Eine Jugend zwischen sozialistischem Prag und Ost-Berlin, ein Sohn, der sich das Leben genommen hat und Fragmente eines Lebens, das zu großen Teilen aus Fußnoten zu bestehen scheint. Wenn der Autor Jan Faktor seinen Ich-Erzähler seine Arbeit machen lässt, dann ist dem so simpel wie prägnant betitelten Buch Trottel bereits etwas Tribut gezollt. Der bei Kiepenheuer & Witsch erschienene Roman hat es in diesem Jahr auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft, mich allerdings dennoch nicht erreicht.
Sozialistische Brotjobs
Das ist eigentlich erstaunlich, denn das Grundsetting und die Machart sind dergestalt, dass sie meine Interessen im Grundsatz treffen könnten. Der Ich-Erzähler berichtet von einer Jugend und der Zeit als junger Erwachsener in Prag, der zuerst die Sinnlosigkeit sozialistischer Arbeitsbeschaffung in einem statistischen Institut erfährt und anschließend Brötchen für die Armee ausfährt.
Wie bereits angedeutet, der Sozialismus bekommt hier auf jeden Fall sein Fett weg, was gerade in Zeiten wie heute, in denen diese Wirtschaftsform gerne von jüngeren Kalibern als Hort des Wohlstands und der Gerechtigkeit verklärt wird, gar nicht so unwichtig erscheint. Die DDR und speziell Ost-Berlin – damals war der Prenzlauer Berg ja noch nicht der Inbegriff des öko-familiären Hipstertums, sondern ein heruntergekommener Grenzbezirk mit Schießanlagen – zogen ihn allerdings an, weshalb er dorthin übersiedeln sollte.
Und in der Tat schient die DDR mit der fortschrittlichste und liberalste Staat im früheren Sowjetimperium gewesen zu sein – noch so etwas Unvorstellbares (aber dann gucken wir doch heute mal nach Butscha, Isjum und Mariupol und vielleicht verstehen wir dann). Dennoch: Die Bauern-und-Arbeiter-DDR als Sehnsuchtsort zu sehen, das allein erscheint aus heutiger Perspektive schon grotesk. Dazu kommen erste Schlüsselerlebnisse, wie eine Ohnmacht und eine schicksalhafte Begegnung am Prager Wenzelsplatz – zumindest bis etwa Seite 120, nach der ich Trottel leider abgebrochen habe.
„Der Kleine möchte bitte aus dem Bällebad abgeholt werden“
Warum? Das kann ich leider auch nicht sagen. Ich mag es nicht, zu sagen, dass das Buch „mich nicht erreicht hat“, aber vermutlich ist es die Beschreibung, die noch am besten passt. Vielleicht ist es das stetige Springen des Ich-Erzählers zwischen vielen scheinbar zusammenhangslosen Gedanken des Bewusstseinsstroms, Erlebnissen und Erinnerungen (was ja auch der normalen Struktur in den meisten Köpfen entsprechen dürfte). Vielleicht fügen sich diese am Ende zu einem größeren Gesamtbild zusammen, das uns Jan Faktor über seinen Ich-Erzähler vermitteln will. Bis hierhin hat mich dieses Sprunghafte jedoch eher abgeschreckt, als dass es mich in seinen Bann gezogen hätte.
An der Sprache kann es auch nicht liegen, ganz im Gegenteil. Der Autor spielt mit ihr, beschreitet wagemutig manch ein sprachliches Drahtseil, kramt Wörter aus der Wortkiste, die wir schon seit Jahren nicht mehr gelesen haben und – wen würde es nach diesem Satz überraschen – nutzt natürlich auch so manch passende Metapher, ähnlich wie beispielsweise der ebenfalls in diesem Jahr für den Buchpreis nominierte Andreas Stichmann in Eine Liebe in Pjöngjang. Auch mit Substantivierungen oder der Form spielt Jan Faktor immer wieder gekonnt. Sprachlich gesehen lässt er sich wirklich einiges einfallen.
Rammstein oder schlechtes Karma?
Nein, all dies sind Faktoren (haha), die bei einem Buch eigentlich eher mein Interesse wecken, als es zu mindern. Von daher lässt sich meine Entscheidung, das Buch abzubrechen tatsächlich rational nicht begründen. Vermutlich handelt es sich bei Trottel einfach nicht um mein Buch oder der Zeitpunkt war falsch gewählt oder ich habe einfach gerade schlechtes Karma. Oder – ganz steile These – vielleicht liegt es daran, dass ich mit Rammstein nur bedingt etwas anfangen kann.
Aber manchmal ist es einfach so: Ein Buch und sein Leser passen nicht zusammen (ich möchte an dieser Stelle nur sehr dezent auf mein letztjähriges Patenbuch Es ist immer so schön mit dir von Heinz Strunk verweisen). Leider ist es offenbar auch bei Trottel so, auch wenn es kein schlechtes Buch zu sein scheint – zumindest Inhalt und Stil sind in der Tat ausgeklügelt. Schade dennoch, aber manchmal im Leben passt es einfach nicht.
HMS
PS: Heute Morgen wurde bekannt, dass Jan Faktor für Trottel mit dem mit 30.000 Euro dotierten Wilhelm Raabe-Literaturpreis, der seit dem Jahr 2000 von der Stadt Braunschweig und dem Deutschlandradio gestiftet wird, ausgezeichnet wird. Glückwünsche! Auf der Shortlist fanden sich ebenfalls Katerina Poladjan mit Zukunftsmusik, Julia Schoch mit Das Vorkommnis und Alain Claude Salzer mit Doppelleben.
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Jan Faktor: Trottel; September 2022; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; 400 Seiten; ISBN 978-3-462-00085-6; Verlag Kiepenheuer & Witsch; 24,00 €
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Hallo,
ich habe das Buch ebenfalls abgebrochen. Nach einem Drittel hat mich die Geduld verlassen. Das ständige Springen zwischen zusammenhanglosen Sachverhalten, das plötzliche Auftauchen und wieder Verschwinden von Personen, die Vielzahl der Fußnoten, die weder Handlung noch Verständnis voran gebracht haben: Das alles wurde mir zu viel. Ich glaube nicht, dass ich „Trottel“ noch mal zur Hand nehmen werde. Ich bedaure allerdings, dass es keiner meiner Favoriten auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis geschafft hat.
Viele Grüße
Ina