Lauf, Besucher*in, lauf!

Beitragsbild, v. l. n. r.: Kim de l’Horizon rasiert sich bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises 2022 die Haare ab; Impression aus dem Spanien–Pavillon; kleiner Auflauf bei Bastei Lübbe; ein Blick auf den ukrainischen Stand – #StandWithUkraine; ein Blick auf den finnischen Stand, inkl. Mummins // Bilder: © the little queer review

Hui! Das waren üppige Tage in Frankfurt am Main, einer Stadt, das mal gleich vorweg, deren Freund*innen wir nicht werden. Was aber weniger mit Büchern, dem Deutschen Buchpreis, der Buchmesse und dem wunderbaren Pavillon von Gastland Spanien oder dem Frankfurter Römer zu tun hat, sondern eher damit, dass wir – drastischer als hier in Berlin – nicht eine Bahn nahmen, die pünktlich gewesen wäre und, nun, die Stadt einfach nicht so attraktiv daherkommt (was mitnichten für viele der Menschen gilt, die uns da so entgegenkamen oder in der Hotelsauna begegneten).

Sprühende Farben und Lettern

Dieser Messerückblick soll ein wenig persönlicher ausfallen (immerhin erzählten uns einige Leute, dass sie hier und dort beleidigt worden seien) und nicht eine Abarbeitung an den zahlreichen und diversen Programmpunkten sein (unvollständig bleibt er sowieso). Dazu wird es nach und nach an anderer Stelle und thematisch fokussiert einiges zu lesen geben. Wie wichtig diese erste Frankfurter Buchmesse nach pandemiebedingten Teilausfällen, so wirklich live, aber eben doch war, das betonten Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, und Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse seit 2005, bereits in der Eröffnungspressekonferenz (zu der wir es trotz langer Nacht zuvor und dem erwähnten ÖPNV-Problem nahezu pünktlich schafften).

Impression aus dem Spanien-Pavillon // Foto: © Karsten Thormaehlen/SpainFrankfurt 2022

Eine anschließende ausführliche Führung durch den bunten Pavillon des diesjährigen Gastlandes Spanien (nach 1991 zum zweiten Mal Gast; mit einer Delegation von rund 100 spanischen Autor*innen angeführt von Irene Vallejo und Antonio Muñoz Molina) machte dann vollends Bock auf die kommenden Tage. Wunderbar verspielt, aber nicht kitschig, glänzte diese Halle durch eine Mischung aus Kunst und Wort, Wortkunst und Technik, Romantik und Erdung (gestaltet vom Architektur- und Designstudio ENORME gemeinsam mit dem Designteam Vitamin und TwoPoints.Net). Das Motto España – Creatividad Desbordante, also Spanien – Sprühende Kreativität, kann oder konnte als vollends erfüllt angesehen werden. Eine große Bücherwand mit hunderten Neuerscheinungen seit Planungsbeginn im Jahre 2019, eine kunstvolle Wurmfigur als Sitzmöglichkeit und ein von Worten angestrahltes Gaze–Labyrinth, alles angelehnt an die auf die spanische Schriftstellerin Carmen Martín Gaite zurückgehende „Theorie der Kirsche“, waren nur die augenscheinlichsten Highlights im Raum.

Gute Schorle, böse Worte

Wir waren also sehr froh über die Möglichkeit der Vorabbesichtigung, denn in der Tat haben wir es in den folgenden drei Tagen auf der #fbm22 gar nicht mehr dorthin geschafft (dafür allen möglichen Gesprächspartner*innen und Zufallsbegegnungen aufgetragen, sich das unbedingt anzusehen). Eine weitere wunderbare Einstimmung bot eine Zusammenkunft bei Schöffling & Co. (mittlerweile zu Kampa gehörend), bei der zwischen Weinschorle, Wraps und warmem Lachen die Lust auf Bücher förmlich greifbar wurde. 

