„Donbass“: Das Drama einer Farce

Beitragsbild: Eine der Episoden in Donbass zeigt, absurd und zutreffend wie alles andere im Film, wie in den besetzten Separatistengebieten junge Männer „rekrutiert“ werden. // © Salzgeber

„[I]n kriegsbedingt besonders unsicheren Zeiten wird der Begriff Menschlichkeit auf viele Jahre hinaus definiert.“ Das sagt der ukrainische Regisseur und Drehbuchautor Sergei Loznitsa im Zusammenhang mit seinem ausgezeichneten und preisgekrönten (Preis für Beste Regie in der Sektion Un Certain Regard  bei den Filmfestspielen von Cannes) Film Donbass, der bereits im Sommer 2018 in den Kinos lief. Im Lichte – oder eher Schatten – des Aggressionskriegs des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen die Ukraine darf und sollte er nun breiter wieder- und neuentdeckt werden, denn über den deutschen Verleiher Salzgeber ist er seit dem 3. März erneut in einigen Kinos zu sehen und natürlich im Salzgeber Club.

Hier, bevor wir uns Donbass genauer ansehen wollen, gleich der Hinweis, dass Salzgeber bis auf Weiteres alle Einnahmen, die aus dem Streaming über vimeo generiert werden, der Spendenaktion “Queere Nothilfe Ukraine” des Aktionsbündnisses gegen Homophobie e. V. zukommen lässt.

„Das verzerrte Spiegelbild einer Unterwelt…“

Donbass ist der fünfte Spielfilm, des ebenfalls im Bereich Dokumentarfilm versierten (Maidan, 2014; Babyn Jar. Kontext, 2021), ukrainischen Regisseurs Sergei Loznitsa, der als internationale Koproduktion in der etwa 300 km westlich von Donezk liegenden Großstadt Krywyj Rih gedreht wurde. In der Tragikomödie oder passender dem Drama einer Farce, legt Loznitsa 13 Episoden, Vignetten, übereinander, die größtenteils in den besetzten Gebieten der Ukraine spielen, angesiedelt in den Jahren 2014 und 2015. Verknüpft werden diese durch einzelne Figuren, die uns von einer Geschichte in die nächste tragen.

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Dabei ist diese Groteske zwar ein fiktionales Werk, jedoch, wie Loznitsa in seinem Statement zum Film anmerkt, basieren sie alle „auf wahren Ereignissen, so unglaublich diese auch scheinen mögen.“ Zu Beginn des Films begegnen wir einem Filmteam, das einen fingierten feindlichen Anschlag inszeniert – diesem Team werden wir am Ende in einer so sicher sitzenden wie bitteren Pointe wieder begegnen. Da ist die Politikerin, die aus Rache für einen vermeintlichen Rufmord einen Eimer Scheiße über den Kopf eines Chefredakteurs kippt; der Mann dessen Auto von der Polizeibehörde Neureusslands nicht gestohlen, sondern enteignet wird; der Mann, der ein Kamerateam durch eine weitverzweigte Bunkeranlage führt oder jener, der mit einem Schild „Freiwilliger eines Vernichtungsbataillons“ der Öffentlichkeit vorgeführt und von ihr misshandelt wird („Nicht fluchen, hier sind Kinder!“). Teile dieser Öffentlichkeit fahren danach zu einer hysterischen Hochzeit, von der wieder andere zum „rumballern“ weiterfahren.

„…in einem gekrümmten Spiegel“

Die Übergänge der einzelnen Episoden sind so fließend wie es jene von absurdem, teils bitterem Humor zu finsterem Drama und harter Gewalt sind. In manchen Episoden finden wir alles drei vereint. In Anlehnung an den russischen Schriftsteller, Oppositionellen und Dissidenten (noch in der Sowjetunion) Warlam Tichonowitsch Schalamow* nennt Autor und Regisseur Sergei Loznitsa, das worum es in Donbass geht „das verzerrte Spiegelbild einer Unterwelt in einem gekrümmten Spiegel.“ Eine treffende Beschreibung.

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Ebenso vermittelt Donbass ein nachvollziehbares Bild der Mentalitäten die in so einem besetzten Kriegsgebiet, einer auseinandergerissenen Welt, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion immer um zwei verschiedene Zukunftskonzepte rang: Jenes der Reformen und der Zuwendung hin zu Europa und jenes, das, so auch Loznitsa, die „Rückkehr zu einem Leben in einem totalitären Regime sowjetischen Typs“ bedeuten würde. Die Ukraine wandte sich, mit kurzen Brüchen, eher dem europäischen Modell zu, wohingegen ein Putin’sches Russland das totalitäre Großmachtstreben vorantrieb. Und schon holt „der Russe“ sich die Krim. 

