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Etwa vier Wochen nach der sich aus zwanzig Titeln zusammensetzenden Longlist zum Deutschen Buchpreis werden traditionell die sechs die Shortlist besetzenden Titel bekanntgegeben. Heute um 10:00 Uhr war es nun so weit. Und was sollen wir sagen – drei der Titel hatten wir nicht anders erwartet, zwei weitere überraschen ebenfalls nicht sonderlich, ein letzter ist durchaus eine kleine Freude.
Die sechs Titel der Shortlist:
- Fatma Aydemir: Dschinns (Carl Hanser Verlag)
- Kristine Bilkau: Nebenan (Luchterhand Literaturverlag)
- Daniela Dröscher: Lügen über meine Mutter (Kiepenheuer & Witsch Verlag)
- Jan Faktor: Trottel (Kiepenheuer & Witsch Verlag)
- Kim de l’Horizon: Blutbuch (DuMont Buchverlag)
- Eckhart Nickel: Spitzweg (Piper Verlag)
Zuerst dachten wir kurz, die siebenköpfige Jury – neben Jurysprecherin Miriam Zeh, Kulturredakteurin des Deutschlandfunk, sind das Erich Klein (freier Kritiker, Wien), Frank Menden (stories! Die Buchhandlung, Hamburg), Uli Ormanns (Agnes Buchhandlung, Köln), Isabelle Vonlanthen (Literaturhaus Zürich), Selma Wels (Kuratorin und Moderatorin, Frankfurt) und Jan Wiele (Frankfurter Allgemeine Zeitung) – würde schlicht alphabetisch vorgehen, aber nach Daniela Dröscher fehlen dann doch Carl-Christian Elze und Theresia Enzensberger.
Kein simpler Dschungel
Spaß beiseite, wir sind schließlich ein ernstes Magazin… Schon zur Longlist schrieben wir, dass die Liste eine ansprechende Mischung aus Titeln aller Jahreszeiten (das hat sich nun ein wenig aufgelöst, sei’s drum) und der Geschlechter inklusive etwas Queerness (das bleibt bestehen) sei. Dass wenig Indie- und Kleinverlage zu finden waren, haben wir dezent kritisch erwähnt, diese sind nun gänzlich raus, was bedauerlich ist. Doch letztlich handelt es sich beim Deutschen Buchpreis eben um genau diesen und keinen Verlagspreis, wie auch das Team von We read Indie, die in diesem Jahr Teil von #buchpreisbloggen sind, in einem klugen Beitrag festgehalten hat.
Kurz zu unseren Gedanken betreffs der sechs Bücher: Aydemir, de l’Horizon und Nickel hatten wir als gesetzt betrachtet. Dass Dröscher und Faktor (den wir gerade lesen) dabei sind und der Kiepenheuer & Witsch Verlag somit zwei Mal vertreten ist, ist nicht allzu überraschend. Eine wohlige Überraschung hingegen ist Bilkau – Nebenan ist, soweit wir es nach noch nicht abgeschlossener Lektüre beurteilen können, ein sehr feines Buch. Schade finden wir die Abwesenheit von Yael Inokai und nach einem ersten Blick in In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. auch die von Gabriele Riedle.