Weniger warm war es uns da, als wir nach und nach die Reaktionen auf Kim de l’Horizons Auszeichnung mit dem Deutschen Buchpreis wahrnahmen; denn neben viel Freude gab es auch unerträglich garstige und widerliche Anfeindungen, deren Menschenfeindlichkeit uns die Schorle beinahe wieder in den Pool kotzen ließ. Dass es in den Sozialen Medien so zugehen könnte, ärgerlich aber geschenkt. Was aber teilweise manch ein Feuilletonist oder auch manch Kulturredakteur*in, die sich in etwa so kulturell kultiviert verhalten wiewohl Putin seine ukrainischen Nachbarn um Brot bitten würde, von sich gaben, ist nahezu abartig. Dass nicht Wenige von den Empörten das Buch nicht einmal gelesen und sich mit der nichtbinären Person Kim de l’Horizon auseinandergesetzt haben dürften, lässt das alles nur noch perfider wirken.

Cruising-Area Messe

Wer weiß, womöglich erscheint ja eines Tages ein Sachbuch, das dieses Phänomen aufgreift (wie auch jenes, dass niemand wahrgenommen zu haben scheint, dass sich auch die bei Pronomen flexible Gewinnerin des Vorjahres, Antje Rávik Strubel, als nichtbinär bezeichnet). Für das Frühjahr 2023 ist das natürlich noch nicht der Fall. Hierauf lag unser Fokus: Verlagsmenschen kennenlernen, mit denen wir uns bis auf wenige Ausnahmen, seit bald drei Jahren nur via E-Mail und Telefon austauschten und natürlich eine Sneak-Peek in die Frühjahrsprogramme zu werfen – und den Ukraine–Stand zu besuchen, der durchweg gut frequentiert war und intensiv wirkte, unter anderem durch ein rotes Blinklicht, das sich immer bei Alarm von Luftangriffen meldete. Beinahe schien es, als würde es zwei Gastländer geben. Ein Eindruck der durch die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Serhij Zhadan natürlich verstärkt wurde.

Nach einem ersten, sehr herzlichen Termin bei Bastei Lübbe, die durch ihre diversen Verlage und Imprints natürlich ein vielfältiges, wenn auch nicht durchweg vielschichtiges, Programm anbieten (durchaus aber gute Sachbücher am Start und eichborn ist natürlich seit längerem im literarischen Feld eine solide Nummer), sind wir ein wenig durch die Hallen gecruist (auf Grindr war nebenbei bemerkt erstaunlich wenig los…). Das war spannend, merkte mensch doch, dass die Messe eben erst wach wird (später sollte auch eine Bekannte zu uns sagen, dass sie sich am Mittwoch doch noch etwas Sorgen um die Messe machte; ein belebterer Donnerstag ließ diese Sorgen verblassen; ebenso zeigt eine Pressemitteilung zum Ende der 74. Frankfurter Buchmesse ein positives Bild: 93.000 Fachbesucher*innen (2021: 36.000 Fachbesucher*innen) und 87.000 Privatbesucher*innen (2021: 37.500 Privatbesucher*innen) – also großes Interesse am Motto „Translate. Transfer. Transform.“).

Vorfreude und Sorge

Durchaus bemerkenswert, denn diese Sorge schien auch an manchem Stand wahrnehmbar. Oder eher eine Mischung aus vorfreudiger Erwartung und leicht nervöser Sorge. Diese wechselte von Stand zu Stand, je nachdem, ob a) diejenigen nur Termine am Ort hatten oder auch mal durch die Hallen schwoften und b), wie offen sie waren. Apropos Offenheit: Nahezu alles, was Lesungen, Das Blaue Sofa und derlei angeht, müssen wir uns im Nachgang anschauen, da wir es quasi kaum schafften, mal irgendwo einfach nur zu sitzen und einer schreibenden Person vor Publikum zu lauschen. Aber, wie hieß es mal so lakonisch: Die Bücher können wir auch selbst lesen, mit den Leuten zu quatschen, geht aus dem (Home-)Office nicht so leicht.

