Skandale auf dem Weg ins Kanzleramt

Dieser Beitrag ist auch Teil unserer Superdupermegawahljahr 2021-Reihe.

In der durch soziale Medien unterstützten Empörungsgesellschaft tendieren wir dazu, vieles (vor-)schnell zu skandalisieren. Das mag gerne mal ein wenig übertrieben sein, hat aber oft auch keine so großen Folgen. Wenn es aber darum geht, wer unsere Regierung führt, dann sollten wir durchaus genau hingucken. Welche Skandale gab und gibt es um Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz? Welche sind vielleicht gar keine Skandale, sondern einfach auch durch so manche Überempörung überbewertet? Wir versuchen uns an einer kleinen Einordnung (in alphabetischer Reihenfolge).

Annalena Baerbock – Kupfermünzen und abkupfern

Starten wir mit Annalena Baerbock, der Kandidatin von Bündnis 90/Die Grünen. Eine ihrer größten Schwächen im Kampf ums Kanzler(innen)amt dürfte sein, dass sie keine Regierungserfahrung hat, weder auf Landes- noch auf Bundesebene. Das ist natürlich kein Skandal, denn irgendwo muss man ja anfangen, auch wenn Bundeskanzlerin schon ein sehr hoher Einstieg wäre.

Gleichzeitig „hilft“ es ihr aber dahingehend, dass Baerbock noch eher für einen Aufbruch steht. Es gab für sie schlicht keine Gelegenheit, sich durch schlechtes Regierungshandeln auszuzeichnen. Ihre „Skandale“ sind somit auch eher jüngerer Natur und erst im Wahlkampf aufgetaucht. Wir erinnern uns: die nicht gemeldeten Nebeneinkünfte, wiederholt stümperhaft überarbeitete Lebensläufe und die Plagiatsaffäre um ihr Buch Jetzt.

Alles ärgerlich und in einer klugen Kampagne auch vermeidbar. Vor allem die Plagiatssache lässt aber ein wenig an der Integrität zweifeln. Plagiate sind Betrug und Diebstahl geistigen Eigentums. Wenn jemand, der oder die plagiiert hat, in Verantwortung, dann handelt es sich um eine Person, die sich nicht so sehr um Betrug schert – ja, Franziska Giffey, Sie sind gemeint. Das rüttelt an der moralischen und persönlichen Integrität und nicht zu Unrecht wurden Plagiatsfälle in der Vergangenheit mit permanenten persönlichen Konsequenzen verbunden. Bei Baerbock scheint der Plagiarismus in diesem Fall zwar tatsächlich streitbar zu sein und alle in ihrem Buch aufgeworfenen Punkte kann man ihr tatsächlich auch persönlich zuschreiben. Ärgerlich ist es dennoch, jedoch unserer Einschätzung nach eher heiße Luft als ein handfester Skandal.

Armin Laschet – Abzug nicht nur in der Haltungsnote

Nächster Kandidat ist Armin Laschet, Kandidat der CDU/CSU. Laschet wirkt ein wenig wie der geborene Nachfolger von Angela Merkel, war von 2005 bis 2010 Integrations- und Familienminister in Nordrhein-Westfalen. Seit 2017 ist er – damals etwas überraschend – Ministerpräsident im größten Bundesland. Anders als Baerbock hat er also Regierungserfahrung.

Bei Skandalen sieht es allerdings eigentlich eher mau aus. Selbst die Journalisten Moritz Küpper und Tobias Blasius konstatieren dies in ihrer bereits im vergangenen Jahr erschienenen Biografie Der Machtmenschliche. Lediglich die Klausurenaffäre aus 2014 ist dort aufgeführt. Laschet hatte in seiner Zeit in der Opposition einen Lehrauftrag an der RWTH Aachen angenommen, Klausuren vermutlich verschlampt (offiziell sind sie in der Post verloren gegangen) und die Noten für seine Studierenden aus dem Gedächtnisprotokoll vergeben.

Doof nur, dass auch Studierende eine Note bekamen, die die Klausur gar nicht mitgeschrieben hatten. Der Verdacht liegt also nahe, dass das Gedächtnisprotokoll des Armin Laschet eher ein Gehirngespinst ist. Und auch diese Episode fällt in die Kategorie persönliche Integrität. Ein solches Vorgehen ist schwierig, eines potentiellen Kanzlers eigentlich nicht würdig. Aber ähnlich wie bei Baerbock hat das mit Laschets Amtsführung erst einmal wenig zu tun. Trotz Schusseligkeit könnte er wohl dennoch ein guter Kanzler sein. Er bräuchte nur ein gutes Team, das auch ein wenig auf ihn achtet. Dass er aber Teamplayer ist – anders als beispielsweise Friedrich Merz oder Markus Söder – das hat Laschet immer wieder bewiesen.

Wer einmal lacht…

Im Rahmen des Wahlkampfs kamen nun noch ein paar weitere Punkte hinzu, die auch Blasius und Küpper nicht berücksichtigen konnten, die Flut im Ahrtal zuvorderst. Diese konnte Laschet natürlich nicht verhindern, aber als Ministerpräsident von NRW sorgte er offenbar für eine rasche und bürokratiearme Hilfe für die Opfer (Ausnahmefälle bestätigen natürlich die Regel). Auch war er an führender Stelle daran beteiligt, einen solidarischen Hilfsfonds des Bundes von 30 Milliarden Euro zu schaffen. Eigentlich also gutes Krisenmanagement würde man vermuten.

