Ihr Kinderlein kommet

Sachsen und seine Reichsbürgerinnen und -bürger. Bundes-, nein weltweit berüchtigt. Also es gibt auch Dresdner Stollen, den Zwinger, und das malerische Elbsandsteingebirge. Aber anders als die Verschwörungstheoretikerinnen und -praktiker spielen all die anderen Dinge im neuen Dresdner Tatort: Katz und Maus alle keine Rolle (wobei, wahrscheinlich ist mit dem „Swinger“ zu Beginn eigentlich der „Zwinger“ gemeint).

Im Mausoleum

Es geht los mit der Entführung der Boulevardjournalistin Brigitte Burkhard (Elisabeth Baulitz). Ein Mann mit Mäusemaske bringt sie in seine Gewalt, stellt ein Video der Geisel online und gibt der Polizei 24 Stunden Zeit, 150 in den letzten Jahren in Sachsen verschwundene Kinder zu finden. Sonst müsse die Journalistin sterben.

Was hat Holger Kirbach (Paul Ahrens), der Verschwörungstherorien und Videos auf seiner Homepage verbreitet, mit der Entführung zu tun? // © MDR/MadeFor/Marcus Glahn

Das Ermittlerinnenduo Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) steht also gemeinsam mit ihrem Chef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) unter unvorstellbarem Zeitdruck. Was sie nicht ahnen: Burkhard ist für den Entführer nur ein Exempel. Dieser ist nämlich gewillt, noch deutlich weiterzugehen, wie vor allem Schnabel erfahren wird…

Mausrutscher?

Vor etwa zwei Wochen blieb der erwartete Erdrutschsieg der Republikaner und mittelbar auch Donald Trumps in den USA aus. Und doch zeigt sich, dass die Lüge als Mittel der öffentlichen Kommunikation salonfähig geworden ist. Kinder, die eingesperrt werden, um ihnen Adrenochrom abzupressen, der Deep State, der „uns allen“ nur Märchen erzählt und die Staatsmedien, die sowieso nur Sprachrohr einer diktatorischen Regierung der „Eliten“ seien. In den USA wie hierzulande populäre Erzählungen, die leider immer mehr Anhängerinnen und Anhänger finden.

Die „Maus“ nimmt ein neues Video zur Entführung von Schnabel (Martin Brambach) auf, mit seinen Forderungen // © MDR/MadeFor/Marcus Glahn

Welche Gefahr auch nur ein einziger Durchgeknallter darstellen kann, wird in diesem Tatort deutlich: Weil seine Tochter Zoé auch verschwunden ist, sind direkt „die anderen“ Schuld – wer auch immer das genau ist. Die Polizei mache ihren Job nicht. Und so versinkt Entführer Michael Sobotta (Hans Löw) in diesem Fall von Regisseur Gregory Kirchhoff immer mehr in seinem Wahn aus Aggression, Enttäuschung und Wut.

Mäuslich, äh misslich in der Logik

Vor allem die beiden Kommissarinnen Gorniak und Winkler müssen sich in ihrer Ermittlungsarbeit mit ähnlichen Emotionen auseinandersetzen. Oder warte: Welche Ermittlungsarbeit? Denn anders, als wir das von dem Duo gewohnt sind, unterlaufen den beiden Kommissarinnen samt Team hier immer wieder Fehler und Unstimmigkeiten, die so gar nicht zu ihnen passen wollen. Wieso einen Peilsender vom Format einer Gefriertruhe so auffällig anbringen, dass er bei erster Gelegenheit entdeckt wird? Oder einen Verdächtigen entwischen lassen, obwohl mensch ihm auf der Spur ist? Oder wieso durchsucht ihr nur ein halbes Haus?