Was nicht heißt, dass es keinen Austausch mit Autor*innen gegeben hätte. So etwa Steffen Mensching (zuletzt Hausers Ausflug bei Wallstein), mit dem wir unter anderem über den Deutschen Buchpreis und Jan Faktors Trottel reden konnten oder Finn Job, bei dem es uns begeisterte, einmal einen Autoren zu treffen, der wirklich und absolut aussieht wie das Bild in der Buchklappe. Auf ihn und sein Debüt Hinterher (bei Wagenbach) trifft das jedenfalls zu. Nicht den Autoren aber dessen Frau konnten wir bei Kunstmann begegnen, ist Lisa Hürtgen dort doch für die Presse zuständig.

Heidenreich und Welzer: Die Heimsuchung

Eine Begegnung der etwas anderen Art hatten wir mit Elke Heidenreich und dies gleich mehrfach. Das erste Mal begegneten wir ihr am Stand von C.H. Beck, dann bei der Hanser Verlagsgruppe (Zsolnay und hanserblau kommen mit einem nahezu fantastischen Frühjahrsprogramm!) und mindestens einem weiteren Verlag. Am Ende des Tages dieses Beinahe–Stalkings gab es eine kleine Veranstaltung zu Ehren von Patrick Radden Keefe und seinem so starken wie dicken Buch Imperium der Schmerzen bei hanserblau.

Bei Hanser ist mensch traurig, dass es mit dem „Roman des Jahres“ nichts wurde… Hoppala… // Foto: © the little queer review

Es machte „plopp!“ und Heidenreich war erneut zur Stelle, schließlich setzte sie sich wieder an die Bücherwand und sagte betont laut, vermutlich für all jene, die sich ihrer unerschütterlichen Anwesenheit noch nicht bewusst waren: „Ach mensch, ich sitze schon wieder unter meinem Bild.“ Es guckte jedoch Werner Herzog auf sie herunter. Nun denn, mensch kann nicht nur gute Tage haben (wir somit jedoch eine fabelhafte Messeanekdote). 🤷🏻‍♂️

Anschließend stolperten wir zum Queerempfang des Querverlags, richteten ein fröhliches „Servus“ an Kremayr & Scheriau (die, wie wir eines Morgens feststellten, im selben Hotel untergekommen waren wie wir) sowie Leykam und gratulierten Diogenes ganz herzlich zum 75. Geburtstag. Elke Heidenreich ward nicht mehr gesehen, dafür schien uns irgendwann Harald Welzer zu verfolgen. Na, immerhin frisurtechnisch passt des ja.

Friends’n’Queers

Sehr gefreut haben wir uns über persönliche Begegnungen mit Dagmar Eckhardt, die die zwei Blogs GeschichtenAgentin und Buchkind betreibt und kürzlich eine Gastrezension für uns verfasste, und Petra Wiemann, deren Seite Elementares Lesen und die überhaupt für ihre Arbeit in Bezug auf (wissenschaftliche) Sachbücher einfach mal ein fantástico verdient. Zwei ganz wunderbare Menschen, die uns die durchaus stressigen Messetage glänzend und doch herausfordernd aufgelockert haben.

Herausfordernd war auch manch eine andere Begegnung oder eher Nicht-Begegnung. Gerade im Zusammenhang mit einem erwünschten „Queers supporting Queers“ kam es hier doch zu manch seltsamen Moment. Jedenfalls empfinden wir es so, wenn mensch sich über soziale Netzwerke verbunden ist, es einen Austausch gibt, etc. und dann nicht schnell genug Reißaus genommen werden kann. Bei ein, zwei Personen war es auch augenscheinlich, dass sie sich lieber Leuten zuwendeten, die durch mehr Prominenz mehr Nutzen versprächen. 

