Dieses schlechte Glück

Wer bist du, wenn du deine Vergangenheit aus deinem Leben verbannst? Wer, wenn du zwar intensiv und wild lebst und liebst, die Geliebten und dich Liebenden dich aber nicht kennen lässt? Was geschieht, wenn eine Tragödie über dich kommt und sie Gegenwart ist? Auseinandersetzung oder Flucht, bis auch diese Gegenwart weggesperrte Vergangenheit sein kann? Mit diesen aufeinander aufbauenden Fragen – und manchen mehr – setzt sich der neue Film von Pola Beck, Der Russe ist einer, der Birken liebt, auseinander, der am heutigen Donnerstag in unseren Kinos startet. 

Du riechst gut

Literatur– und/oder bestselleraffinen Personen mag der Titel ein Begriff sein, handelt es sich hierbei doch um die Verfilmung von Olga Grjasnowas gleichnamigem Roman, der 2012 bei Hanser erschien und seit geraumer Zeit und mittlerweile in elfter Auflage als Taschenbuch bei dtv vorliegt. Ohne das Buch, dafür aber das Presseheft, gelesen zu haben, kann der Rezensent an dieser Stelle schon einmal sagen: Zwischen Buch und Film gibt es wesentliche Unterschiede, die von der in Baku, Aserbaidschan, geborenen Grjasnowa jedoch in dieser Form goutiert werden, denn sie glaube, „so eine Adaption funktioniert nur, wenn man den Stoff komplett neu für sich interpretiert, sonst wird man wahnsinnig.“

Geliebte…: Elias und Mascha // © Port au Prince Pictures / Juan Sarmiento G.

Wahnsinnig machen kann eine*n der von Burkhardt Wunderlich geschriebene Film hingegen an mancher Stelle durchaus. Dies jedoch im besten Sinne, ist die von der wunderbaren Aylin Tezel (Tatort Dortmund, 7500, Unbroken) verkörperte (!) Hauptfigur Mascha doch so einnehmend wie unberechenbar, so zärtlich wie harsch. Dass die Macher*innen der Verfilmung von Der Russe ist einer, der Birken liebt sich für eine zeit- und ortsversetzte Erzählweise entschieden haben, erscheint daher nur logisch und konsequent.

Russisch-jüdisch-rheinisches Durcheinander 

Durch dieses Ineinandergreifen geschehen nämlich zwei Dinge, die eine dritte Sache bedingen: Wir lernen Mascha zügig und doch in Etappen in all ihren Facetten kennen, was ihre Umgebung miteinschließt. Diese besteht aus ihrem Freund, dem Fußballer Elias (Slavko Popadić, Bonnie und Bonnie; hier mal gegen seine sonst oft gespielten Charaktere antretend), dem besten, schwulen, bei ihr in Köln Wäsche waschenden Freund Cem (Sohel Altan Gol) und im erweiterten Sinne ihrem Ex, Sami (Bardo Böhlefeld).

…Freunde…: Sami, Cem und Mascha // © Port au Prince Pictures / Juan Sarmiento G.

So lernen wir also all diese Menschen nach und nach kennen, dies eben in verschiedenen Entwicklungsstufen der Zeit. Schließlich springt der Film nach kurzer Einleitung in Tel Aviv erst einmal sechs Monate zurück nach Köln – und dann wieder vor und wieder zurück und wieder… So treffen  Mascha und wir in Israel noch Tal (Yuval Scharf, McMafia – ansehen!), mit der, sowie ihren Katzen, sie bald eine wackelige Beziehung eingeht, die der russisch-jüdisch-deutschen Ausreißerin jedoch erst einmal zwei Dinge sagt: Sie sähe nicht jüdisch aus, aber doch so wie eine Frau, die vor ihrem Kerl weggelaufen sei. 

Willst du belogen werden…

Was mich zum dritten Feld kommen lässt: Das versetzte Erzählen lässt die Selbst- und Sinnsuche der gegen wirklich nahezu alle vor allem aus deutschen Produktionen bekannten weiblichen Rollenklischees funktionierenden Mascha, auch uns mit ihr suchen. Ebenso ist lange Zeit unklar, weswegen sie von Köln nach Tel Aviv ging. Ob es hier von Verleiherseite so klug ist, den Grund in der Inhaltsbeschreibung mitzuliefern, darf hinterfragt werden. Für jene, die das Buch nicht kennen, mag die Enthüllung desselben durchaus eine Wucht mit sich bringen, mit der sie nicht gerechnet hätten.

…und neue Liebe: Tal // © Port au Prince Pictures / Juan Sarmiento G.

