Titelbild: Foto links Julius Thesing © Parcours // Cover und Illustration © Julius Thesing/Bohem Verlag
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Vor ziemlich genau zwei Monaten haben wir euch das Buch You Don’t Look Gay von Julius Thesing vorgestellt. In seinem sehr feinen, sehr bunten und sehr persönlichen Buch setzt sich der Designer und Illustrator nicht immer heiter, aber sehr ehrlich mit Diskriminierungserfahrungen und Homophobie/-feindlichkeit im Alltag auseinander. Das ist auch nichts, womit wir einfach mal klarkommen müssen, macht er uns klar. Thesing zeichnet und beschreibt in dem erstklassig illustrierten, im Bohem-Verlag erschienen Buch, was es mit Menschen macht, mit „Schwuchtel“ doch angeblich gar nicht gemeint zu sein und immer damit rechnen zu müssen, auf die Fresse zu kriegen.
Seine Geschichte(n) beziehen sich zwar auf seine persönlichen Erfahrungen als schwulem cis-Mann, lassen sich aber durchaus auch für viele innerhalb der bunten und diversen LSBTIQ*-Community lesen.
Wir haben mit ihm ein ausführliches Gespräch über den Entstehungsprozess von You Don’t Look Gay, Homofeindlichkeit im Alltag und im Fußball, die Notwendigkeit oder gar vermeintliche Pflicht von Personen des öffentlichen Lebens sich zu zeigen, aber auch Diskriminierung innerhalb der Szene geführt. Und natürlich darüber gesprochen, wie es wohl ist, endlich wieder Live-Lesungen geben zu können.
Kein Mann-Und-Frau-Machen-Ein-Kind-Aufklärungsbuch
the little queer review (tlqr): Wie kam es denn zu dem Gedanken You Don’t Look Gay als Bachelor-Arbeit zu erstellen?
Julius Thesing (JT): Das, was es letztlich geworden ist, war nicht meine allererste Idee. Bei uns im Designstudium läuft das ganze Studium auf diese Bachelor-Arbeit hinaus, da fängt man also auch schon während der ersten Semester an, sich Gedanken zu machen, was könnte denn das sozusagen spektakuläre Abschlussprojekt werden. Zwischendurch wollte ich dann ein Aufklärungsbuch machen, bei dem eben auch andere Formen von Sex und Liebe beschrieben werden als dieses klassische Mann-Und-Frau-Machen-Ein-Kind-Aufklärungsbuch. Da ist dann aber während des Semesters schnell klar geworden, dass das Thema mit Recherche und nötiger Beratung von außen zu groß wird für die Zeit, die man im Bachelor-Semester hat. Dann habe ich geschaut – was wäre ein Projekt, das realistisch ist und mir am Herzen liegt. Dann war das Thema eben Queerness, beziehungsweise Homosexualität und ist letztlich dann konkret beim Konfliktfeld Homophobie gelandet. Der Titel des Buches war dabei schon immer so ein wenig im Hinterkopf und dass ich es als Buch machen wollte, war relativ früh klar. Im Fachbereich Illustration ist das ein relativ klassisches Medium.
tlqr: Ist es dir denn schwer gefallen, da auch sehr persönliche Sachen aufzunehmen? War es ein längerer Abwägungsprozess?
JT: Gar nicht so sehr. Zu Anfang, noch in der Recherchephase, hatte ich noch den Gedanken es sachlicher zu machen, dass da vielleicht ein Interviewbuch draus wird, für das ich mit queeren Leuten über unterschiedliche Themen rede. Dieses Persönliche, das kam schon mal im dritten Semester in einem Comic-Kurs. Da war die Aufgabe eben einen kleinen Comic zu machen und ich bin erstmal so rangegangen: „So, was is’ so ne richtig tiefgründige coole Geschichte, die es noch nicht gab – die setz’ ich jetzt um.“ Das war dann alles zu verkopft und blöd, irgendwie. Der Dozent Thomas Wellmann meinte dann zu mir, die besten Geschichten kommen eigentlich aus dem Persönlichen, aus Erfahrungen, die man gemacht hat. Da hab ich dann eine persönliche Geschichte erzählt. Den ersten Abend zusammen mit meinem Freund und meinen Freund*innen – das war dann meine Comicgeschichte. Und das hat viel, viel besser funktioniert als dieses Verkopfte und ich muss das Rad neu erfinden. Daraus hab ich dann die Erfahrung gezogen, dass das eben gut für mich funktioniert und auch besser als wenn ich Homophobie grundlegend erklären müsste. Da funktioniert dieser persönliche Bericht einfach sehr gut.
