„Sprache muss treffend sein.“

Aaiún Nin führt uns in ihren Gedichten vor, was das genau heißt und vor allem wie ernst sie es damit nimmt. Denn nur Worte, die treffen, verfehlen nicht die Wahrheit. Nachzulesen in ihrem Gedichtband Denn Schweigen ist ein Gefängnis.

Von Nora Eckert

Lyrik-Bände sind für gewöhnlich klein und schmal. Und anstatt eng bedruckter Zeilen, gibt es in ihnen meistens viel Luft zwischen den Sätzen und Wörtern und um sie herum. Aber das unfassbare Gewicht, das diese flattrigen Zeilen mit oft nur ein, zwei Worten besitzen, drückt nun wirklich ein krasses Missverhältnis aus zum scheinbar Leichtgewichtigen des äußeren Eindrucks. Mögen es noch so ephemere, flüchtige Empfindungen in all den Wahrnehmungen sein, so wiegt jedes Wort schwer und unumstößlich und alle zusammen bilden trotzdem ein scheinbar luftleichtes Sprachgewebe. So ist Poesie – und das ist, was uns an ihr fasziniert. Aaiún Nins Gedichte sind von dieser ambivalenten Art. Erschienen sind sie in deutscher Übersetzung in dem in Kopenhagen beheimateten én verlag. Nin lebt heute in Kopenhagen, sie ist Schwarz und wurde 1991 in Luanda in Angola geboren. Als queere Person floh sie vor einigen Jahren und fand Zuflucht in Dänemark.

Was Poesie vor allem nicht ist, es ist kein Luxus, erklärt Lesley-Ann Brown, die große Audre Lorde in ihrem kurzen Vorwort zitierend, und erinnert zugleich daran: „Poesie war für schwarze Frauen schon immer eine Frage des Überlebens, des Lebensunterhalts und des Feierns.“ Bei Nin ist das wohl nicht anders. Ihre Dichtung handelt von gelebten Erfahrungen – Schwarz und Migrantin, Frau und Lesbe zu sein, Sex zu haben und von Suizidgedanken okkupiert zu werden. Sie verrät uns nicht nur, was das für sie und ihr Leben bedeutet, sie verrät auch, warum sie darüber schreibt: „Ich schreibe, weil Schwarz sein verdammt großartig ist“ / „Ich schreibe, weil Schweigen mich nicht gerettet hat“ / „Weil ich verfickt wütend bin“

Für diese Wut findet sie eine unmissverständliche Sprache: „blauschwarze Haut / aneinandergedrängt / in Missbrauch gebadet“ – heißt es mit Blick auf ihre Jugend und das Erwachsenwerden in Luanda. Wo es um die Schwarze Haut und um das Frau sein geht, spielt der Körper die zentrale Rolle, dem befohlen wird und über den andere verfügen. Und so geht es Nin darum, die stets körperlichen Erfahrungen zu benennen, zu bezeichnen, zu lokalisieren als Haut, Zunge, Vulva und immer verbunden mit der Sehnsucht nach Befreiung: „Körper sind nicht Beton“. Aber sie sind verletzbar und dem Mann ausgeliefert mit dem Segen der Religion: „Gott gab ihm das Wort“ / „Das Wort verurteilte die Frau / und die Erde, in der eine Lesbe ermordet lag“. Und ein andermal ist es der Schwule, dem Säure ins Gesicht geschüttet wird, oder die erwürgte trans*Frau – alles „Im Namen Gottes“.

Aber es gibt auch Liebe und Nähe („Hast du’s vergessen?“), berührende Kindheitsszenen und noch einiges mehr dieser Art, doch es bleibt immer nur eine Erinnerung davon übrig. Nicht anders ist es mit dem Sex – Intimität nennt Nin „eine lustige Sache“. Da verbringen zwei Menschen Stunden und Tage miteinander, um sich am Ende trotzdem fremd zu fühlen – „Es war nur die Lust“. Beim Sex verzehren wir den Körper, schreibt Nin, und liefert dazu ein Protokoll, das atemlos den Rausch in Worte presst und zum Schluss Erlösung und schließlich „Aufatmen“.

So oft ich in letzter Zeit Literatur von Schwarzen las, begegnete ich immer wieder einem eigenartigen, ja befremdlichen Phänomen – nämlich der Hierarchisierung von Hautfarbe, aber nicht durch den Rassismus von weißen Menschen, wie das zu erwarten wäre, sondern innerhalb der Schwarzen Community und der Communitys von Menschen of Color, und stieß nun bei Nin auf diesen irritierenden Satz: „Aktivistische Räume voll mit nicht Schwarzen People of Color, die ihre eigene internalisierte weiße Vorherrschaft nicht bemerken und Schwarze Menschen verfickt nochmal zum Schweigen bringen, sind so gut wie benutzte Kondome bei einem Skinhead-Grillfest.“ Auch darin steckt ihre hier zitierte Wut, ihre buchstäbliche Kritiklust, wenn sie den alltäglichen Rassismus vor sich sieht in einem vermeintlich „farbenblinden“ Wohlstandsland wie Dänemark und sie dann fragt: „Seid ihr nie einfach nur dankbar, dass wir Gleichberechtigung wollen und keine Rache?“

Noch ein Wort zur Übersetzung. Sie im Fall von Gedichten angemessen zu beurteilen ist schwer, wenn der Vergleich zum Original fehlt. Im Fall des vorliegenden Bandes ist für mich jedoch offensichtlich, wie sehr die Sprache, ihr Tonfall, die Worte zur Haltung der Gedichte passen und das kann nur ein Verdienst der Übersetzerin Ọlaide E. Frank sein. Sie scheinen genau das zu erfüllen, was Aaiún Nin mit dem Satz, die Sprache müsse treffend sein, fordert. Frank trifft die Tonlagen zwischen Schmerz, Angst, Lebensmüdigkeit, Sehnsucht, Begehren, Lust – und das unangestrengt, leicht und dennoch von größter Intensität und Spannung.

Nora Eckert ist Publizistin, im Vorstand beim Bundesverband Trans* e.V. und bei TransInterQueer e. V. und Teil der Queer Media Society

Aaiún Nin: Denn Schweigen ist ein Gefängnis; Februar 2023; Aus dem Englischen von Ọlaide E. Frank, mit einem Vorwort von Lesley-Ann Brown; 87 Seiten; ISBN 978-8-79703-277-0; én verlag; 22,00 €

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