Borowski und die geistige Trägheit

Herrje! Herrrje, herrje, herrje! HERRJE! 

Damit ist eigentlich alles zu dem Abschluss sowie im Grunde der ganzen Tatort: Borowski und der stille Gast-Reihe gesagt, die 2012 begann und nun mit einem dritten Film (Borowski und der gute Mensch) endet. Wobei es auch manchen Nicht-Herrje-Moment gibt. Im Großen und Ganzen jedoch ist die Geschichte um den von Lars Eidinger mittelprächtig gespielten Serienkiller Kai Korthals und dessen theoretisch interessanter Beziehung zum von Axel Milberg sicherlich schon einen Ticken zu lange verkörperten Klaus Borowski eine prätentiöse, unterkomplexe und aufgeblähte Nullnummer.

Flucht und Zuneigung

Der Rezensent freute sich ursprünglich auf die Geschichte, die er bisher nicht kannte, klang sie doch spannend, vielseitig, aufwühlend. Nach einem Charakterdrama mit vielschichtigen Figuren; einem Thriller, der Grauen und Liebe verbindet; einem Krimi, der mich als Zuschauenden fordert und an sich bindet. Ja, Erwartungshaltung mag hier eines der Probleme gewesen sein. Aber die haben der NDR und die ARD Degeto im Vorfeld auch aufgebaut. Und der Co-Rezensent kannte die ersten zwei Teile, hatte seine Enttäuschung aber verdrängt.

Schladitz (Thomas Kügel, l.), Borowski (Axel Milberg, M.) und Mila Sahin (Almila Bagriacik) haben Fragen. Leider haben sie für die Antworten ins Drehbuch geschaut. // © NDR/Thorsten Jander

Nachdem Korthals im ersten Film noch immer „durch die Wand kam“, auch bei der damaligen Borowski-Kollegin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) und im zweiten die Verlobte von Borowski, Frieda Jung (Maren Eggert, gerade erst mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet), entführte und das ganze so zu einer sehr persönlichen Angelegenheit machte, entkommt er in Borowski und der gute Mensch aus der Sicherheitsverwahrung. Kommissarin Mila Sahin (Almila Bagriacik) will den entflohenen Entführer und Mörder unbedingt zur Strecke bringen; Borowski hingegen wirkt äußerlich desinteressiert. Schnell gibt es aber erste Anhaltspunkte, wo Kai Korthals sich aufhalten könnte – die blinde Telefonseelsorgerin Teresa (Sabine Timoteo) schrieb ihm Briefe ins Gefängnis.

Zeitweilig spannend

Klingt alles spannend, zumindest streckenweise ist es das sogar. Jedenfalls wenn wir darüber hinwegsehen, dass Spannung vor allem dadurch aufgebaut wird, dass sich einzelne Handelnde entgegen jeder Logik und ihrer zuvor etablierten Charaktereigenschaften verhalten. Etwas, das leider in Film, Fernsehen und auch mancher Literatur gang und gäbe zu sein scheint. 

Der Mann, der „durch die Wand gehen kann“ und dann deine Fernbedienung isst: Kai Korthals (Lars Eidinger) // © NDR/Thorsten Jander

Vielmehr aber nervt es, dass in einer Geschichte, die mehrschichtig sein soll, Subtiles scheinbar nicht vorkommen darf, außer, dass auch hier wieder eine Frau im Hochhaus (wie viele davon gibt es eigentlich in Kiel?) eine zentrale Opferrolle spielt. Andere subtile Handlungen und Eigenschaften der etablierten Personen fehlen jedoch fast ganz. Die für Korthals charakteristische Zahnbürstenszene wird beispielsweise nur angedeutet, seine Info, wo die Kaffeefilter (oder ähnliches) stehen – meist „oben links“ -, fehlt leider ganz. Schade…

Vermutlich sind die Zuschauenden etwas blöd, also erklären wir alles so lange, bis die knapp 90 Minuten (oder eben insgesamt 270 Minuten) auch beinahe um sind. Das passt irgendwie auch dazu, dass Aussagen des Autors der drei Filme, Sascha Arango, im Presseheft so gelesen werden können, als hätte er selber oft gar nicht gewusst, welche Geschichte(n) über welche Menschen er hier eigentlich erzählt.

