Liebe an Bord der Maximiliane

An dieser Stelle zwei Coming-outs. Erstens schätze ich Udo Jürgens und viele, viele seiner Lieder sehr. Zweitens habe ich dennoch nie das seit 2007 tourende Musical Ich war noch niemals in New York gesehen. Dafür nun aber den auf diesem basierenden Film von Philipp Stölzl, der heute Abend im Ersten zu sehen ist. 

Verwöhnt, vergessen und vermessen

Die selbstbezogene und erfolgsverwöhnte TV-Moderatorin Lisa Wartberg (Heike Makatsch, Tatort, Herzogpark) fällt aus allen Wolken, als ihr ihr Senderchef (Cornelius Oboaya, Maria Theresia) offenbart, dass aufgrund mangelnder Quoten die Einstellung ihrer Promi-Klatsch-Sendung drohe. Dabei hat sie hierfür doch die Beziehung zu ihrer stillen, mittlerweile 66-jährigen Mutter (Katharina Thalbach) und zu ihrem Liebesleben solide vernachlässigt.

Im Leben der TV-Moderatorin Lisa (Heike Makatsch) dreht sich alles um ihre Talkshow, Celebritys und die Quote // © ARD Degeto/2019 UFA Fiction Productions GMBH / Ziegler Film GMBH & Co. KG / Mythos Film Produktions GMBH & Co. KG / Graf Film GMBH / Universal Pictures Productions GmbH, all rights reserved

Als Mutti nach einen Sturz das Gedächtnis verliert und aus dem Krankenhaus ausbüxt, finden Lisa und ihr Make-Up-Artist Fred (Michael Ostrowski) sie an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, denn sie war noch niemals in New York. Sie verpassen den Absprung und der Kapitän (wunderbar: Stefan Kurt) macht sie als blinde Passagiere aus, die fortan ihre Überfahrt abzuarbeiten haben. Mutti und Töchterchen als Teil der Kabinencrew, Fred als Assistent von Bordmagier Costa (Pasquale Aleardi).

Nicht nur zwischen den beiden fliegen bald die Funken, auch Lisa beginnt sich für den drögen Darmstädter Stochastiker Axel Staudach (Moritz Bleibtreu, Faking Hitler) zu interessieren und Mutti begegnet dem Eintänzer Otto (läuft: Uwe Ochsenknecht), der sie jedoch bereits zu kennen scheint. Während der Überfahrt sehen sich nicht nur alle mit ungeahnten Gefühlen konfrontiert, sondern auch mit den Fragen: Wer bin ich, wer will ich sein und wo will ich hin?

Aber bitte mit Sahne auf dem Kreuzfahrtschiff! // © ARD Degeto/2019 UFA Fiction Productions GMBH / Ziegler Film GMBH & Co. KG / Mythos Film Produktions GMBH & Co. KG / Graf Film GMBH / Universal Pictures Productions GmbH, all rights reserved

Kunterbunt und wunderlaut

Die quietschbunte, nicht selten überdrehte Varieté-Nummer Ich war noch niemals in New York bietet neben den übergroßen, uns allen bekannten Gassenhauern Jürgens’ ebenso einige seiner nicht jedem Menschen vertrauten Nummern, was zu einer angenehmen Mischung und einer gern gesehenen oder eher gehörten Vielseitig- und -stimmigkeit beiträgt. 

Axel (Moritz Bleibtreu, re.) und Florian (Marlon Schramm) freuen sich über die Bekanntschaft von Lisa (Heike Makatsch) // © ARD Degeto/2019 UFA Fiction Productions GMBH / Ziegler Film GMBH & Co. KG / Mythos Film Produktions GMBH & Co. KG / Graf Film GMBH / Universal Pictures Productions GmbH, all rights reserved

Es mag daran liegen, dass mir wie erwähnt das Musical unbekannt ist, doch finde ich im Gegensatz zu manch anderen Rezensenten den rasanten Einstieg (mit abgewandelten Versionen von „Vielen Dank für die Blumen“ und „Aber bitte mit Sahne“) durchaus charmant, der macht Lust auf mehr. Diese Lust wird bedient, wenn die zwei Stunden Filmlaufzeit auch nicht ohne Länge auskommen. 