tlqr: Auch an Stellen in You Don’t Look Gay, an denen Du Dinge beschreibst, die nicht direkt Dich betrafen, die Dir aber erzählt wurden oder die Du mittelbar erlebt oder erfahren hast, kommt die Wahrnehmung rüber, dass Du meinst, einer der Gründe für Homophobie und Homofeindlichkeit sei es auch, dass Menschen Homosexualität immer nur mit der „Sexualität“ verknüpfen. Glaubst Du, dass einer der vielleicht auch nur vorgeschobenen Gründe für Homofeindlichkeit der ist zu sagen, bei euch geht’s ja nur um Sex und es gibt keine echten Gefühle?
JT: Hmm… Also ich glaube eher, dass es andersrum ist. Nämlich nicht, dass es ein Grund für Homophobie ist, sondern das es aus dieser Homophobie entstanden ist, dass Leute damit nur Sex verbinden, weil es eben nochmal eine schneller greifbare oder schneller verständliche Sache ist. Leute können sich also vorstellen wie zwei Männer miteinander Sex haben und dann den Schalter umlegen und sagen „Bah, eklig!“, weil sie es selber nicht begehren. Es ist aber schwerer sich vorzustellen, was für Gefühle andere Leute haben. Also ich glaube, dass es den Menschen schwerer fällt, da ein Bild oder ein Verständnis für zu entwickeln, dass gleichgeschlechtliche Paare da auch Gefühle füreinander haben, weil sie selber so aufgezogen worden sind, dass Gefühle nur zwischen Mann und Frau entstehen können.
Und dass Homosexualität, bzw. auch alle nicht heterosexuellen Formen von Sexualität, auf diesen sexuellen Faktor beschränkt werden, liegt halt glaub ich auch so ein bißchen daran, dass einfach viel zu lange viel zu wenig Geschichten in allen möglichen Medien erzählt wurden, in denen es zum Beispiel ganz normal nur um Gefühle geht, in denen wie sonst über Heteros über andere Formen von Sexualität im Sinne sexueller Identität erzählt wird.
„‚Ja, ich werden gesehen.‘“
tlqr: Ich hab heute zufällig einen Artikel darüber gelesen, wie selbstverständlich das Lesbisch-Sein von Willow in die Serie Buffy integriert wurde und dann auch ihre Beziehung. Quasi zu einer Zeit, in der es eigentlich auch hieß, so weit wäre die Welt noch gar nicht. Ich fand das damals als Jugendlicher auch gut, das hat schon etwas in mir ausgelöst.
JT: Ich glaub da unterschätzt man auch so’n bißchen, wie viel das ausmacht. Für die allermeisten ist das nur so ne kleine Nebengeschichte. Für andere kann das wiederum den Ausschlag geben, dass sie zu sich finden und dass sie das Gefühl haben: „Ja, ich werde gesehen.“ Dieses Gefühl, es gibt noch andere, beziehungsweise Leute wie ich finden in solchen großen Sachen statt. Ich glaube das ist sehr wichtig. Und das hat sich ja in der Tat sehr positiv entwickelt. Wenn man sich so neue Netflix-Sachen anguckt, das ist schon ziemlich cool, wie viele unterschiedliche Arten von Liebe und Gender dort dargestellt werden.
