Gleich vorweg eine Entwarnung: Nach der Entführung und Attacke im vergangenen Dresdner Tatort: Katz und Maus ist Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) und dank seiner von Stolz gesteuerten Konstitution und halbwegs erfolgreicher Traumaverdrängung beinahe sein altes lakonisch-pampiges Selbst. So müssen die Oberkommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) im Gegensatz zu ihren Berliner und Dortmunder Kolleg*innen also keinen Trauerflor auslegen.
„Ich hab gelernt, dass das…“
Der aktuelle Fall im morgigen Tatort: Totes Herz bringt jedoch so einiges an Tragik mit sich, die vor allem in den Tiefen der von Kristin Derfler geschriebenen und von Andreas Herzog inszenierten Geschichte steckt. Tragisch für uns Zuschauer*innen ist es dabei allerdings, dass der Tatort in der ersten Hälfte mit einer solchen Vehemenz eine offensichtlich falsche und träge Fährte auslegt, dass manch eine*r gegebenenfalls schon nur noch halbaufmerksam dabei ist, wenn’s interessant wird.
Natürlich gerät mensch schnell unter Verdacht, wenn er mit Tatwaffe in der Hand gesehen wird und folgend flüchtig ist. So der Gärtnereihelfer Juri Nowak (Alexander Schuster), den Patrick Teichmann (Nico Rogner) in der Nähe der Leiche von Schwiegermama Heike (Tanja de Wendt) im Gewächshaus sieht. Gorniak ist sich recht sicher, dass Juri der Täter sein könnte, Chef Schnabel hat so seine Zweifel. („Crime has no gender.“ — „Also beim Tötungsdelikt haben die Männer immer noch die Nase vorn.“ — „Auch das wird sich ändern, Frau Gorniak, auch das.“ — „Wär doch mal ne willkommene Abwechslung.“)
„…was man tut, wichtiger ist…“
Auch Kollegin Winkler ist sich nicht ganz so sicher und folgt ihrem Instinkt, dass die Tochter der Ermordeten, Nadine Teichmann (Kristin Suckow), als potentielle Täterin infrage kommen könnte. Ebenso lief es in der Ehe der Teichmanns nicht mehr ganz so rund. Entfremdung und eine Affäre Patricks mit Gärtnereimitarbeiterin und der Schwester des Hauptverdächtigen Swetlana Nowak (Lara Feith) lassen Zweifel an Juris Täterschaft wachsen. Als sich dann nach und nach neue Spuren auf eine unbekannte Vergangenheit der Mutter, die unter dem Broken-Heart-Syndrom litt, finden, ist das psychologische Geschick der Ermittelnden gefordert…
…und unsere Genügsamkeit, denn plötzlich tauchen in der Handlung Ideen auf, die in keiner Szene zuvor angedeutet worden sind. Das müssen wir dann zwei bis drei Mal einfach so hinnehmen (oder eben nicht und uns in einer Besprechung darüber beschweren). In diesem Sinne kommt der Twist der Handlung in der späten Mitte des Films dann allerdings in der Tat völlig unerwartet.
„…als das, was man ist.“
Von hier an fort dürfen wir dem in kühlen Bildern von Marcus Kanter gefilmten Tatort eine weitergehende Ambition unterstellen, beschäftigen wir uns doch mit der unschönen Thematik der so genannten gestohlenen Kinder in der DDR. Und für uns Zuschauer*innen stellt sich die Frage, ob wir es mit einem Ehe- oder einen zerrissenen Familiendrama zu tun haben. (Immerhin hält auch Autorin Derfler im Pressegespräch fest, dass die „Kriminalstatistik besagt, dass fast in einem Drittel der Fälle von Mord und Totschlag der Täter ein Verwandter ist. Eheprobleme, Eifersucht und finanzielle Not stehen häufig im Hintergrund blutiger Tragödien, bei denen ganze Familien ausgelöscht werden.“)
Wir verraten also nicht zu viel, wenn wir sagen, dass die Täterin oder der Täter aus der Familie kommt. Leider bleibt der Tatort: Totes Herz auch in der theoretisch emotional und erzählerisch herausfordernden zweiten Hälfte so nah an der Erzählung einer möglicherweise irreparablen Beziehung, dass der Effekt der zugrundeliegenden Familientragödie, der Effektivität von Selbsttäuschung und der Doppelbödigkeit ein wenig verloren geht und am Ende alles in einem — gut aussehenden — Zusammenschnitt erklärt werden muss.
Somit spielt der erste Dresdner Tatort des neuen Jahres (und der zweite binnen sehr kurzer Zeit) sein Potenzial nie voll aus und mäandert etwas unentschlossen um die Dresdner Elbwiesen. Ob es die plakative Charakterisierung des ersten Verdächtigen in dieser Form, die eher Fremdscham für die Macher*innen auslöst, hätte sein müssen, ist eine Frage, die der Rezensent bis heute nicht abschütteln kann.
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Tatort: Totes Herz läuft am Sonntag, 8. Januar 2023 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.
Tatort: Totes Herz; Deutschland, 2022; Regie: Andreas Herzog; Drehbuch: Kristin Derfler; Kamera: Marcus Kanter; Musik: Chris Bremus; Darsteller*innen: Karin Hanczewski, Cornelia Gröschel, Martin Brambach, Kristin Suckow, Nico Rogner, Amelie Zappe, Lara Feith, Alexander Schuster, Yvonne Yung Hee Bormann, Lutz Blochberger, Tanja de Wendt, Ron Helbig, Yassin Trabelsi; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion der MadeFor im Auftrag des MDR für die ARD.
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