Nicht selten waren das gern Menschen, die via ihrer diversen Kanäle nicht müde werden zu betonen, wie sehr ihnen Oberflächlichkeit verpönt, die schamlose Eigennützigkeit des kapitalistischen Literaturbetriebs zuwider und echter Kontakt zu interessierten Personen ein aufrichtiges Anliegen sei. Aber, wie Xavier Dolan als Raoul Nathan in der bald startenden Verfilmung von Balzacs Verlorene Illusionen sinngemäß meint: Es ist ein Spiel… nur verlieren sollte mensch sich in ihm nicht – und es nicht. 

Das Auge liest mit

Spiel sollte im besten Fall allerdings auch manches Mal oder zumeist Freude machen. Das hat diese Frankfurter Buchmesse definitiv. Traurig waren wir zwar, dass unser Ansprechpartner für den Schweizer KunstKinderbuch-Verlag Bohem wegen Krankheit ausfiel (wie nicht wenige). Dafür durften wir aber die wunderbare Verlegerin Annabel Lammers kennenlernen, die nicht nur für das eigene, recht exzellente Programm brennt, sondern für alle Bücher, die einen Blick für die Mischung von Inhalt, Aussage und Optik haben. In dieser Hinsicht wird auch das Programm von ars edition immer interessanter, das wir uns mit viel Kurzweil angesehen haben.

Beim Stand des Deutschen Fotobuchpreises – u. a. sahen wir dort New Queer Photography, Tel Aviv und JAPAN (nicht auf dem Bild) // Foto: © the little queer review

Was die richtige Mischung von Aussage und Optik angeht, passen die Ansichten von Katharina Hesse, der Geschäftsführerin der Stiftung Buchkunst, mit der wir am Freitag ein ausführliches Gespräch zur Stiftung, dem Förderpreis für junge Buchgestaltung und dem musealen Standdesign führen konnten. Das Gespräch lest ihr natürlich in Bälde bei uns. Ein Gespräch mit Kim de l’Horizon wurde leider wegen „zu viel“ kurzfristig verschoben… was uns zugegeben ein wenig bedrückte, gerade im Lichte der Anfeindungen und Kims Haltung zu diesen, wären wir als Gesprächsoutlet unserer semi-bescheidenen Meinung nach durchaus bewährt gewesen (verstärkt wurde das, als wir mitbekamen, dass zur avisierten Zeit durchaus Gespräche geführt worden sind). 

Am Ende: Eine runde Sache

Ein paar nette Drinks zur Blue Hour bei Dorling Kindersley und das Wiedersehen mit manch bekanntem Gesicht und dem Treffen auf Neue, ließ dieses kleine Ärgernis aber in den Hintergrund und die Spannung auf ein anstehendes Gespräch in den Vordergrund treten. 

So ging nach und nach der für uns letzte Messetag zu Ende. Fünf Buchtage in Frankfurt sollten bald hinter uns liegen. Fünf Tage, an denen es nicht selten ein großes Willkommenheitsgefühl gab und glücklicherweise seltener ein Beklommenheitsgefühl. Schlussendlich gab es noch ein kurzes Wiedersehen bei Bastei Lübbe, was den Kreis schloss. Fand hier doch unser erster offizieller Termin statt und nun durch Zufall auch der letzte inoffizielle. Da machte die einstündige Bahnverspätung fast gar nichts mehr. 

Eure queer-reviewer

Blick auf den Frankfurter Römer am Abend der Buchpreis-Verleihung // Foto: © the little queer review

PS: Es werden uns noch zwei Bier (die wir einfordern werden), ein Kissen (da sind wir offen für ein Ersatzangebot) und zwei Kaffee geschuldet; letztere allerdings wurden im Grunde durch rumänischen Schnaps substituiert, was dann auch irgendwie okay ist. 

PPS: Auch wir haben leider ein, zwei persönliche Verabredungen verschwitzt, weshalb zumindest ein feiner Typ etwas sauer auf uns war/ist. Vollkommen zurecht. 

PPPS: Auch der KiWi Verlag kommt im Frühjahr mit dem einen oder anderen queeren Titel ums Eck. Wie erwähnt, zu Programmdetails an anderer Stelle mehr. Im kommenden Jahr ist übrigens Slowenien Gastland – spannend!

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