tlqr: Das stimmt! Mich irritiert es manchmal, wenn man in den sozialen Netzwerken, beispielsweise auf Facebook in Netflix– oder sonstigen Film-Gruppen und so unterwegs ist und dann heißt es irgendwie Bridgerton mit der kaum direkt vermittelten Homosexualität ginge noch [einige Darsteller*innen sind homosexuell und queer, in der Serie gibt es aber bisher nur einen angedeuteten schwulen Handlungsstrang, Anm. d. Red.], aber wenn zwei Männer sich küssen würden, müsse eben doch weggeschaut werden. Oder wenn’s dann heißt: „Ich weiß, da ist auch ein Homo-Paar dabei, das will ich dann nicht schauen/will es nicht mit meiner Familie schauen“, da denk ich mir halt auch immer – ey! Oder zuletzt viele der Tatorte – hatten nun auch immer mal wieder queere Themen drin oder angedeutet, mal besser, mal schlechter umgesetzt. Da heißt’s dann: „Was soll das?! Jetzt werden wir hier auch noch erzogen!“ Da kommt dann schon das Gefühl – auf der einen Seite geht’s voran, auf der anderen sitzen Leute, die immerfort rufen „Das will ich alles nicht!“ Warum schreiben die wütend über eine fiktionale Produktion ins Internet: „Mir wird schlecht, wenn ich seh, wie zwei Männer sich küssen“?!
JT: An genau den Satz erinnere ich mich auch noch ziemlich gut während meiner Ausbildung. Zusammen in der Kantine gewesen mit meinen Kolleg*innen und da ging’s dann halt um Game of Thrones um Renly, der dann auch ne schwule Beziehung hat [mit Ser Loras Tyrell, Anm. d. Red.] und da kam dann auch genau der Spruch: „Ja, letzte Folge musste ich echt n’ bißchen weggucken, das war echt eklig“, weil da halt mal die Kamera draufgehalten wurde, wenn sich zwei Männer küssen und dann zwei nackte Männer nebeneinander liegen… ich glaub’ expliziter wurde es auch gar nicht. Ich glaube, dass da auch viel toxische Männlichkeit, beziehungsweise kommen diese Sprüche ja nicht nur von Männern, also eher eine toxische Heteronormativität mitspielt. Sie fühlen sich einfach insofern bedroht, als dass auf einmal auch andere gezeigt werden, nicht mehr nur weiß, hetero und cis*, sondern auch andere. Das ist natürlich frustrierend, dass bei denen dieser Transfer nicht stattfindet, mal drüber nachzudenken – okay, wir wurden Jahrhunderte gezeigt und in Geschichten beschrieben und bla bla bla … Jetzt sind auf einmal andere auf der Leinwand zu sehen, jetzt reg ich mich erstmal auf. Das ist so… argh… ich find das super schwierig damit umzugehen, weil’s in meinen Augen so offensichtlich ist, dass sie halt keine Argumente haben. Also dieses „muss uns der Tatort nun auch noch belehren?“, nein, es werden einfach nur mal nicht weiße, cis*-hetero-Beziehungen gezeigt. So schwer ist es eigentlich nicht.
tlqr: Ja, und dann sagen die halt: „Bei mir im Betrieb gibt’s ja auch keine Schwulen“ oder „sonst was“. Da denkt man dann auch die Geschichte, die Du im Buch beschrieben hast, in der jemand während Deines Zivildiensts eine Geschichte erzählt, dass sein Bruder am Wochenende einer „Schwuchtel […] so richtig in die Fresse geschlagen“ hat und denkt sich eben auch: Klar, in dem Umfeld würde ich mich auch nicht outen.