Überhaupt funktioniert Der Russe ist einer, der Birken liebt anders als viele andere Filme. Immer wieder nimmt die Geschichte um die junge Kosmopolitin, die Identität, Versöhnung mit der Vergangenheit und Liebe ohne Angst sucht, völlig unerwartete Abzweigungen, gern auch auf holprige Wege und kaum betretene Pfade. Im Grunde also ganz so, wie das Leben es in der Tat auch tut. Dazu passt es nur zu gut, dass Regisseurin Pola Beck sagt, dass sie einen zeitgemäßen und vielseitigen statt eines kleingeistigen und braven Films machen wollte.

…oder wissen wer ich bin?

Das ist ihr, gemeinsam mit dem Autoren, wie dem ganzen Team, vollends gelungen. Der Russe ist einer, der Birken liebt ist elliptisch und lyrisch erzählt. Ist mal von düsterer Schwere, mal von lakonischem Witz, gern im zügigen Wechsel. Immer begleitet von nicht selten fantastischen, sicherlich lange in Erinnerung bleibenden Bildern von Juan Sarmiento G. und der stimmungsvollen, Maschas Reise konsequent-subtil begleitenden Musik Johannes Repkas.

Suchende Ankunft: Mascha // © Port au Prince Pictures / Juan Sarmiento G.

Es ist beeindruckend, wie der Film und vor allem Aylin Tezel (die sich schon mal dezent für den Deutschen Filmpreis empfiehlt, wie überhaupt die ganze Nummer hoffentlich zumindest in die engere Auswahl kommt), harte Emotionskontraste, große und kleine Momente, Stille und Lautstärke und Brüche in Menschen auf eine so herausfordernde wie ironisch gebrochene Weise verknüpfen, ja zusammenwerfen, ohne je den Fokus der Figuren und ihres Werdens aus dem Blick zu verlieren. Der Russe ist einer, der Birken liebt ist, ganz wie Regisseurin Beck es sich wünschte, ein Film, an dem mensch sich reiben kann und der nicht allen gefallen wird – um das jedoch zu tun und herausfinden zu können, sollte er dringend vorher angeschaut werden. 

AS

PS: Interessant ist, wie Mascha in Tel Aviv versucht, in der Beziehung zu Tal Elias’ Verhalten zu kopieren und dabei auf die weniger zugänglichen Teile ihres Selbst trifft.

PPS: „Wie viel?“ – „50 Schekel“ – „Du schenkst ihm zehn Euro?“ – „Na was denn? Als ich 13 war hat mir keiner zehn Euro geschenkt.“

PPPS: „In Israel ist alles politisch. Hummus. Weed. Sex. Selbst, wenn man auf die Toilette geht, ist es politisch.“ – „Ja. Alle denken, die ganze Welt hasst uns. Nur darüber sind wir uns einig. Die Welt hasst die Juden.“ – „Hör nicht auf die zwei, sie reden nur Mist“ – „Und du nimmst Hummus als Gleitmittel.“ —> Gerade mit Blick auf die gerade abgehaltenen Wahlen in Israel und eine zum Teil herablassend-unwissende Kommentierung in den deutschen Medien (und in den Sozialen sowieso), ein spannender Moment. Übrigens ist es auch fein, einen deutschen Film zu sehen, der sich nicht in jedem Nebensatz prompt von israelischer Politik distanziert und doch mit einer vermeintlichen Zuneigung kokettiert. 

PPPPS: Im Film wird eine Kindheitsgeschichte um Bergkarabach, den Krieg und den Völkermord an den Armeniern nur angedeutet. Im Buch hingegen kommt diesem Thema wohl eine ganz entscheidende Rolle zu.

Der Russe ist einer, der Birken liebt startet am heutigen Donnerstag in den Kinos.

Der Russe ist einer, der Birken liebt; Deutschland, 2022; Regie: Pola Beck; Drehbuch: Burkhardt Wunderlich, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Olga Grjasnowa; Kamera: Juan Sarmiento G.; Musik: Johannes Repka; Darsteller*innen: Aylin Tezel, Sohel Altan Gol, Slavko Popadić, Yuval Scharf, Bardo Böhlefeld, Aleksandar Jovanovic; Laufzeit ca. 105 Minuten; Sprache: Deutsch, Englisch, Hebräisch, Arabisch, Türkisch, Französisch, Russisch, teils mit Untertiteln; Eine Produktion von augenschein Filmproduktion in Koproduktion mit ZDF/Das kleine Fernsehspiel und in Zusammenarbeit mit ARTE; unterstützt durch die Film- und Medienstiftung NRW, dem Medienboard Berlin- Brandenburg, den Deutschen Filmförderfonds und MEDIA – Creative Europe, im Verleih von Port au Prince Pictures

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