Lassen wir nun erst einmal Jurysprecherin Miriam Zeh zu Wort kommen:
„Ein Roman gibt sich eigene Gesetze und steht doch unweigerlich in Kontakt zur Gegenwart, in der er geschrieben und gelesen wird. Alle sechs Titel der Shortlist 2022 konnten uns in ihrer ästhetischen Eigenheit überzeugen. Mit sprachlicher Brillanz und formaler Innovationskraft beschreiben sie soziale Realitäten und Phantasmen, vermessen Mitte und Ränder, umkreisen Trauer und Komik. Damit bilden die nominierten Autor*innen die thematische wie stilistische Vielfalt der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ab. Gemeinsam ist ihnen: eine künstlerische Unbedingtheit. Mit ihren Büchern beziehen sie Position, zeigen sich streitbar und zugleich offen für den Dialog. So laden wir mit der Lektüre dieser Shortlist auch ein, in einen Austausch zu treten und den eigenen Blick auf die Welt neu zu justieren.“
Jurysprecherin Miriam Zeh zur Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2022
Der hohe und hehre Anspruch gesellschaftlicher Relevanz und der Wunsch nach Austausch und also wohl einer möglichen Auflösung mancher Spannung und ein Übertritt zu gegenseitiger Anerkenntnis ist in Zehs Shortlist-Erörterung deutlich erkennbar. Allein, ob dieser durch einen Buchpreis einzulösen ist? Wer weiß… Ähnliches lässt sich bei Filmpreisen aufwerfen: Die so genannte westliche Welt feiert sich und meint zu helfen, wenn etwa der iranische Film World War III von Houman Seyyedi mit dem Horizonte Award der Internationalen Filmfestspiele von Venedig ausgezeichnet und dabei von allen Seiten auf die Inhaftierung von iranischen Filmschaffenden hingewiesen wird.
Hetero vs. Homo
Doch ist dabei auch immer die Frage, ob zu viel westliche Aufmerksamkeit nicht wieder kontraproduktiv sein kann. Schließlich haben wir es mit einem fundamentalreligiösen Regime zu tun, für das westliche Werte und der Lebensstil ein absolutes Feindbild sind. So kamen auch die Proteste der iranischen Bevölkerung nach dem Tod von Mahsa Amini eben aus dem Inneren des Landes und nicht zuerst von einem Roten Teppich.
Nun wendet sich der Buchpreis aus dem Inneren des Landes an das Innere des Landes beziehungsweise den deutschsprachigen DACH-Raum (wenn er natürlich ökonomisch betrachtet für die Verlage auch eine europaweite und internationale Ausstrahlung hat, was es erst recht bedauerlich sein lässt, dass kein kleiner Verlag mehr am Start ist). Allerdings ist dieser, wie anerkannt werden muss, gespaltene Raum sehr gruppenheterogen, innerhalb dieser Gruppen wiederum gern geschlossen und im Großen und Ganzen eher homogen.
Räume und ihre Barrieren
Jeder Auflösungsversuch scheint bisher mal feierlich, mal kläglich gescheitert, was auch daran liegen mag, dass so mancher davon eher Makulatur als ein ernsthafter Schritt war. Mensch bleibt halt auch gern unter sich. Aufrichtiger Diskurs ohne Fingerzeig, dem Entgegenkeifen des Wortes „Haltung!“ und Interesse am Anderen (auch wir wollen hier gleich mal selber ausgrenzen und anmerken, dass wir extreme Ränder vorerst gern unter sich lassen wollen) ist halt auch anstrengend. Unter unseresgleichen zu bleiben und einander zu bestätigen: „Haben wir’s nicht schon immer gesagt?!“ hingegen weit angenehmer.
Kann so ein Preis also helfen, wenigstens im Kleinen, wenn Aufwand, Auflauf und Aufmerksamkeit schon groß sind? Möglich, sicherlich, ein wenig. Sicherlich noch mehr, wenn die verleihenden und unterstützenden Stiftungen und Institutionen sowie die Medienpartner Barrieren absenken, Räume aufbrechen und in der Tat mehr ins Außen als Innen gehen würden – und wollten.
Eure queer-reviewer
Die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2022 wurde am Dienstag, 23. August 2022 um 10:00 Uhr bekanntgegeben; ebenfalls an einem Dienstag um 10:00 Uhr wurde am 20. September 2022 die Shortlist verkündet. Die Preisverleihung findet zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse (Gastland 2022 ist Spanien) am 17. Oktober 2022 – hui! Ein Montag! – ab 18:00 Uhr im Kaisersaal des Frankfurter Römer statt.
Der Deutsche Buchpreis wird von der Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels gestiftet; Hauptförderer ist die Deutsche Bank Stiftung.
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