Die Liebe zum Geld

Eine junge Frau verfällt einer selbstzerstörerischen Leidenschaft, die wir Geiz nennen und die zu den Sieben Todsünden gerechnet wird. Über Ivo Andrić‘ herausragenden Roman Das Fräulein, der in der Übersetzung von Edmund Schneeweis im Zsolnay Verlag erschienen ist.

Von Nora Eckert

Die Quizfrage lautet: Wer hat 1961 den Literaturnobelpreis gewonnen? Klar, wissen wir. Oder? Wer war das noch mal, bitte? Ach ja, Ivo Andrić. Damals galt er noch als jugoslawischer Schriftsteller, heute würden wir korrekterweise von der literarischen Stimme Bosniens sprechen. So oder so – er gilt als ein europäischer Klassiker. Werner Ross nannte ihn 1962 in Die Zeit den „Homer in Bosnien“. Der Roman Das Fräulein ist der letzte seiner drei großen Romane, die zwischen 1941 und 1944 entstanden sind und die seinen Ruhm begründeten. Es ist ein Psychogramm, das beim Lesen mächtig angreift, denn es gibt darin viel Grausamkeit als eine stets präsente und meist subtile Gewalt der Verweigerung sich und anderen gegenüber.

Das Thema Geiz ist im Werk von Ivo Andrić ein Dauergast – auch als virulente Angst vor Armut. Geizige sind das literarische Stammpersonal im Werk des bosnischen Autors und doch nimmt Das Fräulein eine Sonderstellung darin ein. Denn er wollte, wie uns Michael Martens in seinem Nachwort wissen lässt, mit der „exzessiven psychologischen Durchleuchtung“ dieser Figur namens Rajka den aus der Weltliteratur bekannten Vorbildern eine ebenbürtige Figur daneben stellen – ebenbürtig einer Figur wie Shylock (Shakespeare), Harpagon (Molière), Pljuschkin (Gogol), Volpone (Stefan Zweig) oder Scrooge (Dickens). Mit dem Novum jedoch, dass nun eine Frau als „Geizhals“ auftritt.

Das Verhängnis beginnt mit dem Bankrott des bis dahin wohlhabenden und gesellschaftlich angesehenen Vaters, der auf dem Sterbebett seiner Tochter ins Gewissen redet. Sein Testament: „Ein für alle Mal musst du wissen und darfst niemals vergessen, dass jeder Mensch, der es nicht versteht, das Verhältnis zwischen seinen Einkünften und Ausgaben so zu regeln, wie es das Leben von ihm verlangt, von vornherein zum Untergang verurteilt ist.“ Sie solle die noblen Gewohnheiten in sich abtöten, also Edelmut, Großzügigkeit und Empfindsamkeit. Diese Regungen solle sie sich aus der Seele reißen, „denn die Sparsamkeit muss unbarmherzig sein wie das Leben selbst“. Das ist kein väterlicher Segen, sondern ein Fluch. Rajka sieht die Schuld für den Untergang des Vaters bei den anderen und schwört deshalb Rache. Ihre Waffe wird der Geiz sein, den sie die anderen spüren lässt, aber nicht weniger sich selbst.

Fortan lebt sie nach dem Grundsatz, Gefühle und Rücksichten seien nur ein Ausdruck von Schwäche. Sie lebt nach dem Tod des Vaters allein mit der Mutter in Sarajewo. Die Mutter wird ihr erstes Opfer der Unbarmherzigkeit. Überall wird gespart – an der Heizung, am Essen, an allem. Ständig dreht sie an der Schraube, reduziert immer weiter die Ausgaben. Innerhalb kurzer Zeit wird die Stadt zu ihrem „Jagdgebiet“. Ihre „Beutegier“ findet überall Gewinnbringendes. Sie lernt schnell, Geschäfte zu machen, und findet ebenso zuverlässig jene, die zu ihren Helfern werden.