Üben sich im Abzählreim oder so: Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Schnabel (Martin Brambach) betrachten die Fotos der vermissten Kinder // © MDR/MadeFor/Marcus Glahn

Außerdem gibt es so manche Logikfehler in der ganzen Story. Hat das Alphabet in Sachsen beispielsweise nur 25 Buchstaben? Oder werden im Sächsischen die Umlaute einfach als reguläre Buchstaben gezählt (sorry liebe Sächsinnen und Sachsen, der musste sein)? Das Z ist jedenfalls nicht nur ein russisches Kriegssymbol (ein Gruß geht an den sächsischen Landesvater und Friedensstifter Michael Kretschmer), sondern vor allem der 26. und nicht der 25. Buchstabe des Alphabets. Und 75 – die zweimal an die Wand gepinnte Zahl der Bilder vermisster Kinder – lässt sich übrigens auch in Sachsen nicht durch 4 teilen (waren die nicht mal im PISA-Ranking ganz vorne?).

Feuer mit Feuer?

Nein, die Ermittlungen in diesem Tatort sind alles andere als logisch, das Drehbuch von Stefanie Veith (Tatort: Risiken mit Nebenwirkungen) und Jan Cronauer erscheint voller Fehler und Unzulänglichkeiten. Und doch ist und bleiben – das müssen wir dem Fall lassen – die Spannung hoch und der Unterhaltungsfaktor ist trotz all der Fehler auch einigermaßen gegeben.

Erschöpft und frustriert erstmal ne Currywurscht: Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach) // © MDR/MadeFor/Marcus Glahn

Und auch die Themen könnten eigentlich relevanter kaum sein: Von alternativen Fakten und durchgedrehten Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretikern bis hin zu der Frage, was Polizeiarbeit darf und was nicht, ob Feuer mit Feuer bekämpft werden darf oder vielleicht sogar soll, ob der Zweck wirklich alle Mittel heiligt und dazu noch manch einen Seitenhieb auf die doch recht aktive Szene mit alternierendem Weltbild im Lande des Kurfürsten August.

Welche Botschaft siehst du?

Vielleicht aber sind es auch zu viele kritische Punkte, die die Macherinnen und Macher hier versuchen hineinzubekommen und vieles – beispielsweise Leo Winklers Gegenfeuer – eher abrupt daherkommt, ohne große Vorgeschichte, Abwägung und sonstwas. Und dabei geht dann offenbar der Fokus auf die eigentliche Erzählung der Ermittlung eben ein wenig verloren.

Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) wollen von Zoés Ex-Freund Artur Troschitz (Matteo Wansing Lorrio) mehr über ihr Verschwinden und ihren Aufentaltsort erfahren // © MDR/MadeFor/Marcus Glahn

Der letzte Tatort vor der katarbedingten (ärgerlichen) Kurzpause ist leider gespickt von Ungereimtheiten, Logikfehlern, falschem Ermittlungsvorgehen und Inkonsistenzen. Und dennoch können sich die Zuschauerinnen und Zuschauer gut und stimmungsvoll unterhalten lassen. Vermutlich kommt es – und das ist der nicht ganz so subtile Subtext des Tatort: Katz und Maus – immer darauf an, welche Botschaft, welche Geschichte mensch und Grinsekatze eben sehen wollen. Und so sind auch wir gespannt, wie das Team in den nächsten Fall starten wird.

HMS

Während der Dreharbeiten zu „Katz und Maus“ (AT) im Sommer 2021. Im Bild (v.l.):Cornelia Gröschel, Karin Hanczewski, Gregory Kirchhoff (Regie) und Dino von Wintersdorff (Bildgestaltung) // © MDR/MadeFor/Marcus Glahn

Tatort: Katz und Maus läuft am Sonntag, 20. November 2022 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Katz und Maus; Deutschland, 2022; Regie: Gregory Kirchhoff; Drehbuch: Jan Cronauer, Stefanie Veith; Kamera: Dino von Wintersdorff; Musik: Lucas Ezequiel Zavala; Darsteller*innen: Karin Hanczewski, Cornelia Gröschel, Martin Brambach, Hans Löw, Alida Bohnen, Christina Hecke, Elisabeth Baulitz, Kai Ivo Baulitz, Paul Ahrens, Mateo Wansing Lorrio, Yassin Trabelsi; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion der MadeFor im Auftrag des MDR für die ARD.

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