Nicht so durchdachter Fußball
JT: Ich hab gerade noch die Schlagzeile gesehen, dass Jogi Löw gesagt hat, wenn er schwul wäre, würde er dazu stehen. Wo ich dann auch gedacht hab, ja, auch nur so ein geht-so-durchdachtes Zitat, weil offensichtlich denkt er sich dann eben nicht in die Leute rein, die eben in so einer Situation stecken, in einem wirklich toxischen Betrieb wie Fußball darüber nachzudenken „Mach ich’s jetzt öffentlich, dass ich schwul bin?“ So schade ich es finde, dass sich Profifußballer [in dem Fall nicht gegendert, da der Bezug konkret zum Männerfußball ist, Anm. JT] nicht outen, so sehr kann ich das verstehen, weil er Angst hat. Da helfen auch Millionengehälter und alles nichts, wenn die Angst halt so groß ist, nachher mit den Folgen leben zu müssen.
tlqr: Da helfen vermutlich auch Sachen wie diese sehr gut gemeinte 11 Freunde-Aktion erstmal nur wenig. Ich fand es interessant als Philipp Lahm sein Buch veröffentlichte, da wurden im Vorfeld ein paar Stellen rausgesucht und eben auch jene, an der er anderen Spielern eher davon abrät sich zu outen, eben weil er meint, so weit sei der Sport noch nicht und der Druck sei enorm. Das wurde dann ein wenig so gedreht, als hätte er selber Probleme mit Homosexualität, was sich da eigentlich gar nicht rauslesen lässt. Er ärgert sich eher darüber, dass es ist, wie es ist und er meint, es sei ein Problem in dieser Matrix Fußball und daran müsse man arbeiten. Also macht er ja primär auf ein Problem aufmerksam. Er sagt eben sinngemäß nicht, „lasst mal und ist eben so“, sondern „das ist nicht gut und da muss was passieren“.
Und das ist bei Löw wieder etwas schwieriger, weil der sich eben in der Tat, wie Du sagst, nicht in die Leute reinversetzt. Auch komisch: Vor nicht allzu langer Zeit gab es eine Sportschau Thema-Sendung, in der es um Homophobie im Fußball ging und dann saßen da auch Thomas Hitzlsperger und Kevin Kühnert und sagten da Dinge, die von Homosexuellen, die sich damit befassen, eigentlich nicht erwartet würden. So nach dem Motto: „Eigentlich alles gut, und was nicht so gut ist, wird morgen gut, im Grunde sind wir fast so weit.“ Das ist äußerst irritierend, wurde aber als sehr positiv wahrgenommen. Die Ermahnung Lahms aber, man müsse da genauer drauf schauen, wurde beinahe als homophob abgestempelt.
JT: Äh, ja, also ich die genauen Worte, die Philipp Lahm – oder wer auch immer es vielleicht ghostgewritten haben mag, oder vielleicht hat er’s ja auch wirklich selber geschrieben – im Buch verwendet hat, hab ich gerade nicht vor Augen. Aber ja, da ist dann sicherlich auch ein Problem, wie vereinfacht solche Aussagen dann manchmal dargestellt werden. Und ich versteh Deine Ansicht dazu, dass Lahm insofern recht hat, dass der Profifußball noch nicht so weit ist, dass sich Spieler ohne Sorgen outen könnten. Auf der anderen Seite frag ich mich auch, warum er so darüber schreibt. Ohne dass irgendwie ein Anliegen dahinter klar wird, dass er etwas an dieser Situation ändern möchte. Das fehlt mir dabei – eine erkennbare Bereitschaft dazu, etwas an der Situation ändern zu wollen. So wirkt es ein wenig so, als hätte er gewusst, über das Thema würde dann gesprochen, damit lande ich in den Medien und nehme es auf, was ja auch geklappt hat. Ich hab nun aber nichts mehr in die Richtung mitbekommen, dass er noch weiter etwas dazu gesagt hätte, was zu tun wäre, um eine bessere Atmosphäre zu schaffen.
Genau so wenig zielführend finde ich es aber auch, zu sagen: „Wir sind auf nem guten Weg und wird schon“, seh ich halt bisher auch noch nicht.
tlqr: Es ist ja in der Tat so – im Stadion, oder bei der Übertragung aus dem Stadion, und Sonntagabend im Ersten, werden ja Leute an Dinge herangeführt. Oder könnten es werden. Ist halt so, beim Altersdurchschnitt der Bevölkerung sowieso. Und da kann gesagt werden was will, auch fünfzig plus können Leute noch was lernen…
Sichtbarkeit ein Muss?
