Barrie Kosky’s Veg

Jedem Abschied wohnt ein Zauber inne. Hach… wenn’s doch nur so wäre. Definitiv ist das aber bei Barrie Koskys Abschied von der Komischen Oper in Berlin so. Mit einer bunten, verrückten, lauten, auch mal melancholischen, das Leben und das Jüdische und Jiddische feiernden Revue verabschiedet sich der Intendant und Chefregisseur, der sich selber einmal als „schwules jüdisches Känguru“ beschrieb, nach zehn Jahren und mit vielen Weggefährt*innen vom Haus in der Behrenstraße, dessen Schicksal vor seinem Antritt eher weniger rosig aussah.

Strahlende, funkelnde Hommage

Rosig strahlend – okay, streng genommen schwarz funkelnd – ist der Auftakt von Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue dank Mizzi Rubenstein und den Otto Pickle Dancers, die mit „Abi gezunt“ den Saal auf den Abend (in unserem Fall den Nachmittag) einstimmt. Wobei Mizzi Rubenstein ein Name ist, der der Fantasie entspringt – die Künstlerin wird von Gastsolistin Ruth Brauer-Kvam verkörpert. In der Tat mit so viel Körperlichkeit wie Stimmgewalt, die sie kurz vor Schluss mit den Barrie Kosky Sisters (Helene Schneiderman, Alma Sadé, Sigalit Feig, Katharine Mehrling) in einem grandiosen Medley erneut beweist.

Mizzi Rubenstein aka Ruth Brauer-Kvam und Tanzensemble The Otto Pickle Dancers eröffnen Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue // Foto: © Monika Rittershaus

Die Revue ist eine große Hommage an die Catskills Mountains in den 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Hier, nördlich von New York gelegen, verbrachten viele New Yorker Jüdinnen und Juden ihre Sommerzeit. Es entstanden Hotels, Bars, Clubs und mit ihnen kam das Entertainment. Im, auch unabhängig von der Revue, lesenswerten Programmheft erfahren wir, dass hier, in diesem Zentrum jüdischer Unterhaltungskultur nach dem Zweiten Weltkrieg, Mel Brooks, Bette Midler, Sammy Davies Jr., Joan Rivers und Barbra Streisand erste Auftritte gehabt hätten.

Dominik Köninger und Alma Sadé als Romantic Couple sorgen für melancholische Romantik in Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue // Foto: © Monika Rittershaus

Schon damals war die Mischung bunt, waren die Einflüsse zahlreich, wurden die Stimmungen gewechselt. Insofern ist diese Inszenierung, bei der Kosky sich bewusst gegen Oper und Operette entschied, denn „jede Oper oder Operette, die ich gemacht hätte, [hätte] eine enorme Bedeutung erhalten“, so treffend als Hommage wie als krachendes Goodbye, dabei eine Reise durch die verschiedensten erdachten Etablissements und einem Wort des Sponsors – genießen wir also gefillte Fisch im Glas.

Herschel, Nüsse und Gürkchen

Die meisten der Titel, die bis auf wenige englischsprachige Ausnahmen allesamt in Jiddisch gegeben werden, dürften eher unbekannt sein. Wenn natürlich auch „Hava Nagila“ und „Bay mir bistu sheyn“ nicht fehlen. Darüber hinaus begegnen wir dennoch wohl nicht gänzlich fremden Themen: dem Verhältnis von mame und bubele, inklusive Abschied und Sorge, der Bezug zum Essen (ob Latkes oder diverse Gürkchen, alles dabei), den Ehemännern, der Suche nach Heimat, nahezu alles gespickt mit dem famosen und berühmt-berüchtigten jüdischen Humor.

Max Hoppelsteiner, Cowboy aus Berlin in Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue // Foto: © Monika Rittershaus

Ein Witz-Highlight dürfte dabei der Auftritt von Ensemblemitglied Max Hopp als Max Hoppelsteiner, Cowboy aus Berlin, markieren, der uns über eine durchaus lange Zeit mit Stand-Up-Comedy zu begeistern weiß und bei dessen finaler Pointe der Geschichte von „Herschel, the Magnificent Jew“ ein Lachgewitter im Saal losbricht. Dass der ganze Auftritt, an den sich noch ein Musikstück mit Ehefrau Zelda Appelboim (Andreja Schneider) anschließt, dann doch einen Ticken zu lang gerät, ist zu verschmerzen.