Sie fängt an, Geld zu verleihen. Aber nicht an alle. Einer verzweifelten Frau verweigert sie es, die daraufhin auf die Knie fällt und schluchzt. „Da fühlte sie in ihrer Brust etwas Süßes und Warmes hüpfen – ein zweites und größeres Herz.“ Schon will sie ihr die Hand reichen und zieht sie rasch wieder zurück. Rajka hat es sich anders überlegt: „Aber nicht doch, meine Dame …“ Noch spürt sie darüber einen Rest von Scham, aber sie blieb hartherzig. Am Ende wird sie keine Seele mehr haben, aber auch keinen Stolz mehr.

„Keiner konnte sich erinnern, dass, seit Sarajewo bestand, je ein weibliches Geschöpf Geschäfte gemacht und mit Geld und Wertpapieren gehandelt hätte und noch dazu so ein Halsabschneider und Wucherer gewesen wäre.“

Der Erste Weltkrieg bricht herein und bringt ihre Welt der gut funktionierenden Geldvermehrung durcheinander. Zunächst verdient sie am Krieg, zeichnet Anleihen, aber dann naht das Ende und der Absturz. Ihre unzerstörbare Liebe zum Geld wird für einen Moment der Boden entzogen. Man fängt an, über sie zu spotten. Für Rajka scheinen die Leute verrückt geworden zu sein, weshalb sie Sarajewo in Richtung Belgrad verlässt.

In Belgrad lernt sie Jovanka kennen und durch diese einen jungen Mann, der sie unvermittelt an ihren Lieblingsonkel Vlado erinnert. Mit einem Mal vergisst sie alle Grundsätze, leiht ihm, der hochtrabende Pläne von großen Geschäften vorträgt, bedenkenlos Geld und lässt ihm dabei freies Spiel. Dass sie auf einen Blender hereingefallen ist, will sie lange nicht wahrhaben.

„Was hatte sie dazu gebracht, sich in ihren reifen Jahren von einem Lächeln, welches an Onkel Vlado erinnerte, hinreißen zu lassen, sich mütterlich eines Faulenzers und Taugenichtses anzunehmen und ihm wie im Spiel und Scherz ungeheure Geldsummen in den Rachen zu werfen, ihr Geld, das teurer war als Blut und kostbarer als das Augenlicht?“

Um noch einmal Werner Ross zu zitieren, der in seinem Porträt des Schriftstellers Ivo Andrić wunderbar zusammenfasst, worum es in Das Fräulein geht: „Aber was allein den Autor interessiert, ist die Krankheitsgeschichte eines Herzens, das Schrumpfen der Gefühle, das Wachsen und Wuchern der Leidenschaft bis zum tragisch-grotesken Untergang, bis zu dem Augenblick, wo das Fräulein, von der Angst vor Dieben gehetzt, im Spar-Dunkel ihrer Wohnung gegen den Kleiderhaken mit ihrem feuchten Wintermantel rennt und im jähen Erschrecken vom Schlag getroffen wird.“

Mit genau diesem irrwitzigen Schluss, der die ganze Tragikomik dieser Geizigen zusammenfasst, beginnt der Roman, nämlich mit der Meldung vom Tod der Hausbesitzerin Rajka Radaković. Der Postbote hatte sie mit einem Blick durchs Fenster entdeckt, wo ihre Leiche ausgestreckt im Vorzimmer auf dem Boden lag. Diese Figur Rajka ist unerträglich, aber aus ihrer Geschichte hat der Autor einen faszinierenden und unheimlichen Roman entstehen lassen.

Nora Eckert ist Publizistin, im Vorstand beim Bundesverbandes Trans* e.V. und bei TransInterQueer e. V. und Teil der Queer Media Society

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Ivo Andrić: Das Fräulein; Mit einem Nachwort von Michael Martens; März 2023; Aus dem Slawischen von Edmund Schneeweis, Katharina Wolf-Grießhaber; Hardcover gebunden, mit Schutzumschlag; 272 Seiten; ISBN 978-3-552-07341-8; Zsolnay Verlag; 28,00 €

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