JT: …ja, auf jeden Fall…
tlqr: …und deren Kinder respektive Enkelkinder bekommen von denen ja auch was vermittelt. Und wenn dann Oma dasitzt und dann schläft Mark Waschke mit nem Mann im Tatort und sie speit förmlich, das nimmt halt ein Drei- oder Sechs- oder Neunjähriger wahr. Nun gut.
In Deinem Buch schreibst Du auch, Händchen zu halten sollte kein politisches Statement sein. Was stimmt. Ich denk mir halt auch, ich will die Hand meines Freundes nehmen, mach’s natürlich auch gern, denk mir aber ebenso manches Mal: „Hui, hier ist es fast ein wenig riskant“ oder „Hier wäre es ein Zeichen“, aber wer sieht’s denn wirklich, außer denen, die angewidert schauen, vermutlich auch nichts lernen und einfach nur froh sind, wenn wir aus der Straße weg sind…
JT: …und sie in der Zwischenzeit nicht schwul gemacht haben…
tlqr: …hahaha, ja. Uhm, Kevin Kühnert, um nochmal auf den zurückzukommen, hat vor einiger Zeit in einem Buch [Coming Out – Queere Stars über den wichtigsten Moment in ihrem Leben; Anm. d. Red.] gesagt, auch er hält eigentlich nicht Händchen, das sei ihm etwas zu viel und er wolle diese Statements nicht setzen. Und da denk ich mir so: Leute, die doch öffentlichkeitswirksam unterwegs sind, die sehr bekannt sind, wie Kühnert, Jochen Schropp oder Ulrike Folkerts [die sich unseres Wissens nach nicht so wie Kühnert geäußert haben, aber zur Verdeutlichung des Promigewichts aufgezählt werden, Anm. d. Red.], gerade da würde so ein Zeichen doch helfen können. Ich halt’s für schwierig, das dann damit zu erklären nicht in eine bestimmte Definitionsrolle kommen zu wollen [zumal es bei Kevin Kühnert ja durchaus so ist, dass er seine Sexualität an anderer Stelle sehr, sehr gern in die (politische) Waagschale wirft, Anm. d. Red.]. Entwicklung kommt eben auch dadurch, dass Leute das im Alltag erkennen, dass es im Alltag sichtbar ist.
JT: Ja, megakompliziertes Thema find ich. Weil ich das einerseits so sehe wie Du, dass wir nicht weiterkommen, wenn nicht mehr Sichtbarkeit stattfindet. Dass man auf der anderen Seite aber von niemanden verlangen kann, diese Vorreiterrolle zu übernehmen, da unbedingt mit wehenden Fahnen voranzugehen. Ich kann das komplett nachvollziehen, warum Kevin Kühnert sagt, dass er das nicht machen würde und würd ihm das auch komplett so zugestehen. Gerade auch als öffentliche Person, dazu nochmal das Konfliktfeld Politik. Diesen Mut kann man von niemandem verlangen oder verpflichtend voraussetzen. Ja, Punkt. Julius überlegt einen Moment. Ich find’s frustrierend, weil man sich ja eigentlich wünschen würde, dass solche mit „gutem Beispiel vorangehen“ und auf der anderen Seite ist es doch irgendwie auch anmaßend zu sagen, die müssen das tun.
