbstündigen Reportage Homeoffice am Strand – Mit dem Notebook auf Weltreise drei Lebensentwürfe porträtiert, die von der „sesshaften Normalität“ abweichen.

Ein Portrait über das Leben als Aussteiger

Immer mehr, zumeist junge, Leute geben ihr strukturiertes Leben in Deutschland oder an einem anderen festen Ort auf, beispielsweise Nick Martin, dessen Buch Die geilste Lücke im Lebenslauf – 6 Jahre Weltreisen wir bereits vor einiger Zeit besprochen haben. Autorin Smolka begleitet nun Bastian, der momentan in Thailand lebt und sich über die Jahre ein Online-Business mit Aussteigerberatung aufgebaut hat. Jenny und Christian weilen gemeinsam mit ihrem Baby auf den Kanarischen Inseln und verdienen ihr Geld als Influencer. Und Nina flüchtet mit ihrem siebenjährigen Sohn Nicolai nach Griechenland, von wo sie in ihrem Van Online-Schooling anbietet – allerdings nicht ohne Schuldgefühle, da sie ihren nicht mehr ganz jungen (aber scheinbar auch nicht ganz schlecht situierten) Vater in Deutschland zurücklässt.

Jenny und Christian Juraschek sind immer online.

In allen drei Beispielen geht die Autorin darauf ein, wie sich ein Leben on the road gestaltet, mit welchen Schwierigkeiten die Reisenden oft unerwartet konfrontiert sind, aber auch welche Vorzüge sie genießen. Das Leben unterwegs bietet derer so einige, wie das plakative Home Office am Strand, aber auch Probleme und Hindernisse, die Sesshafte nicht zu erdulden haben. Auch die Perspektive der zu Hause Gebliebenen (in der Regel sind das die Eltern) kommt nicht zu kurz, auch wenn man ihnen die Wehmut über die ganz anderen Lebensentwürfe ihrer Kinder anmerkt. Smolka schafft es, all diese vielfältigen Perspektiven einzufangen und anhand der begleiteten Personen für das Publikum erfahrbar zu machen.

Was ist Heimat? Was ist Verantwortung?

Was ein wenig überrascht, ist, dass die Protagonistinnen und Protagonisten nicht immer die größten Sympathieträger sind. Nina beispielsweise beteuert, dass sie und ihr Sohn es sich in ihrem Leben gut eingerichtet hätten. Das mag stimmen. Aber seien wir mal ehrlich: Welcher Siebenjährige ist so weit zu sagen: „Mama, ich würde lieber daheim bei Opa bleiben?“ Ein Leben auf der Reise mag dazu führen, dass die Kinder bereits in frühen Jahren viel von der Welt sehen, dass sie polyglott und interkulturell aufwachsen und dass sie vorurteilsfrei(er) durch die Welt gehen als viele andere Gleichaltrige. Gleichzeitig wird sich kaum ein wohliges Gefühl von Heimat einstellen können. Das mag nicht jeden stören, aber manche Kinder brauchen eben doch einen solchen Ankerpunkt.

Nina Buschmann arbeitet am liebsten mit Panoramablick.

Auch Ninas Aussage, dass sie „mit einem bisschen schlechtem Gewissen“ losfahre, weil sie ihren alten Vater allein lasse – es könnte ihm ja etwas passieren, er könnte stürzen oder ähnliches – wirkt zwar authentisch, aber dennoch zweischneidig. Es ist verständlich, dass sie das Fernweh plagt, aber wenn die Sorge um ihren Vater groß ist, dann muss sie abwägen, was ihr wichtiger ist. Die Reise mit dem Sohn oder doch die empfundene Verantwortung für den Vater. Ihre Entscheidung ist legitim und ein deutliches Beispiel dafür, vor welchen Entscheidungen Aussteiger stehen. Dennoch trifft sie sie bewusst und manchen mag sie falsch, ja egoistisch, vorkommen und ihre Begründung halbseiden.

Trotz aller Schwächen eine aufschlussreiche Doku

Trotz allem ist Smolniks Doku gut gemacht und bietet allen Kritischen einen Eindruck davon, wie das Leben im Homeoffice am Strand aussieht. Es sollte nicht so kritisch beäugt werden, wie es manche Eltern anfangs tun und bietet neben vielen Gefahren auch viele Chancen. Wir empfehlen die Doku daher trotz teils unsympathischer Beteiligter denen, die skeptisch sind, ob ein solches Leben überhaupt funktionieren kann.

HMS

37 Grad – Homeoffice am Strand, Sibylle Smolka, in der ZDF-Mediathek verfügbar bis 22.9.2025

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