Besuch aus der Vergangenheit: Kai fühlt eine besondere Verbindung zu Borowski // © NDR/Thorsten Jander

Frauen hauen und gut is’?

Das jedoch erklärt nicht, dass die Macher*innen so tun, als würden sie „starke Frauen“ zeigen, um die am Ende doch alle so hohl sein zu lassen, wie sie wohl auch die Zuschauenden einschätzen. Das betrifft hier nicht nur den Charakter Mila Sahin (und in den Filmen zuvor Sarah Brandt und Frieda Jung), sondern auch beinahe sämtliche weiblichen Nebenfiguren. Frauen scheinen in der Borowski-Welt als Stichwortgeberinnen für ihn und als zu rettende Personen gut genug zu sein – und natürlich als Mordopfer – sonst aber für nicht viel.

Obwohl, das sei erwähnt, mit der neuen Haushälterin und Hobby-Therapeutin Alma Kovacz (immer wieder gern: Victoria Trauttmansdorff) eine eigenständige und bisher kongruente Person in das Leben des Ermittlers tritt und dieses sogar quasi rettet. Sollten wir sie aber öfter sehen, haben wir vollstes Vertrauen, dass es gelingen wird, die Figur kaputt zu schreiben. Das hätte sie nicht verdient, denn ihr erster Auftritt bringt wirklich Licht ins Kieler Grau.

Alma Kovacz (Victoria Trauttmansdorff) beeindruckt Borowski // © NDR/Thorsten Jander

Auch der Charakter Teresa Weinberger verhält sich nicht nur liebestrunken, sondern in einem schwierigen Maße wankelmütig. Darüber hinaus muss leider gesagt werden, dass Sabine Timoteo, die auf Wunsch Lars Eidingers besetzt wurde und zumeist Garantin für stark gespielte Rollen ist (zum Beispiel als Glass in Die Mitte der Welt oder in kleiner Rolle als Waffenexpertin in Der Fall Collini), die blinde Telefonseelsorgerin so in etwa so überzeugend spielt, wie dieser Text hier ein Lob ist.

Ein schrecklich-schönes Ende

Apropos retten: Die Musik von Marvin Miller ist durchaus atmosphärisch. Und natürlich gibt es auch gute Momente. Wenn sich beispielsweise Korthals „überwindet“ und Borowski rettet. Die Dynamik zwischen den beiden ist absolut interessant, Gespräche zwischen ihnen werden heiß erwartet. Leider aber verpuffen die interessanten Ansätze nahezu allesamt. Das Potenzial der Geschichten wird nie ausgeschöpft. So vieles wird ungenutzt gelassen, nur damit noch schnell eine Wendung kommen kann. Nicht schön.

Nicht schön ist auch das Ende, jedenfalls nicht direkt. Eigentlich ist es nämlich sehr gut (eben nur ein bisschen eklig) und samt ironischem Unterton, der schon manch eine Borowski-Geschichte rettete. Ob man nun dafür die gesamten 90 Minuten oder gar all drei Teile gesehen haben muss? Wir meinen eher nein, aber was läuft sonst schon Sonntagabend, was?

Tatort: Borowski und der gute Mensch // © NDR/Thorsten Jander

Tatort: Borowski und der gute Mensch läuft heute Abend um 20:15 Uhr im Ersten und um 21:45 auf one. Anschließend ist der Film in der ARD-Mediathek; Borowski und der stille Gast und Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes sind bereits in der Mediathek zu finden.

Tatort: Borowski und der gute Mensch; Deutschland, 2021; Regie: Ilker Catak; Drehbuch: Sascha Arango; Kamera: Judith Kaufmann; Musik: Marvin Miller; Darsteller*innen: Axel Milberg, Almila Bagriacik, Lars Eidinger, Sabine Timoteo, Thomas Kügel, Victoria Trauttmansdorff, Anja Antonowicz; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion der Nordfilm Kiel GmbH im Auftrag der ARD Degeto und des Norddeutschen Rundfunks für die ARD.

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