tlqr: Aber dann ist doch das, was Jogi Löw sagt, auch richtig und ausreichend; quasi: Schade, aber so is’ das halt. – lange Gedankenpause auf beiden Seiten – zumal bei Kevin Kühnert oder einer Ulrike Folkerts hinzukommt, dass wir ja wissen, dass sie homosexuell sind oder halt queer leben. Es geht ja auch nicht drum, dass Kevin Kühnert künftig nur noch in Studios geht und sagt „Liebes ZDF, ich spreche nur noch mit euch, wenn ich mit meiner letzten Abschleppe aus’m Schwuz hier sitzen darf…“
JT: „…in Leder.“
tlqr: Hahaha, falscher Club, aber ja. Also er könnte doch was tun, auch wenn es dann genau wie Du sagst auch begründet wird, eben mit dem Blick der Öffentlichkeit. Aber gerade Kühnert ist ja auch mit schwulen und queeren Themen in der Öffentlichkeit, siehe die Sportschau-Sendung, in der er vor allem als Privatperson und nicht als Politiker öffentlichkeitswirksam saß. Und ich find es schwierig, wenn Leute sich vermeintlich dafür einsetzen wollen, dann aber sagen, ich selber setz das eigentlich nicht um, also dieser Widerspruch, sich mehr Sichtbarkeit zu wünschen, es aber selber nicht machen zu wollen. Und später sitzen wir dann alle da und sagen: „Ach, hätten wir mal.“
JT: Das kann sein. Aber es ist eben auch schwierig. Ich finde das ist so eine ähnliche Geschichte wie, war das bei Harvey Milk, mit den Zwangsoutings, oder werfe ich da gerade was durcheinander…
tlqr:…also in Deutschland zumindest hat Rosa von Praunheim Anfang der 90er-Jahre [am 10. Dezember 1991 in der Sendung Explosiv – Der heiße Stuhl, Anm. d. Red.] Alfred Biolek und Hape Kerkeling öffentlich geoutet…
JT: …nee, dann ging’s bei Milk darum, einzelne Leute zu ermutigen sich zu outen. Damit andere Leute wissen, mindestens der Bäcker nebenan ist in meinem Bekanntenkreis und der ist schwul und so. Ich finde das geht – sehr überspitzt formuliert – fast in so eine ähnliche Richtung wie Zwangsoutings, wenn man von Leuten verlangt, dass sie ihre Queerness oder ihre Homosexualität öffentlich mehr ausleben und mehr zum Thema machen müssen oder sollen.
tlqr: Also klar, nicht nur über die sexuelle Identität definiert werden zu wollen, geschenkt, sie sind mehr als das und es sollte nicht nur darum gehen. Aber wenn sie öffentlichkeitswirksam Interviews geben, um den Namen hochzuhalten, einen neuen Film, das Wahlprogramm oder politische Inhalte zu verkaufen und da dann auch immer wieder ihre Sexualität, von ihnen lanciert, eine Rolle spielt, weil sie es dort auch für sich als hilfreich empfinden und im nächsten Moment ist es dann wiederum eine Art Bürde, das halte ich auch für schwierig.
JT: Wenn es vorteilsbringend genutzt wird, im Sinne – den Leuten erzähl ich irgendwas über meine Queerness, weil da weiß ich, kommt das gut an und bei anderen Leuten lasse ich es komplett weg, das ist natürlich problematisch. Das ist dann ein zu professioneller Umgang mit dem Thema würd ich sagen. Da steckt dann wenig Persönliches dahinter. Was ich aber meine, ist, dass jede Person mit der eigenen Queerness auch so umgehen kann, wie sie möchte und so öffentlich wie sie möchte. Also mal ganz blödes Beispiel: Wenn ich mit meinem Freund auf dem Sofa sitze und wir Drag Race gucken, dann sind wir auch flamboyant oder so, aber so geb ich mich in der Öffentlichkeit eigentlich quasi nie. Und dann könnte man mir theoretisch vorwerfen: „Ja, warum bist Du denn in der Öffentlichkeit nie so?“ Der Vergleich ist ein bißchen weit hergeholt, ich weiß; aber Du weißt ungefähr was ich meine. Ich würde auch sagen, wenn Du was dafür tun kannst, dass mehr Sichtbarkeit und Verständnis für queere Menschen entsteht, dann cool, dann mach das auch bitte. Aber ich kann voll verstehen, wenn man bestimmte Sachen, die dazu gehören, nicht in der Öffentlichkeit machen möchte.