Wenn nur „der Lacher“ nicht gewesen wäre. Laschet wurde in einem Moment von den Kameras eingefangen, der rückblickend als der Anfang vom Ende gesehen werden dürfte. Während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Statement abgibt und das Leid der Opfer beklagt, lacht Laschet im Hintergrund herzhaft. Stimmt, PR-technisch ein Super-GAU und in der Tat ist es in der Situation unpassend, aber seien wir mal ehrlich: Nur weil jemand in einem falschen Moment einmal kurz lacht – an dem Interview Steinmeiers war er ja gar nicht beteiligt – sollte man seine persönliche Eignung für ein politisches Amt nicht so fundamental in Frage stellen, wie die Öffentlichkeit dies seither tut.

Dieser „Skandal“ scheint doch eher übertrieben zu sein, aber wird natürlich von der öffentlichen PR-Maschinerie und so mancher Empörungsblase genährt und gefüttert. Im Prinzip lässt sich aber festhalten, dass die „Skandale“ um Armin Laschet zwar nicht unter den Tisch gekehrt werden dürfen, aber etwas, das ihm das höchste Regierungsamt der Bundesrepublik verwehrt und fundamental an seinen Führungsqualitäten zweifeln lässt, ist eigentlich nicht dabei.

Olaf Scholz – es blitzt und blinkt…

Ein etwas anderer Eindruck drängt sich uns beim SPD-Kandidaten Olaf Scholz auf. Wir haben dies kürzlich schon an anderer Stelle zusammengefasst, aber seine „Amtsführung“ ist nach unserer Einschätzung alles andere als wirklich kanzlertauglich. Er ist seit Agenda-Zeiten in der vordersten Reihe der SPD – also seit etwa 20 Jahren – und fast durchgängig mehr oder weniger unmittelbar in Regierungsverantwortung und natürlich geht in so langer Zeit auch einmal etwas schief.

In Scholz‘ Fall ist das aber wirklich eine Menge. 2017 das Chaos um den G20-Gipfel in Hamburg (aka „Hafengeburtstag“ – Hamburg sah danach wohl in der Tat so aus, als ob ein überaus großer Geburtstag dort gefeiert, aber am Ende nicht aufgeräumt worden wäre), die Affären um die Cum-Ex-Betrügereien und seine Amtsführung als Bundesfinanzminister sind zu nennen.

…und perlt alles ab – wie bei einem Lotus

Wirecard und der größte Finanzskandal hierzulande seit dem Zweiten Weltkrieg ist schon fast vergessen, obwohl tausende Anlegerinnen und Anleger ihr Erspartes verloren haben – von Olaf Scholz bekommen sie nur lauwarme Worte und die kalte Schulter. Und die Durchsuchungen in seinem Haus sowie im ebenfalls SPD-geführten Bundesjustizministerium (mittlerweile nur noch in Teilzeit, da die Ministerin Christine Lambrecht sich seit einigen Monaten auch um das Familienressort kümmern muss) sind zwar noch ganz frisch, vielleicht in der Tat überzogen, aber sein Umgang damit ist eines Kanzlers, der rechtsstaatliche Prinzipien hochalten sollte, eigentlich nicht würdig.

Scholz scheint jegliche Kritik einfach an sich abperlen lassen zu können – und dafür gefeiert zu werden. Er hat es in den letzten Wochen verstanden, sich in öffentlichen Auftritten um Fragen herumzuwinden, selbst wenn sie eigentlich nur ein eindeutiges „Ja“ oder „Nein“ zugelassen hätten. Ein solch teflonartiges Verhalten kennen wir von Ursula von der Leyen und dafür wurde diese stets heftig kritisiert. Bei Scholz scheint das niemanden zu interessieren. Oder es gar zu goutieren.

Vermutlich liegt es auch daran, dass die Inhalte so abstrakt sind, hohe Zahlen, Kritik am Rechtsstaat – das ist weit weniger greif- und visualisierbar als beispielsweise ein unglücklich platzierter Lacher. Vermutlich ist das einer der Gründe, warum Kritik so an Scholz und seiner Partei abperlt, auch wenn diese Fehler, diese Versäumnisse, dieses Missmanagement, die Steuerzahlerinnen und -zahler wohl schon heute deutlich mehr gekostet haben dürften als Laschets Lacher oder Baerbocks Plagiatsangelegenheit das jemals tun dürften.

Es wäre wünschenswert, wenn die Bürgerinnen und Bürger, die Wählerinnen und Wähler, dies am Sonntag berücksichtigen, die tatsächliche „Schwere“ der „Skandale“ gegeneinander abwägen. Und wenn sie eben nicht allem, dem in unserer aufmerksamkeitsheischenden, durch sozial-mediale Filterblasen unterstützte Mechanismen gleich das Label „Skandal“ aufgeklebt wird, auch unkritisch folgen. Dafür ist die Verantwortung zu groß, die der oder die Sieger/in des Wahlsonntags für unser Land tragen wird.

HMS

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