„Der Film zeigt, dass wir nicht pauschal über Menschen urteilen können“ 

Nicht nur zwischen den Kommissarinnen Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Anäis Schmitz (Florence Kasumba) gibt es im Tatort: Die Rache an der Welt einiges an Konflikten. Auch bei den Zuschauer*innen dürfte manch ein Moment äußerst kontrovers ankommen – vermutlich aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die NDR-Redakteurin Angela Scheele hat mit Florence Kasumba hierüber sowie über Flucht, Rassismus, Vorurteile und ihre Rolle im Niedersachsen-Tatort gesprochen.

Angela Scheele: Wenn in einem Tatort ein Geflüchteter unter Mordverdacht steht, muss mit dem Thema besonders sensibel umgegangen werden. Das meint zumindest der Drehbuchautor Daniel Nocke. Haben Sie das auch gedacht, als Sie das Drehbuch in die Hand bekamen? 

Florence Kasumba: Wenn ein Mord geschieht, müssen alle Spuren verfolgt werden. Nationalität und Herkunft spielen da keine Rolle. Beim Lesen habe ich gehofft, dass beim Dreh darauf geachtet wird, dass die tatverdächtigen Figuren nicht klischeehaft handeln oder stereotyp gezeichnet sind. Mir ist klar, dass diese Personen nicht repräsentativ für Menschen der gleichen Herkunft stehen. In diesem konkreten Fall erfahren wir nicht viel über den Täter. Er ist ein Mehrfachmörder, dessen Motive wir leider nicht kennenlernen. 

Hatten Sie den Eindruck, dass hier ein Fall selbstverständlich erzählt und gelöst wird, ohne Vorurteile gegenüber Geflüchteten zu schüren?

Ja und Nein. Ich habe mich beim ersten Lesen gefragt, warum offenbar Elmo, der mit allen Beteiligten vertraut ist, nicht als potenzieller Täter in Betracht gezogen wird. Aber es gibt natürlich auch nur eine begrenzte Anzahl an Spuren, die man in einem 90-Minuten-Format legen kann. Die Konfrontationen, in die Charlotte Lindholm mit einigen der Migranten gerät, sind sehr zugespitzt. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass sie diese Situationen eindeutig provoziert: Sowohl in dem Barber-Shop als auch auf dem Spielfeld überschreitet sie eine Grenze, tritt aggressiv und nicht respektvoll auf. So schaukelt sich die Situation auf, und sie holt in diesem Moment „das Schlechteste“ aus den Gruppen heraus, ohne dass ihr das vielleicht bewusst ist. Ich denke, so etwas geschieht in der Realität auch häufig und erklärt, wie sich Konflikte und Einstellungen verhärten können. 

„Von welcher Kultur sprechen wir hier überhaupt?“

Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler, links) und Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) am Fundort der Leiche im aktuellen Fall Tatort: Die Rache an der Welt // © NDR/Christine Schroeder

Zwischen Anäis Schmitz und ihrer Kollegin Lindholm entzündet sich ein Konflikt über die Anwendung von biogeografischen DNA-Herkunftsanalysen. Warum bezieht Schmitz vehement Position gegen dieses neue Verfahren, das angeblich Hin- weise auf die Herkunft des Täters geben könnte?

Die erweiterte Analyse der DNA ist in Deutschland nicht erlaubt. Kommissarin Schmitz hält sich an die Regel. Ihr ist klar, dass das Verfahren zu ungenau ist, um zuverlässige Aussagen zu machen. 

Bei der Vernehmung mit einem weiteren Tatverdächtigen, einem Deutschen, entlarvt Schmitz dessen Macht- und Unterwerfungsfantasien gegenüber Frauen. Ziemlich zeitgleich wirft ihre Kollegin Lindholm einigen Geflüchteten vor, aus einer frauenfeindlichen Kultur zu kommen.

Was ist dran an dem Vorwurf? 

