Zugegeben: Als ich das erste Mal wahrnahm, dass Das Erste am 17. Mai 2023, dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit (kurz: IDAHOBIT), den Film Meine Freundin Volker mit dem zumindest als Tatort-Borowski theatralisch-sperrigen Axel Milberg in der Hauptrolle als Volker Weinreich aka Drag Queen Vivian Bernaise zeigen würde, war ich skeptisch. Allzu oft treiben Schauspieler, die kaum eine Verbindung zur queeren Szene und Drag als Kunstform haben, solche Darstellungen derart klamaukig vor, dass es mindestens als peinlicher Affront bezeichnet werden muss.
Doch: Nicht so in dem Film von Regisseur Piotr J. Lewandowski (Jonathan, Tatort: Hüter der Schwelle), den dieser auf Grundlage des herzlichen, menschlichen und nicht selten heiteren Drehbuchs von Julia Penner und Andreas Wrosch inszenierte. Dass alle Beteiligten Erfahrungen mit queeren und bunten Stoffen, Wahlfamilien und Diversität haben, merkt man dem Endprodukt deutlich an. Dies nicht zuletzt, weil viele, viele Drag Queens als Kleindarsteller*innen und Kompars*innen auftreten.
Begeisterung bei Drag Queens
So auch, wenn Axel Milberg als Vivian Bernaise im fiktiven Hamburger Club „Donauwelle“, natürlich auf St. Pauli und der Reeperbahn, auftritt. Dank des Maskenbildners mit Drag-Erfahrung Oliver Hildebrandt (Roter Himmel, John Wick 4) in All-In-Make-Up, Kostüm und Frisur mit einer Mischung aus Diva, Vamp und It-Girl dürften hier nicht nur die TV-Zuschauer*innen restlos überzeugt werden. Nein, auch die anwesenden Drag Queens wussten vorher nicht, wer dort auf der Bühne stehen und den von Lenny Mockridge geschriebenen Song „Im Schatten des Zuschauerlichts“ performen würde (überhaupt ist die Musik schön und wir hoffen auf einen Soundtrack) und zeigten sich restlos und aufrichtig begeistert, wie es im Presseheft von verschiedenen Beteiligten und auch der Frankfurter Drag-Ikone Tante Gladice selbst heißt.
Nun besteht Meine Freundin Volker nicht aus restlos aneinandergereihten Performances von Vivian Bernaise, nein, es gibt eine richtige Handlung mit verschiedenen Handlungssträngen. Nach ihrer Wochenendshow überredet Manager Georg (Carsten Strauch) Vivian, die einer großen US-Tour entgegenblickt, dazu noch Geldgeber Anton (Jacob Matschenz, Legal Affairs) zu empfangen. Kurz darauf wird der Sohn eines örtlichen Mafioso in einem Handgemenge erschossen. Papa bittet nun darum, diese Drags-Schwuchtel, die ihren Sohn verführt und verschwult habe, zu finden und zu ihm zu bringen…
Spießermutti trifft auf Queerikone
…zur gleichen Zeit inseriert die „verspießerte Vorstadtmutti“ und Lehrerin Katja Stockmann (Kim Riedle, Tatort: Das Opfer) ein Zimmer in ihrem Haus in Itzehoe. Dort ist Platz, nachdem ihr Mann und Direktor David (Helgi Schmid, How to Dad) sich entschieden hat, eine Affäre mit der Referendarin Nora (Anja Antonowicz, Lindenstraße und die Borowski-Tatorte) zu beginnen. Volker soll nun dort untertauchen, möglichst als Heteromann, bis sein Visum für die USA durch ist und er vor der russischen Mafia fliehen kann. (Anders also als bei The Drag and Us, wo die von Ralph Kinkel verkörperte Drag Queen Cathérine aus Kostengründen in eine spießbürgerliche Tom-Gerhardt-WG zieht.)
Natürlich führt das Auftauchen des flamboyanten Mannes zu gewissen Irritationen im Haus, vor allem als Katja so einfach in sein Zimmer platzt und ihn in Korsage und Hüftmontur auf Stöckelschuhen mit „Mega-Quark“-Maske sieht. Dafür frisst Sohn Lukas (Bruno Thiel), der in der Schule, von den Eltern unbemerkt, gemobbt wird, schnell einen Narren an dem neuen Bewohner — fühlt doch auch er sich anders, als es die heteronormative Ordnung vorgibt. Aber auch Katja und Volker nähern sich an, denn sie will das Schul-Musical — Cinderella — inszenieren und könnte durchaus ein wenig Hilfe gebrauchen…
Ja zum Leben
Julia Penner und Andreas Wrosch haben Meine Freundin Volker als eine Mischung aus Krimi–Komödie und Familienfilm angelegt, ausgestattet mit reichlich Messages, die im Grunde vor allem bedeuten: Sag ja zum Leben. Schrei ja zu Deinem Leben! Das ist so wunderbar wie manches Mal durchaus plakativ, funktioniert in diesem Film aber vollkommen. Wie erwähnt ist die ganze Nummer sehr herzlich und alles wirkt aufrichtig, nicht statisch.