Kurz mal Geschichte

Diese Hintergründe und Zusammenhänge tauchen im Film nicht direkt auf, es ist aber nicht verkehrt, um sie zu wissen; wie auch jenen Punkt, den wir aus dem Statement des Regisseurs zitieren wollen:

„Man muss bedenken, dass das Donbass eine Industrieregion ist, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter Einsatz von Arbeitern, die keinen Lohn erhielten, entwickelt hat: den Häftlingen aus dem Gulag. Deren Nachkommen ließen sich in der Region nieder und bauten rund um die Fabriken sowie in den Lagerbaracken eine eigenartige Gemeinschaft auf. In den letzten Jahren, vor allem unter dem ehemaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, der aus dem Donbass stammt, hat sich ein zunehmend kriminelles Klima in der Region entwickelt.“

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In diesem Klima gelang es paramilitärischen Gruppen, die sich, wie auch Catherine Belton es in ihrem Buch Putins Netz erläutert, teils schon Jahre zuvor über einen langen Zeitraum hinweg in der Region etablierten und ihren Einflussbereich ausbauten, auch durch Finanzierungs- und Militärhilfen des russischen Nachbarn, dieses Territorium unter sich aufzuteilen. So sei der Krieg eben weitergegangen, wie Loznitsa anmerkt, weil Russland die Separatistenbewegung weiter unterstützte. Alles mit dem Ziel, eine unabhängige, dem Westen zugewandte Ukraine zu verhindern. 

Dass Putin diese Gebiete und deren „Schutzbedürftigkeit“ nun nutzen würde, um seine kriegerische Aggression zu begründen, konnte Sergei Loznitsa hier natürlich noch nicht einfließen lassen. Dennoch scheint dieser Ausblick zwischen seinen Worten reinzuwirken. Wenn ein Krieg nicht endet, wird er meist schlimmer. 

„Die faschistische Pest in der Westukraine“

Ob diese Befürchtung auch die Figuren des Films Donbass mit und in sich tragen? Schwer zu sagen. Während einer Busfahrt (während der dieser Satz fällt: „Rumänien… Wie so ein Land so verkommen kann…“) ins besetzte Gebiet, hören wir eine Frau sprechen, die noch Hoffnung zu haben scheint, eines Tages in ihre frühere Wohnung zurückkehren zu können. Die Menschen scheinen sich an die Situation gewöhnen zu wollen, zu müssen. Die Medien sind fasziniert, ein deutscher Reporter („[…] das dritte Team in zehn Tagen“) besucht die Separatisten, die gegen die „Faschisten“ kämpfen, eine abstruse Stelle mit Sprengwirkung. 

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Etwas, das Donbass wirklich, wirklich schafft, ist es, wie oben erwähnt, ein Bild der Menschen in diesen besetzten Gebieten zu vermitteln. Zu zeigen, was der Zusammenbruch der für sie bekannten Gesellschaft aus ihnen macht und wer sie im Innersten sind. Für uns war der Moment, der Vorführung des oben angesprochenen Mannes ein Schlüsselmoment des Films. Zeigt er doch, wie der Hass gegen „die Anderen“ wirken und als Narrativ eingesetzt werden kann; ein Brot-und-Spiele-Moment par excellence. Loznitsa, der hier in erster Linie normale Bürger:innen zeigt, sagt, was ihn umtreibe, sei „der Menschentyp, der von einer durch Aggressivität, Niedergang und Zerfall geprägten Gesellschaft hervorgebracht wird.“ Das bildet er famos ab.

Eine dringend gebotene Einordnung

Ebenso kann und, ja, sollte der Film exemplarisch für die Dinge, die kamen, wie sie wurden, was sie sind und wie das, was nun geschieht, zumindest in Teilen, eingeordnet werden kann, verstanden werden. Für all jene also, die diesen Krieg, der, von Berlin aus gesehen, gerade einmal zwei Flugstunden entfernt liegt, zum Anlass nehmen, sich mehr mit den direkten und indirekten Nachbarn im Osten und dem postsowjetischen Raum zu beschäftigen, sei Donbass als eine düster-heitere, tragikomisch-groteske, hervorragend gefilmte Einordnung eines Konflikts, seiner Folgen und der Menschen mittendrin dringend empfohlen. 

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„Es sind die Menschen, ihre Mentalität, ihre Beziehungen untereinander, die den Boden für historische Katastrophen bereiten.“

Regisseur und Drehbuchautor Sergei Loznitsa

AS

PS: Für jene, die aus ihrem totalen und vollumfänglichen Verständnis der Zusammenhänge aus der Ferne und der Mentalität von Stärke und einem Putin, der „heroisch“ gegen die „weichgespülte Verwestlichung“ ankämpft, fordern, keine Waffen an die Ukraine zu schicken, sei Donbass erst recht empfohlen. 

*Die Bücher und Schriften von Warlam Tichonowitsch Schalamow** findet ihr übrigens bei Matthes & Seitz (**kein Affiliate-Link, die findet ihr bei uns eh nicht***).

Donbass läuft seit dem 3. März wieder in einigen Kinos.

Ebenso ist er als Video on Demand zu finden. Alle Einnahmen, die aus dem Streaming über vimeo generiert werden, lässt Salzgeber der Spendenaktion “Queere Nothilfe Ukraine” des Aktionsbündnisses gegen Homophobie e.V. zukommen.

Donbass; Ukraine 2018; Regie & Drehbuch: Sergei Loznitsa; Kamera: Oleg Mutu; Darstellende: Boris Kamorzin, Georgi Delijew, Tamara Yacenko, Olesya Zhurakovskaya, Irina Plesnyaeva, Thorsten Merten; FSK: 12; Laufzeit: ca. 121 Minuten; deutsche Synchronisation und ukrainisch-russische Originalfassung mit deutschen Untertiteln; im Verleih von Salzgeber

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