Meiner Meinung nach wird in der Szene auf dem Fußballplatz keine Aussage über eine Kultur getroffen. Denn: Von welcher Kultur sprechen wir hier überhaupt? Wir wissen nicht, woher die Spielteilnehmer in dieser Szene kommen, wen also sollen sie repräsentieren? Und steht der „Wikinger“ für alle Deutschen? Kommissarin Lindholm begegnet den Fußballspielern nicht sehr respektvoll, gefährdet deren Guinness-Buch-Rekord. Die Aussage über die „frauenfeindliche Kultur“, die Charlotte Lindholm trifft, drückt die Haltung ihrer Figur aus, ihre Interpretation der Situation. 

Was macht Anäis Schmitz bei diesem Fall dennanders als ihre Kollegin?

Anaïs nimmt sich in den Verhören zurück, um den befragten Personen mehr Raum zu geben, und beobachtet dann deren Verhalten genau. Ihrer Erfahrung nach sind Menschen, die nicht unter Druck gesetzt werden, hier der Zeuge vom Tatort oder Elmo, eher bereit, ihre Fragen zu beantworten. Manchmal führt das sogar dazu, dass ihr die Verhörten etwas Privates erzählen. Davon profitieren dann beide Ermittlerinnen. 

„Gemordet und vergewaltigt wird überall auf der Welt“

Bei einer Zeugenbefragung heißt es über den Täter: dunkle Haare, stechende Augen und überhaupt sei das keine europäische Tat. Werden da gleich mal alle rassistischen Vorurteile gegenüber Geflüchteten oder Menschen mit Migrationsgeschichte zusammengefasst?

Gemordet und vergewaltigt wird überall auf der Welt. Die Art, in der der Zeuge den Täter beschreibt, charakterisiert seine Figur als einen Menschen, der Vorurteile hat. Schmitz entlarvt ihn mit der Frage „An was macht die (dunkle Ausstrahlung) sich fest?“ und lädt damit das Publikum zur Reflexion ein. Werden hier alle rassistischen Vorurteile gegenüber Geflüchteten oder Menschen mit Migrationshintergrund zusammengefasst? Hier werden nur drei Vorurteile zusammengefasst, leider gibt es da noch wesentlich mehr… 

Kommissarinnen-Team (v.l.n.r.): Anais Schmitz (Florence Kasumba) und Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) im Tatort: Krieg im Kopf // © NDR/Manju Sawhney

In einer anderen Szene stößt Schmitz auf Ablehnung, als sie ein Ehepaar befragt, das Geflüchtete aufnimmt, weil es nicht wahrhaben will, dass auch unter ihnen Menschen sein könnten, die Böses im Sinn haben. Ist das naiv?

Das Ehepaar hat in dieser Szene gar keinen Grund, an der moralischen Integrität der Gäste zu zweifeln. Außer- dem beschreiben sie in dieser und einer anderen Szene ganz klar, dass auch sie von der Anwesenheit ihrer Gäste profitieren. Ehepaar Kaul praktiziert Nächstenliebe. Menschen, die ihre Heimat aus Not verlassen müssen, gehören aufgenommen, unterstützt. Der Film zeigt, dass wir nicht pauschal über Menschen urteilen können. Lebenssituationen sind viel zu komplex. Der Mörder und der „Wikinger“ kommen aus gut situierten Verhältnissen, der Tatverdächtige hält treu zu seiner Familie, von der er nicht weiß, ob sie noch lebt. Alle Drei keine Stereotype. Meine Lieblingsszene im Film ist der Count-Down zum Guinness-Buch-Rekord: Hier sehen wir, wie sich Menschen aus unterschiedlichen Kulturen über etwas freuen, das sie gemeinsam auf die Beine gestellt haben. 

Sie sind seit 2019 Tatort-Kommissarin. Schon damals hatten Sie in internationalen Hollywoodproduktionen wie Black Panther oder Avengers: Infinity War mitgewirkt. Was hat sich für Sie durch Ihre Rolle im Tatort verändert? 

Ich bin seit November 2019 beruflich hauptsächlich im Ausland und konnte aus Zeitgründen kaum Engagements in Deutschland annehmen. Aber ich werde häufig als „Frau Kommissarin“ angesprochen, und Menschen trauen mir auf einmal sehr viel Expertise in polizeilichen und rechtlichen Fragen zu. 

Interview: Angela Scheele/NDR; Bearbeitung und Aufbereitung: Redaktion the little queer review

Tatort: Die Rache an der Welt läuft am 9. Oktober 2022 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

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