Wo es doch schon in der Überschrift steht, beginnen wir auch damit: Manches Mal sind wir uns nicht ganz sicher, ob es eher Fluch oder Segen ist, dass wir so aufmerksame Leser*innen haben… Einigen ist jedenfalls aufgefallen, dass wir in diesem Jahr noch nichts großartig zu Prince Charming veröffentlicht haben. Das Reality-Gay-Dating-Format ist seit Ende September mit der vierten Staffel bei RTL+ am Start…
Notiz: „Porschepisser“
…und im Gegensatz zur vorherigen Staffel oder den zwei Princess Charming-Staffeln haben wir keine kommentierten Zusammenfassungen veröffentlicht oder wenigstens Kurzmeldungen wie zu manchen der ersten beiden Prince-Seasons. Das lag auf der einen Seite auch schlicht daran, dass wir einen derart üppigen Oktober hatten, dass wir kaum dazu gekommen wären, wöchentlich unsere super ausgewogen-garstigen Ergüsse zu verschriftlichen.
Auf der anderen Seite lag es aber auch daran, dass wir zwar jede Folge sahen, uns auch zu jeder Einzelnen Notizen machten (etwa: „Von Homos angeekelt? Scheinst immer noch…“; „Diese Vielfalt in der Vielfalt“; „Bindungsscheu? – Nein. Keine Beziehung weil Menschen, die nur miteinander für sich glücklich sein können, die Substanz fehlt“; „Porschepisser“; „Bemüh dich nicht/ich kotz gleich“; „Erst kommen die Gedanken und dann der Verstand“; „Alle doof“; …) und in jeder Episode durchaus Momenten fanden, denen wir etwas abgewinnen konnten…
Kalender und Drehbücher
…und doch war es so, dass jedes Mal, wenn eine zu Ende war, wir dasaßen, einander ansahen und meinten: „Und nun?“ Klar gab es in den bisherigen acht Folgen (das Semi-Finale ist seit heute verfügbar) manches zum Schmunzeln, im besten Sinne zum Ärgern, es gab Gruppen- und Einzeldates, Deep-Talk, reichlich Geknutsche, (zu wenig) Gelästere und (nicht zu wenig) nackte Haut.
Wie wir es aber schon im Fazit zur zweiten Princess Charming-Staffel schrieben, wirkt alles arg schematisch; kommt bald einem Stakkato an abzuhakenden Momenten gleich. Die Gespräche über Coming-Outs, gehänselt werden oder sonstwas unter den Kandidaten wirken nicht nur wie im Kalender eingetragen, sondern auch noch wie zumindest teil-gescripted. Nicht so viel anders ist es in den Gruppen- und zum nicht geringen Teil auch Einzeldates, die die Kandidaten mit Prince Fabian haben. Das ist sehr bedauerlich…
Kaum Charme bei den Charmings
…denn der Zauber der jeweils ersten Staffel der queeren Dating-Formate bestand darin, dass sie zumindest (halbwegs) natürlich wirkten, sich vieles organisch zu entwickeln schien (und nach allem, was mensch so vernommen hat, dies größtenteils auch taten – siehe aber weiter unten). Auch die dritte Charming-Season verstrahlte halbwegs Charme, wusste in jedem Fall gut zu unterhalten – auch mit manch (von Kandidaten) geplantem Drama. Hier aber wiederholen die Kandidaten seit Folge eins vor allem eines: „Ich hatte noch kein Einzeldate. Ich will ein Einzeldate. Wieso hat der ein Einzeldate?!“ Diese erschreckende Redundanz ist ermüdend.
So wird diese vierte Staffel also vor allem als eines im Kopf bleiben: belanglos. Da werden auch das Finale und die Reunion nichts mehr reißen können. Es scheint beinahe so, als läge hier der Fluch der zweiten Staffeln über dem Format. Auf jede gute Season folgt eine schwache (die zweite Prince Charming-Staffel wollen wir vergessen und der zweiten der Princess wollte RTL+ wohl zu sehr die erste ausstechen, was beinahe sagenhaft nach hinten losging). So viel dazu…
The Famesta
…aber es gibt noch etwas, das uns mehr auf einer persönlichen Ebene berührt. Natürlich: Alle sollen nach ihrer Façon selig oder auch geil werden. Manch eine Äußerung, die hier in dieser Staffel getätigt wurde, erinnert weniger an den Ton eines (jungen) schwulen Mannes, als eher an den des Großvaters, der meint: „Was sollen denn die Leute denken?“ Sich in miefig-bürgerlicher Zurückhaltung üben mag nicht die Ultima Ratio sein, Schätzchen… (wobei mensch argumentieren könnte, dass es gut sei, auch solche Stimmen abzubilden).
Darüber hinaus sollte dem RTL+ das Gros der Kandidaten bestenfalls nicht primär nach Insta-Tauglichkeit und Fame-Willen casten, das hinterlässt von Beginn an einen fucking fahlen Beigeschmack. Der nicht durch den Smirnoff Wodka kommt (übrigens auch schwierig; zwar mittlerweile in britischer Hand und doch sehr mit Russland assoziiert. Gab es keinen Finlandia oder Three Sixty Wodka? Es muss ja nicht gleich Belvedere sein.)…
Heuchelei oder Ignoranz?
…in so einem Zusammenhang wundert es nicht, dass mensch immer mehr Stimmen, Halbsätze und Nicht-Mehr-Nur-Andeutungen zu Ohren kommen, dass es teils zu eher unschönen Momenten gekommen sein soll. Eine Verschwiegenheitserklärung allein kann hier nicht die Lösung sein (wenn sie auch in vielerlei Hinsicht sinnvoll ist). Jedenfalls passt es mehr als ins verrutschte Bild, dass Jo aus der ersten Princess Charming-Staffel vor wenigen Tagen etwas zu einem sexuellen Übergriff in der Villa zu sagen hatte.
Es ist klar, dass nicht alles immer kontrolliert werden kann. Aber sich dafür feiern zu lassen oder zuletzt eher lassen zu wollen, offen über jedes Thema die (Homo)Sexualität betreffend zu sprechen, Safe Spaces zu bilden und Sichtbarkeit zu fordern und das Sprechen über Traumata zu fördern und dann nicht die eigene Courage zu besitzen… Huihuihui… Das ist beinahe wie eine WM-Übertragung aus Katar mit einer vorgelagerten Dokumentation, in der ein Schwuler über die Missstände dort spricht, zu rechtfertigen. Beides ist nicht schön. Mindestens.
QR
PS: Wer neun Teile was Besseres sehen möchte, wir empfehlen Second Move Kills, ebenfalls bei RTL+. Da gibt es nur keine Reunion, dafür ein Buch. Dazu aber kommende Woche mehr.
Seit dem 29. September 2022 gibt es wöchentlich eine neue Folge der vierten Staffel Prince Charming bei RTL+; das Finale wird am 24. November gezeigt, eine Wiedersehensfolge am 1. Dezember.
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