Gedöns in Teilzeit

Die SPD verweigert nach dem Rücktritt von Familienministerin Giffey die Arbeit und verwehrt sich jeden Gestaltungs- oder Verwaltungsanspruchs. Wieso sollte man diese Partei in Regierungsverantwortung bringen? Ein Kommentar.

Nach dem Rücktritt von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey hat sich die SPD entschlossen, ihr Ministeramt nicht mehr nachzubesetzen. Die wesentlichen Vorhaben des Koalitionsvertrags seien abgearbeitet und formale Gesetzgebungsprozesse seien angesichts von nur noch zwei Sitzungswochen im Parlament nicht mehr zu erwarten. Nun übernimmt Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, die, wir erinnern uns, auch nur ins Amt kam, weil die SPD nach dem Ausscheiden von Katarina Barley 2019 eine Kompromisskandidatin brauchte, das Amt auch noch kommissarisch mit.

Teilzeitlösung für Giffey

Allerdings erschließt sich nur bedingt, warum es für Giffey keine offizielle Nachfolge geben soll. Noch vor vier Jahren gab es eine Personalrochade, weil Außenminister Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten gewählt wurde und der Schulz-Zug lostuckerte. Sigmar Gabriel übernahm daraufhin das Auswärtige Amt und gab den Parteivorsitz ab. Sein Amt als Bundeswirtschaftsminister übernahm seine Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries und die Partei führte daraufhin Martin Schulz mit seinen legendären 100 Prozent. Das spielte sich Ende Januar 2017 ab, also gerade mal vier Monate länger vor der damaligen Bundestagswahl.

Klar, das Außen- und das Wirtschaftsministerium nehmen in der gesamten Bundespolitik noch eine andere Rolle ein als das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Oder „Gedöns“, wie Gerhard Schröder (ja, SPD) es einst bezeichnete. Aber dass nun das Ministerium für ein halbes Jahr unbesetzt bleiben soll, ist doch mehr als fragwürdig. Es stimmt, es sind nun nur mehr zwei Sitzungswochen bis zur Bundestagswahl und für neue Gesetzesinitiativen ist jetzt kaum noch Zeit, wenn sie noch vor der Wahl verabschiedet werden sollen, wie die SPD argumentiert. Aber die Ausarbeitung von Gesetzesvorlagen ist ja nicht die einzige Aufgabe der Bundesregierung.

Aufgabe der Regierung: Vollzug der Gesetze

Die Bundesregierung vollzieht laut Grundgesetz die Gesetze. Also selbst wenn nun keine neuen familienpolitischen Maßnahmen mehr anstehen, dem zuständigen Ministerium wird künftig nur ein halber Kopf zur Verfügung stehen, um die Aufgaben des Gesetzesvollzugs auszufüllen, denn Christine Lambrecht ist ja weiterhin zugleich auch Chefin des Justizministeriums.

Wir wissen auch, dass dies für eine Weile nur bedingt ein Problem darstellt. Nach der letzten Bundestagswahl wechselte Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ihre Position und wurde Faktionschefin, Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wurde zum Bundestagspräsidenten und Alexander Dobrindt (CSU) verließ das Verkehrsressort und wurde Chef der mächtigen Landesgruppe. Ihre Häuser wurden kommissarisch von Katarina Barley, Peter Altmaier und Christian Schmidt geführt. Und solange keine neue Regierung stand, durften sie in der Kontinuität die Geschäfte der Verwaltung am Laufen halten, wenngleich sie kein Initiativrecht für Gesetzesvorschläge mehr hatten.

Das führte aber auch dazu, dass beispielsweise der kommissarische Verkehrsminister Schmidt eine weitreichende Entscheidung über den Einsatz von Glyphosat an Bahntrassen traf – sehr zum Unmut der SPD. Und die kommissarische Amtsführung in jeweils zwei Häusern zog sich für die Dame und die Herren ob der langwierigen Regierungsbildung – fehlgeschlagene Jamaika-Sondierungen, Weigerung der Kühnert-SPD, in die Koalition einzutreten, langwierige Mitgliederentscheide – ein halbes Jahr lang hin. Und ein weiteres halbes Jahr stand die aktuelle Regierung halbwegs still als die SPD 2019 nach einer Nachfolge für die zurückgetretene Parteivorsitzende Andrea Nahles suchte, aber das mal nur am Rande.

Doppelbelastung für Lambrecht

Was passiert also, wenn die Mehrheiten nach der Bundestagswahl nicht klar sind? Wenn Koalitionsgespräche schwierig sind? Wenn die aktuelle Regierung also lange kommissarisch weiter im Amt bleibt? Dann ist vor allem Christine Lambrecht nicht zu beneiden, denn wie gesagt, das Tagesgeschäft läuft weiter. Berichte müssen geschrieben werden, Repräsentationstermine wahrgenommen und internationale Beziehungen gepflegt. Und das müsste sie dann für zwei Häuser erledigen.

Jenseits der persönlichen Belastung – ist nicht die SPD die Partei, die sich für den Schutz von Arbeitnehmerrechten einsetzt? – wird es auch dem Familienministerium nicht gerecht. Das Ressort ist für so viele verschiedene gesellschaftspolitische Facetten verantwortlich – Generationengerechtigkeit, Gleichstellung, Digitalisierung sowie Demokratieförderung und Extremismusprävention. Sind das nicht alles Dinge, die der SPD angeblich am Herzen liegen? Dinge, die in der heutigen Zeit von Coronabewältigung, Querdenken, rechtsextremen Ausfällen in weiten Teilen nicht nur Ostdeutschlands oder einfach bei der Anerkennung der Leistung von Vätern und Müttern von Bedeutung sind?

Gestaltungsanspruch und Verantwortung? Nicht mit der SPD!

Die SPD hätte sogar Leute, die sich in der Materie gut auskennen. Caren Marks zum Beispiel, Parlamentarische Staatssekretärin seit 2013, war schon vor Ex-Ministerin Giffey mit den Themen und Besonderheiten des Hauses vertraut; zuvor war sie Sprecherin ihrer Fraktion für diese Themen. Sie könnte doch ohne Probleme den Job übernehmen. Aber nein, es scheint, dass die SPD, wie schon nach der letzten Wahl, jeden Gestaltungsanspruch verloren und ein vollkommen irrationales Verständnis von Verantwortung für unser Land hat.

Der Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat Franziska Giffey gestern über den grünen Klee gelobt. Vermutlich hat er darüber hinaus vergessen, was Verantwortung und Respekt vor einem Regierungsamt bedeuten. Und vergessen, in welche Situation wir nach der Wahl kommen könnten. Das mag manchen nicht überraschen, denn selbst in seinem eigenen Ressort hat Scholz ja schon so einiges vergessen, Cum-Ex, etc. lassen grüßen. Aber es stellt sich durchaus die Frage, warum man die SPD überhaupt noch wählen sollte, wenn sie erneut solch eine Arbeitsverweigerung betreibt und jeden Gestaltungsanspruch bereits vorab abgibt. Und warum sie unter diesen Voraussetzungen überhaupt einen Kanzlerkandidaten aufstellt. Oder warum Franziska Giffey nun noch gut genug als Spitzenkandidatin im Land Berlin sein soll.

HMS

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