„Die Abwehrhaltung ist das Problematische“
tlqr: Ich würd gern noch kurz über die Diskrimierung innerhalb der LSBTIQ*-Community reden. Wir hatten, als wir Dein Buch noch lasen, das auch in der einen oder anderen Facebook-Gruppe angeteasert und den Teil zu „Keine Fetten, Keine Asiaten“ rausgenommen, wo Du also genau über diese Diskriminierung schreibst. Die Reaktionen darauf waren erschreckend oft: „Die sollen sich mal alle nicht so haben“, „Ich mach das auch, meine es aber nicht diskriminierend“ und so [das findet ihr auch in der Buchbesprechung ausführlicher beschreiben, Anm. d. Red.]. Wir kennen solche Profile und Aussagen sicherlich, aber die Häufung zuletzt erstaunt dann auch wieder. Und wenn man Leute darauf anspricht, sei’s nun virtuell oder persönlich, keiner will das nicht nur nicht gemacht haben, sondern falls doch, nicht so gemeint haben. Ich hab selten Leute getroffen, die sagen: „Ich weiß, dass es diskriminiert. Aber mir ist das egal.“ Die meisten meinen eben, es sei so nicht gemeint, es ginge ja nur darum, was sie nicht mögen würden. Aber dann könnte man ja folgerichtig auch sagen: „Ich mag keine Schwuchteln, drum scheuer ich Dir jetzt eine.“ Und vor allem ist es krass, dass das vollkommen altersunabhängig passiert – ob 18, 38 oder 58, spielt da keine Rolle. Gerade innerhalb einer „Gemeinschaft“, bei der doch zu vermuten wäre, sie müsste es besser wissen.
JT: Ja, find ich auch. Ich hatte auch genau zu dem Kapitel ein ganz, ganz langes Gespräch mit einer Person die auch meinte, das sei ja nicht diskriminierend, denn es geht ja nur um Sex. Und einfach um Vorlieben, die faktisch da sind. Und ich find’s halt schade, dass auch diese Vorlieben einfach nicht hinterfragt sind. Weil die kommen ja halt auch irgendwoher und sind halt auch rassistisch oder homophob oder auf andere Art diskriminierend, irgendwann im Kopf entstanden. Und dann zu sagen, es ist ja nicht diskriminierend, find ich halt extrem faul. Extrem unreflektiert auch.
tlqr: Zumal Diskriminierung ja nicht durch die diskriminierende Person definiert wird, sondern durch jene, bei der es ankommt. Anderes zu behaupten ist ohnehin schon einmal mindestens empathielos.
JT: Empathielos und sehr von oben herab, also: „Interessiert mich doch nicht, dass ich da gerade jemanden verletzt habe.“ Das ist halt nicht die Art von Umgang, die uns weiterbringt. Deswegen find ich das auch so schade, dass es innerhalb der Community noch immer so verbreitet und noch so gängig ist und Leute, wie Du auch sagtest, eben damit argumentieren, es sei nicht so gemeint. Es ist nicht so schwer, diesen einen Schritt noch weiter zu denken, wenn sich jemand diskriminiert fühlt, habe ich offensichtlich diskriminiert. Also kann ich jetzt entweder so damit umgehen „Scheißegal“ oder ich kann so damit umgehen „Tut mir leid, ich überdenke das und ändere mein Verhalten“, aber dieses „Es ist ja nicht so gemeint“ ist halt einfach dummer Stillstand.
Diese Abwehrhaltung ist halt immer so das Problematische. Die Leute fühlen sich superschnell angegriffen, wenn sie darauf hingewiesen werden, Fehler gemacht oder sich diskriminierend verhalten zu haben. Ich bin im Studium mal für eine Zeichnung vor versammelter Runde – vollkommen zurecht – zurechtgewiesen worden und habe mir da auch sehr strenge Worte anhören müssen, die mich auch getroffen haben. In dem Moment tut das weh und fühlt sich übertrieben an, aber man muss sich dann halt in die Menschen hineinversetzen die die Zeichnung wahrscheinlich viel mehr trifft als mich die Kritik daran. Und beim nächsten mal sensibler mit dem Thema umgehen und hinterfragen, ob man gerade richtig mit dem jeweiligen Thema umgeht oder ob man es – wenn auch nicht absichtlich – auf ignorante Art behandelt.
tlqr: Dazu gehört sicherlich auch, wie man selber aufgewachsen ist und sich auch selber schult. Zumal das, was Du beschreibt auch nochmal ein wenig anders ist, als ganz bewusst irgendwo reinzuschreiben „Keine Fetten und Keine Asiaten“ etc. Das ist ja per se schon einmal etwas Ausschließendes.
