„Ich mag aber nur ihn“

Die Mühle zu laut, das Gehupe zu penetrant, das Hausmädchen nicht willig genug, die Homosexuellen vom Teufel besessen: Ganz alltägliche Probleme also, die die Anwohner:innen der Ajayi Crowther Street in Lagos beschäftigen, die im Zentrum der, vom avant-verlag so angeteaserten Soap-Opera-Graphic-Novel Lagos – Leben in Suburbia mit Texten von Elnathan John und Zeichnungen von Àlàbá Ònájin stehen. 

Von Wundermännern und anderen Schurk:innen 

Dabei ist die Graphic Novel, die als ein Projekt des Goethe-Instituts Nigeria entstand, alles andere als oberflächliche Unterhaltung, wenn sie auch im Großen und Ganzen so gut zu unterhalten wie nachdenklich zu stimmen weiß. Im Zentrum steht die Familie von Reverend Akpoborie und seiner Frau Caroline. Er ist Vorsitzender seiner eigenen Kirche „The Reformed End-Times Ministries“ und die ist genau so, wie sie klingt.

Was es seinem vielleicht und wenn ja dann nur heimlich schwulen Sohn, Godstime, nicht leichter macht. Eine gute Freundin hat er in seiner älteren Schwester Mary, die sich dies alles mit einem gewissen emotionalen und ideologischem Abstand anschaut und eindeutig zu den interessantesten Figuren der Geschichte gehört. Die dritte im Geschwisterbunde ist Ketunah, die streng an die Lehren des Vaters glaubt, jedenfalls einigen, wie der Verdammung von HomosexualitätLagos – Leben in Suburbia thematisiert auch die homosexuellenfeindliche Gesetzgebung Nigerias -, bei Sex vor der Ehe ist sie schon flexibler und das ausgerechnet mit Pastor Diego, der rechten Hand des Vaters.

Wo Mensch ist, ist auch Drama

Hinzu kommen reichlich weitere Figuren aus der Nachbarschaft, die boshafte beste Freundin von Mutter Caroline, Queeneth, eine Haushaltshilfe, Kyautu, die schon beinahe wahrhaft seelsorgerische Aunty Susan oder Onyeka, mit dem Godstime eine Art Beziehung führt. Auf den gut zweihundert Seiten lassen John und Ònájin hier diverse Lebenswelten und -weisen entstehen und in sich zusammenfallen; sie nehmen Klischees, plustern sie teilweise auf oder drehen sie ins Umgekehrte. In manchen Momenten, vor allem in den vermittelten Bildern von Männlichkeit, dem Umgang mit Affären und in den teils brüchigen Freundschaften, mögen geneigte Leser:innen sich an Akwaeke Emezis Der Tod des Vivek Oji erinnert fühlen.

So ist auch die Geschichte von Lagos – Leben in Suburbia in Teilen unvorhersehbar und kommt selbst bei manch zu ahnendem Verlauf plötzlich mit einer garstigen Härte um die Ecke, dass es dann wieder überrascht. So scheut die Geschichte, die auch in der Übersetzung von Lilian Pithan nicht darauf verzichtet diverse Dialekte und Sprachformen einzubeziehen, nicht davor zurück, neben der stark im Fokus stehenden Homofeindlichkeit auch seelischen und körperlichen Missbrauch, Vergewaltigung, Korruption, Betrug, Heuchelei und Weiteres deutlich zu thematisieren, ohne dabei effekthascherisch zu sein.

Detailliebe in der Form

Das ist auch den recht genauen Zeichnungen Àlàbá Ònájins zu verdanken, die durchaus manches Mal auf Effekt aber nie auf Schock um des Schocks willen setzen; genug Drama bieten sie dennoch allemal. Mit Drama oder vielmehr direkter Handlung geht es auch los – so müssen wir von Beginn an fokussiert sein (eine Charakterübersicht ist sehr hilfreich); nicht selten wechseln die Orte und handelnden Personen nach ein, zwei Seiten.

© Àlàbá Ònájin/avant-verlag

Leider entsteht so an mancher Stelle auch das Gefühl ein wenig durch die weitgefächerte Geschichte zu hetzen – dankenswerterweise lernen wir in der zweiten Hälfte das interessante Nachbarspaar Bucknor besser kennen – und manches doch etwas zu kurz kommen zu lassen. So geht Sohn Godstime nach einem heftigen Schicksalsschlag für einige Zeit nach Hamburg (statt Kampala – Hamburg also mal Lagos – Hamburg), um sich dort behandeln zu lassen. Plötzlich kommt ein Zeitsprung und alles ist irgendwie in Butter. Dabei hätte gerade dieser Prozess, des Wiederzusichkommens durchaus einigen Charme gehabt.

Zack, Zack, Punkt.

Überhaupt wirkt das Ende leider etwas überhastet, womöglich sind wir da ganz beim Thema einer Soap: Das muss nun zu Ende sein, also machen wir einen Strich drunter. Das ist schade, denn auch wenn der Schluss von Lagos – Leben in Suburbia eine:n nicht gänzlich unzufrieden zurücklässt, wünscht mensch sich doch, dass manch eine Entscheidungsfindung nachvollziehbarer gemacht worden wäre.

© Àlàbá Ònájin/avant-verlag

Unterhaltsam und auf gesunde Art erschütternd ist diese Geschichte nichtsdestotrotz, dass sie ein so deutliches Licht auf die Unmöglichkeit von Homosexualität in Nigeria und ebenso auf die Einflüsse ausartender religiös gezeichneter Bereicherungskonzepte wirft, ist ein weiteres Plus von Lagos – Leben in Suburbia. So sei, nicht zuletzt auch, um uns einen Einblick in eine eher unbekannte Region zu geben, die Graphic Novel wärmstens empfohlen.

AS

PS: Kurz zur Situation homosexueller Menschen in Nigeria: Homosexuelle Handlungen stehen in dem Land unter Strafe und können mit bis zu 14 Jahren Haft bestraft werden. In den nördlichen Bundesstaaten des bevölkerungsreichsten Landes Afrikas wird darüber hinaus das Recht der Schari’a angewandt, hier kann also auch die Todesstrafe durch Steinigung Anwendung finden. Ansonsten wird eine noch strengere Gesetzgebung in dem Land unter anderem durch die Christian Association of Nigeria, dem Dachverband christlicher Kirchen und Organisationen, unterstützt. Ein wenig bedauerlich ist es, dass hierzu nicht auch Informationen am Ende des Buches zu finden sind. 

Das Cover von Lagos – beim avant-verlag findet ihr noch einige andere Eindrücke aus der Graphic Novel

Lagos – Leben in Suburbia; Text: Elnathan John, Zeichnungen: Àlàbá Ònájin; Aus dem nigerianischen Englischen von Lilian Pithan; Dezember 2021; Softcover; 224 Seiten, durchgehend vierfarbig; ISBN: 978-3-96445-060-9; avant-verlag; 25,00 €

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