Junge(n) Liebe

Die erste Liebe… Sie lässt einen zumeist in Erinnerungen schwelgen, glückliche Jugend, erste zärtliche Erfahrungen mit einem anderen Menschen, Schmetterlinge im Bauch. Doof allerdings, wenn die erste Liebe mit einem Loch im Kopf im Wald liegt und das nur kurz nachdem die bislang letzte Liebe ebenfalls mit Loch im Körper in deinen Armen verblutet ist.

Karow im Sonderurlaub

Herzlich willkommen im Leben des Robert Karow (extrem: Mark Waschke) in seinem neuen – alleinigen – Tatort: Das Opfer. In einem Wald – vermutlich im Südosten Berlins – wird die Leiche von Maik Balthasar (Andreas Pietschmann) gefunden, verdeckter Ermittler bei der Polizei und ein alter Bekannter Karows. Balthasar hatte sich in Absprache mit der ambitionierten und in ihrem Job scheinbar relativ unerfahrenen Staatsanwältin Sara Taghavi (solide: Jasmin Tabatabai) an den Unterweltboss Mesut Günes (Sahin Eryilmaz) herangemacht, auf den offenbar über drei Ecken fast jedes Berliner Verbrechen in den letzten 15 Jahren zurückgeführt werden kann.

Zu den Jobs von Maik (Andreas Pietschmann, r.) gehört es, einmal wöchentlich Sammy Paroussi (Luka Dimić, l.) zu einem Kunden zu fahren // © rbb/Stefan Erhard

Während die zuständigen Kommissare – Karow ist wohl nur als Zeuge vor Ort – klarstellen, dass dies „ihr Fall“ sei, nimmt Karow erst einmal Urlaub. Kann ja jeder halten, wie er will, wa? Irgendwas an dem Fall kommt ihm jedenfalls spanisch oder eher türkisch vor und da die zuständigen Beamten ohnehin offenbar beschließen, nicht mehr zu ermitteln, tut Karow sich in seinem Urlaub keinen Zwang an.

Die Ermittlungen führen ihn tief ins Milieu, in Mesuts Tanzlokal, zur Prostituierten Camilla (Kim Riedle) auf die Spur des verschwundenen Strichers Sammy Paroussi (Luka Dimic), der einen Steady Job hatte, also nur für einen Kunden zur Verfügung stand. Und er führt ihn zurück zu seinem Jugendfreund Maik, der – so wird schnell deutlich – eben mehr als nur ein normaler Freund für Karow war.

Finger in die Wunde

Dieser Tatort von Regisseur Stefan Schaller und Drehbuchautor Markus Nestroy legt nicht nur den kleinen Finger in fast jede Wunde Karows. Letzte Liebe: verloren. Erste Liebe: verloren. Dazu die Parallelen zum vergangenen Fall Das Mädchen, das allein nach Haus‘ geht: mafiöse Clanstrukturen, eine Informantin von „drin“, die „raus“ will und die stetige Suche nach der Wahrheit.

Camilla (Kim Riedle, r.) schleppt den verletzten Robert Karow (Mark Waschke, l.) zum Auto // © rbb/Stefan Erhard

Die ist es nämlich, die Karow antreibt. In Rückblenden erfahren wir stückweise die Geschichte von Karow und Balthasar. Eine Geschichte, die durch eine jähe Wahrheit abrupt beendet wurde. Denn – so Karows Vater philosophisch-prophetisch: „Die Wahrheit ist das Wichtigste.“ Hauptsache diese Wahrheit ist keine Lüge. Aber Karow würde bestimmt alle neun bis zehn Finger drauf verwetten, dass hier etwas faul ist.

Meine Wahrheit, deine Wahrheit

Und Hauptsache es besteht der Wille, diese Wahrheit auch zu sehen. Denn wie bereits angedeutet, die gute Frau Staatsanwältin sowie die ermittelnden Beamten scheinen ihren Job nicht so recht verstanden zu haben („Das sind die Fakten.“ – „Aber es ist nicht die Wahrheit.“). Selbst als Karow ihr in einem recht starken und dennoch gewohnt schnoddrigen Moment erklärt, dass zumindest der Anwalt des später Angeklagten sehr wohl ein Interesse daran haben dürfte, die richtigen Fragen nach dem Motiv und Tathergang zu stellen, scheint sie eher unbeirrt. Stattdessen müssen „diese kleinen Gefallen“ laut ihrer Aussage endlich einmal aufhören.

