An Tankstellen geht es gerne ruppig und übermäßig gewalttätig zu. In Großbritannien fehlte Anfang Oktober das Benzin, in Idar-Oberstein gab es vor wenigen Wochen ein grausames Tötungsdelikt. Auch im Mainzer Tatort: Blind Date gibt es diese Woche einen Mord, denn ein Pärchen wie Bonnie und Clyde überfällt selbige und erschießt den diensthabenden Mitarbeiter. Abzüglich des toten Mannes (leider der Falsche, denn der andere Angestellte guckt der späteren Hauptzeugin immer in den Ausschnitt) ist das nun schon der zweite Tankstellenüberfall innerhalb von zwei Wochen.
Auf den zweiten Blick sieht man besser
Ein Fall also für das Ermittlerduo Ellen Berlinger (Heike Makatsch) und Martin Rascher (Sebastian Blomberg). Und wie gut, dass es eine Zeugin gibt, die den Vorfall gesehen hat, nämlich die Jurastudentin Rosa Münch (Henriette Nagel), die sich jeden Abend ihre zwei Bier an der Tankstelle holt. Warte… sie hat nichts gesehen, weil sie (zu 99 Prozent) blind ist? Ärgerlich, wie auch Berlinger und Rascher finden.
Und doch, Rosa kann scheinbar einige Details zur Aufklärung des Falls beitragen. Und, ähnlich wie bereits im jüngsten Kieler Tatort mit Lars Eidinger, auch in Mainz wird der blinde Charakter deutlich weiter in den Fall hineingezogen, als allen lieb sein dürfte – eigene Ermittlungen, Gegenermittlungen des Bonnie-und-Clyde-Duos (Anica Happich und Jan Bülow) und aufflammendes, gleichgeschlechtliches Begehren inklusive, ebenso eine etwas komplizierte und für die Beteiligten unangenehme Familienstory im Hause Berlinger, wie auch im Hause Münch.
Viel los, aber gut verknüpft
Ui, viel los in Mainz, würde man so gar nicht erwarten (wobei, wir erinnern uns: Marcella Rockefeller hat im Sommer im dort aufgezeichneten ZDF-Fernsehgarten auch schon gut eingeheizt). Da kommen in der Tat sehr viele kleinere Handlungsstränge zusammen, aber anders als in so manch anderem Falle gelingt es den Macherinnen und Machern um Ute Wieland (Regie) und Wolfgang Stauch (Buch), diese sehr gut miteinander zu verweben, auch wenn es an manchen Stellen durchaus zu so mancher Länge kommt.
Vor allem die Geschichte um das Familienleben von Hauptkommissarin Berlinger fällt einem hier ein, aber gleichzeitig ist dies ein Handlungsstrang, der so manchen (alleinerziehenden) Eltern aus der Seele sprechen dürfte. Insofern ist die Geschichte schon in Ordnung hat ihren Platz in der Sonntagabendunterhaltung verdient.
Wer bin ich? Was darf ich? Was will ich?
Dabei kommen in diesem kurzweiligen Tatort weder die Dialoge noch die Charaktere zu kurz. Die Dialoge sind scharfzüngig-witzig, schlagfertig und lassen die Zuschauerinnen und Zuschauer gerne spontan auflachen. Die Charaktere wiederum werden in der Regel gut aufgebaut und erzählt, was besonders bei Rosa auffällt. Erst wirkt sie wie das unschuldige Mauerblümchen, aber nach und nach schält sich bei ihr ein tief- und womöglich auch abgründiger Charakter heraus. Besonders das Gefühl, in der Familie zurückgesetzt zu sein, oft keine eigene Souveränität zu besitzen und bevormundet zu werden, ist nachvollziehbar dürfte bei Zuschauerinnen und Zuschauern auf Verständnis treffen.
Gerade dann ist der Kontrast, die Suche nach dem großen Kick, die Unterschiede auch zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, besonders groß. Selbstbestimmung und das Bedürfnis nach Adrenalin durchziehen diesen Tatort ebenso wie Drama, Spannung und Wortwitz. Trotz so mancher kleinerer Abstriche stellt er also sehr gute Unterhaltung am Sonntagabend dar.
HMS
Tatort: Blind Date läuft am 24. Oktober um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf ONE und ist anschließend sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.
Tatort: Blind Date; Deutschland 2020/2021; Regie: Ute Wieland; Drehbuch: Wolfgang Stauch; Musik: Oli Biehler; Kamera: Cornelia Janssen; Darsteller: Heike Makatsch, Sebastian Blomberg, Henriette Nagel, Anita Happich, Jan Bülow, Jule Böwe, Alan Burgon; Laufzeit: ca. 88 Minuten
Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal oder hier via Ko-Fi tun. Vielen Dank!
Comments