Dichte Gags und schwule Liebe

So ist beispielsweise die Nummer „Ich kann, ich will“ deutlich zu lang geraten und weit weniger zauberhaft präsentiert, als der bühnenversierte Regisseur Stölzl sich das wohl dachte. Ebenso will die kathartische Nummer „Illusionen“ nicht so recht aufgehen und irritiert eher. Dafür glänzen Pasquale Aleardi und Uwe Ochsenknecht (bei dem hier zuerst das Gefühl aufkam, als hätte man eigentlich Ulrich Tukur besetzen wollen und die beiden verwechselt) in ihren Rollen und als Sänger. Darüber hinaus bietet das Drehbuch von Alexander Dydyna (Der Vorname, übrigens am 25. Juli im Ersten zu sehen) eine solide und variantenreiche Gagdichte.

Auf der Bühne: Costa (Pasquale Aleardi, li.) und Fred (Michael Ostrowksi) // © ARD Degeto/2019 UFA Fiction Productions GMBH / Ziegler Film GMBH & Co. KG / Mythos Film Produktions GMBH & Co. KG / Graf Film GMBH / Universal Pictures Productions GmbH, all rights reserved

Ebenso überzeugt das bewusst künstlich und wie (an)gemalt aussehende Retro-Setdesign genau wie die Kostüme, Frisuren und Co. – eine wunderbare Reminiszenz an die Bühne und an die Zeit in der und an den Geist, in dem die meisten der Songs entstanden. Die schwule Liebesgeschichte zwischen Fred und Costa plätschert erst etwas vor sich hin, der Aufbau zu ihrem ersten Mal mutet beinahe übergriffig an, dafür gibt’s eine feine Geschichte um Homophobie, Erwartungen und Ängste.

Spiel, Spaß und ein wenig Tiefgang

Natürlich geht am Ende alles irgendwie gut aus, wenn auch für uns Zuschauende das große furiose Spektakel-Finale fehlt, wie es beispielsweise das sehr erfolgreiche, inhaltlich durchwachsene Musical Ku’damm 56 immerhin bietet oder auch die bunte Abschiedsrevue Barrie Kosksys an der Komischen Oper

Der Eintänzer Otto (Uwe Ochsenknecht) mit Maria (Katharina Thalbach) // © ARD Degeto/2019 UFA Fiction Productions GMBH / Ziegler Film GMBH & Co. KG / Mythos Film Produktions GMBH & Co. KG / Graf Film GMBH / Universal Pictures Productions GmbH, all rights reserved

Das ändert aber wenig daran, dass die Musical-Verfilmung Ich war noch niemals in New York gute Laune bereitet und mit einer unerwartet intensiven Message zum angesprochenen Thema, welches Leben ist eigentlich das richtige für mich daherkommt. So lädt der Film nicht nur zum Mitwippen, -summen und -singen sondern gar noch zu einer kleinen Introspektion ein. Wenn das mal nichts ist!

Außerdem: „Was nutzt dir der Kalamar am Morgen, wenn Oktopus ist frisch.“

AS

© ARD Degeto/2019 UFA Fiction Productions GMH / Ziegler Film GMBH & Co. KG / Mythos Film Produktions GMBH & Co. KG / Graf Film GMBH / Universal Pictures Productions GmbH, all rights reserved

Das Erste zeigt Ich war noch niemals in New York im Rahmen der Reihe Sommerkino im Ersten am Montag, 11. Juli 2022 um 20:15 Uhr (Wdh. in der Nacht um 1:20 Uhr); er wird anschließend NICHT in der Mediathek zur Verfügung stehen.

Ich war noch niemals in New York; Deutschland, Österreich, 2019; Regie: Philipp Stölzl; Drehbuch: Alexander Dydyna; Kamera: Thomas Kiennast; Musik: Christoph Israel; Darsteller*innen: Heike Makatsch, Moritz Bleibtreu, Katharina Thalbach, Uwe Ochsenknecht, Michael Ostrowski, Pasquale Aleardi, Marlon Schramm, Stefan Kurt, Andreja Schneider, Philipp Hochmair, Cornelius Obonya, Franziska Weisz, u. v. m.; Laufzeit: ca. 120 Minuten; FSK: 0

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