Eine riesenhafte Ensembleleistung

Überhaupt sind die knapp drei Stunden mit einer Pause schnell vorüber. So viel Freude und Rührung bereitet es zu sehen, wie Dagmar Manzel unter anderem erst einen Elvis und dann eine trauernde mame gibt, die nur um ein Kaddish des Sohnes bittet, ja fleht oder die Geschwister Pfister als The Freylakh Tripletts die Bühne so unsicher machen wie den Saal zur Begeisterung treiben. Wenn Yossele Rosenblatt (Barbara Spitz) and his Flat Foot Floozy Boys als chassidische Juden in einer Mischung aus Free- und Hip-Hop-Style tanzen, dann ist ohnehin alles andere egal. 

The Freylakh Tripletts aka Andreja Schneider, Tobias Bonn, Christoph Marti (Geschwister Pfister) und Tanzensemble in Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue // Foto: © Monika Rittershaus

Aus dem Ensemble müssen neben den bereits genannten unbedingt noch Alma Sadé, Philipp Meierhöfer und Peter Renz genannt werden; in einem Auftritt mit Renz glänzt Gastsolist Helmut Baumann, sie besingen „Bloye nekht fun Tel Aviv“ – die blauen Nächte von Tel Aviv. Gastsolistin Helene Schneiderman präsentiert den opernhaftesten Moment, wenn sie als Sylvie Sonitzki das Kind, das sie nicht hat, besingt. Die aus Tel Aviv stammende Sigalit Feig gibt für ihre Lola Levenshuss alles und es lohnt sich.

Wobei es leidlich ist, hier nur einzelne hervorzuheben (und doch machen wir’s, nun ja), denn Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue ist eine riesenhafte Ensembleleistung mit starken Chor und wahnsinnig begeisternden, von Otto Pichler famos choreografierten Tanzmomenten. Adam Benzwi, der die Musikalische Leitung innehat, und das Orchester („The Borscht Belt Swingers“) werden zurecht im Saal gefeiert und im Anschluss hochgelobt. Die Kostüme von Klaus Bruns reißen uns ebenso mit wie das reduzierte und doch wirksame Bühnenbild.

Hershel Baumann aka Helmut Baumann und Manny Renz aka Peter Renz und Tanzensmble in Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue // Foto: © Monika Rittershaus

Knalliger Aberwitz voll liebevollen Zaubers

Mitgerissen werden wir auch vom Finale „Der nayer sher“, das natürlich noch einmal alle auf der Bühne vereint. Das Tanzensemble, das die Otto Pickle Dancers gibt, schmeißt nochmals alle Energie in den Saal, es ist ein lautes, wildes, buntes, chaotisches Tohuwabohu, das ansteckt, begeistert, flasht. Wippen und Klatschen wechseln sich ab und am Ende denken wir an den Beginn als es hieß: „Wir missen alle a bissle meschugge sejn, um nicht ganz farrigt zu werden.“

Laverne Kalish aka Barbara Spitz und The Otto Pickle Dancers „Makin Wicky-Wacky Down in Waikiki“ in Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue // Foto: © Monika Rittershaus

Apropos Ende: Womöglich ist dieser Abschied auch deshalb so zauberhaft, weil er nur ein halber ist. Kosky übergibt den Stab an die Doppelspitze Susanne Moser und Philip Bröking, ab Sommer 2023 wird das Haus in eine längere und komplexe Sanierungsphase gehen und doch: Kosky bleibt als Hausregisseur. L’Chaim!

AS

PS: Hier gibt es übrigens eine kleine Catskill-Playlist. In der findet ihr manches von The Barry Sisters – noch viel mehr gibt’s bspw. bei Spotify (wo ihr übrigens auch unsere QUEERS-SOUNDS-Playlist findet) und iTunes.

PPS: Im Verlag C.H. Beck ist im Sommer 2020 Der jiddische Witz – Eine vergnügliche Geschichte von Jakob Hessing erschienen; unsere Besprechung steht noch aus, der Hinweis sei aber schon mal gegeben. 

Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue noch am 29.6., 2.7., 6.7. und am 10.7. (Nachmittags- und Abendvorstellung)

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