JT: Das stimmt und dass das schon mal erst recht was Diskriminierendes ist, das checken die halt einfach nicht.
tlqr: Genau, und dann erst recht der Moment, in dem man denen halt sagt, das ist nicht fein, da wird’s dann hart. Ich weiß auch nicht, ob ich die so daten wollen würde. Dann sitzt man vielleicht noch auf ein Bier zusammen und muss sich deren Blick auf die Politik oder so anhören.
JT: Ja, beziehungsweise, ich hätte da auch immer das Bedürfnis zu fragen: „Warum eigentlich nicht?“ Und dann wird’s sowieso unangenehm. Es von vornherein so laut auszuschließen ist halt wirklich unnötige Diskriminierung. Selbst wenn du es nicht drinstehen hast, kannst du den Leuten, bei denen du Vorbehalte hast, kannst du immer noch nett zurückschreiben: „Sorry, mit uns passt es nicht.“ Dann wirst du vielleicht ein paar Mal von Leuten angeschrieben, die nicht dein Fall sind, aber es gibt Schlimmeres und Anstrengenderes.
tlqr: Das ist wohl wahr, ja.
Zum Ende noch was vermutlich Erbauliches: Hat sich für Dich etwas geändert, seit Dein Buch veröffentlicht wurde? Wirst Du als jemand angesprochen, der da doch ein Buch drüber geschrieben hat und mal etwas erklären kann?
JT: Uhm, … nee. Also ich denke bedingt durch Corona, also das Buch ist ja letztes Jahr im August erschienen und seitdem hat sich ja noch nicht so viel geändert, was vor allem Veranstaltungen angeht. Sonst hätten zum Beispiel einige Lesungen in echt stattfinden können, man wäre mehr ins Gespräch gekommen. So gab’s das halt mal online, auch das ganze Feedback. Das Feedback selber ist immer sehr, sehr positiv, was mega cool ist und ich mir auch nicht ansatzweise so erträumt hätte. Es ist halt ne Bachelor-Arbeit und auf einmal schreiben mir Leute, dass sie sich da wiedergefunden haben in dem Buch und ihnen das total gut getan hat, sowas zu lesen. Das ist schon ziemlich cool.
Anders wahrgenommen werd ich glaub ich nicht. Im direkten Umfeld ist es, dass Leute wirklich ein bißchen sensibler geworden sind. Dass Leute wirklich ein bißchen mehr auf die Sprache achten und sich vielleicht auch mal über Themen Gedanken machen, über die sie vorher vielleicht nicht so nachgedacht haben.
tlqr: Schön, das ist doch schon mal was. Und im Kleinen ist auch sehr wichtig.
JT: Genau, um das „im Kleinen“ gehts ja auch in dem Buch. Diese Sprüche und so geschehen eben im Kleinen und wenn man da merkt, dass jetzt im Kleinen und Nebenbei andere, also positivere Sachen kommen, ist das schon ziemlich cool.
tlqr: Dann hoffen wir mal, dass dann auch Lesungen nachgeholt werden können. Ich glaub Tatsache, dass das ein Buch ist, für das die Leute auch kommen und dass es ohnehin generationenübergreifend interessant ist. Es kann eben auch mit Kindern gelesen und erklärt werden, was super und genau richtig ist. Oder auch, wenn ich jetzt sechzehn wäre und nicht so recht wüsste wie ich mich oute und das Umfeld reagiert, würde es mir helfen, aber ich würd’s auch meinen Eltern rauslegen. Ich glaub das Buch kann da ganz breit wirksam sein.
JT: Oh, danke.
tlqr: Sehr gern. Und danke Dir. Dann noch einen schönen Abend.
JT: Danke, Dir auch.
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