Von „Memo‘s Tattoo & Döner“ aus beobachtet Karow (Mark Waschke) den Nachtclub von Günes // © rbb/Stefan Erhard

Meine gute Frau Staatsanwältin, tun Sie uns doch den kleinen Gefallen und gehen nochmal zurück zur Uni, denn dort lernen Sie (hoffentlich), wie wichtig die korrekte Aufklärung eines Falls eigentlich ist. Wenn Karow der Einzige ist, der in diesem Fall tatsächlich ermittelt, als Einziger etwas aufsucht, das stark nach Berliner Schulklo aussieht (selbst wenn wir wissen, dass es in einem Döner-Tattoo-Konglomerat spielt), dann sollten alle anderen mal besser die Klappe halten und die „kleinen Gefallen“ gerne erbringen – schließlich macht er ihren Job.

Homofeindlichkeit und verhinderte Liebe

Dieser Tatort ist aber dank des starken und mitreißenden Hauptcharakters Robert Karow sehr sehenswert. Die Spannung ist und bleibt stets hoch, die Geschichte passt auf eine sündige Stadt wie Berlin. Und Mark Waschke legt in diesem Solo eine äußerst überzeugende Leistung hin, die zwischen Trauer, Vergangenheitsbewältigung und Murmeltiertag changiert.

Der junge Robert Karow (Jona Levin Nicolai, r.) lernt den gleichaltrigen Maik (Laurids Schürmann, l.) kennen, der gerade gegenüber von ihm eingezogen ist // © rbb/Stefan Erhard

Dazu gibt es mehr als einen Strang des homosexuellen Erwachens und Alltags. Von gesellschaftlich und religiös motivierter Homofeindlichkeit damals wie heute kommen wir bis zu den großen Gefühlen einer verhinderten Liebe. Das ist berührend und bewegend, gerade eben im Wissen um den Verlust, den Karow immer noch verarbeitet.

HMS

PS: Karow soll in den Urlaub, bis der Verdächtige vor Gericht steht? Das Wort „Vorruhestand“ wäre da wohl treffender. 

PPS: Das Thema des Films passt auch zum gestrigen Internationalen Tag zur Beendigung von Gewalt an Sexarbeiter*innen. 

Nach Drehschluss für Tatort: Das Opfer: v. l. n. r.: Kameramann Markus Nestroy, die Darsteller Burak Yigit (Dönerladenbesitzer Memo), Mark Waschke (Hauptkommissar Robert Karow), Kim Riedle (Nachtclubarbeiterin Camilla) und Regisseur Stefan Schaller // © rbb/Stefan Erhard

Tatort: Das Opfer läuft am 18. Dezember 2022 um 20:15 Uhr im Ersten; um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar. Seit August 2023 ist der Film erneut bis zum 21. Februar 2024 verfügbar.

Tatort: Das Opfer; Deutschland 2022; Regie: Stefan Schaller; Drehbuch: Erol Yesilkaya; Kamera: Markus Nestroy; Musik: Bert Wrede; Darsteller: Mark Waschke, Andreas Pietschmann, Jasmin Tabatabai, Kim Riedle, Sahin Eryilmaz, Burak Yigit, Ugur Kaya, Uwe Fischer, Dietrich Hollinderbäumer, u. v. a.; Laufzeit: ca. 88 Minuten; Eine Produktion der Geißendörfer Pictures (Produzentin: Hana Geißendörfer, Produzent: Malte Can, ausführender Produzent: Simon Pirron) im Auftrag der ARD Degeto und des Rundfunk Berlin-Brandenburg für die ARD. Die Redaktion liegt bei Verena Veihl (rbb) und Birgit Titze (ARD Degeto)

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