Vor allem sind es Axel Milberg und Bruno Thiel, die fesseln. Erstgenannter spielt seine Figuren zwar mit einer gewissen Ironie, aber nie mit gebrochener Distanz und zeigt, dass er ein wirklich großartiger Schauspieler sein kann. Im Presseheft sagt Milberg, dass er mit Eric Marlene einen Coach und Choreografen an seiner Seite hatte, der ihm „die extravaganten Bewegungen, die weich, freundlich und einladend sind“ gezeigt habe (und mit ihm über Vorurteile, Gewalt und Ausgrenzung gesprochen habe). Und das trifft es. Ob nun als Vivian oder Volker: Die Bewegungen stimmen. Und auch als Volker passt das dezente Make-up, mit den immer leicht rosa schimmernden Lippen und dem immer währenden Mascara-Zauber. Ganz wie Hildebrandt sagt — so können wir uns einen älteren Mann vorstellen, der sein Leben auf der Bühne verbringt, über Jahrzehnte einiges erlebt und an Verlusten erfahren hat und dennoch immer Lebensfreude ausstrahlen und so manche Weisheit von sich geben will.
Mehr ist mehr
Thiel als Lukas wiederum überzeugt als schüchterner und verunsicherter, aber auch neugieriger Junge, der sicherlich auch wegen seiner mit sich beschäftigten Eltern schnell einen Freund in Volker und Goldfisch Sven findet. Was nicht heißt, dass sein Umfeld nicht liebevoll sei, ganz im Gegenteil. Vor allem Kim Riedle als besorgte Mutter, aber eben auch in ihrer Rolle als „Königin des Ausnahmezustands“ Gefangene, zeigt in jedem Moment mit ihrem Sohn, der gern als Cinderella im Musical auftreten möchte, wie sehr sie ihn liebt und hinter ihm steht.
„Selbst wenn wir an den Drehtagen über die Reeperbahn gegangen sind, sahen wir uns Anfeindungen von Männern ausgesetzt. Wer bist du denn? Was willst du? Bist du Frau oder Mann? Wobei das noch die harmloseren Bemerkungen waren. Es hat sogar Handgreiflichkeiten gegeben. Wenn man im Rudel auftritt, ist alles fein. Aber sobald man allein unterwegs ist, muss man aufpassen. Bei uns in Frankfurt wurden im letzten Jahr mehrere Dragqueens auf der Straße beleidigt, körperlich angegriffen und verletzt. Diese zunehmende Bedrohung kommt im Film sehr gut rüber.“
Tante Gladice im Presseheft (im Film als Gudrun, die Göttliche zu sehen)
Ebenso ist es fein, dass das Autoren-Duo es schafft in zumeist recht natürlich anmutenden Dialogsituationen die durch die AIDS-Krise geprägten 1990er-Jahre, das Gefühl des Allein- und Ausgestoßenseins, die ständigen Gefahren, denen queere Personen und auch Drag Queens ausgesetzt sind sowie die Themen Selbststimmung, Drag als Kunstform und Crossdressing einzubringen. In der Tat mag hier manch ein*e Zuschauer*in noch etwas lernen können — so sie sich dafür offen zeigt. Sicherlich wird es auch jene geben, die „Frühsexualisierung!“ brüllen und es als Missbrauch definieren werden wollen, dass Kinderschauspieler*innen hier Kleider oder Anzüge tragen. „Unsere Gebührengelder werden genutzt, um kleine Kinder umzupolen!“ — mensch sieht schon die Tweets und Co. vor sich.
Dabei steht Meine Freundin Volker vor allem für das Leben, die Freiheit, die Selbstliebe und den Zusammenhalt von (Wahl-)Familien und Freund*innen. Ein aufrichtiger und humorvoller Ton halten auch manch schwierige Thematik leicht und auch für jüngere Zuschauer*innen vermittelbar. Somit haben Julia Penner, Andreas Wrosch, Piotr J. Lewandowski sowie Produzentin Doris Büning einen wirklich inklusiven Film geschaffen, der auch in der LGBTIQ*-Community gut ankommen dürfte und mit seiner feinen Message weite Verbreitung finden sollte.
AS
Meine Freundin Volker läuft am 17. Mai 2023, dem IDAHOBIT, um 20:15 Uhr im Ersten sowie am 21. Mai 2023 um 20:15 Uhr auf one ist bis zum 17. August 2023 in der ARD-Mediathek verfügbar.
Meine Freundin Volker; Deutschland 2022; Drehbuch: Julia Penner, Andreas Wrosch, Regie: Piotr J. Lewandowski; Bildgestaltung: Patrick-D. Kaethner; Musik und Songs: Lenny Mockridge; Darsteller*innen: Axel Milberg, Kim Riedle, Helgi Schmid, Bruno Thiel, Frida Stittrich, Tante Gladice, Carsten Strauch, Anja Antonowicz, Thelma Buabeng, Electra Pain, Meo Wulf, Funny Fantastic, Dominik Lamovski, Meik van Severen, Kelly Heelton, Rachel Invention; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion der Cinecentrum Berlin Film- und Fernsehproduktion GmbH / Realfilm Berlin GmbH im Auftrag des NDR für DAS ERSTE
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