„Music Impossible“ — warum wir solche Formate öfter brauchen

Beitragsbild: Ein erster Eindruck der neuen Folgen – Conchita Wurst, Sarah Engels, Jennifer Weist // Foto: © ZDF/Michael Clemens

Mein Song-Sucht-Dein Song-Unser Song-Voice und wie sie alle heißen. Gesungen wird viel im Fernsehen, im In- und Ausland und besonders gern auf den Privaten. Mit schöner Gleichmäßigkeit werden dort Menschen aller Altersklassen, Stimmfarben und Lebenshintergründe in Wettbewerbe geschickt, an deren Ende den geneigten Zuschauer*innen immer ein neuer Star versprochen wird. Nur dumm, dass die deutsche Unterhaltungsindustrie genau auf das Beibehalten solcher Talente wohl eher weniger ein Augenmerk legt. Wie deutlich zu merken, kommt es schon klar auf die Verantwortlichen in der Produktion an. Das muss mensch den von Stefan Raab organisierten Wettbewerben lassen: Diese Stimmen hört man heutzutage wenigstens noch und nach den öffentlich zur Verfügung stehenden Informationen können diese von ihrer Musik leben. 

Ausnahmeerscheinungen

Manchmal bringen uns diese Wettbewerbe aber auch jemanden wie Conchita Wurst. Herausragend, talentiert, in keine Schublade wirklich passend, aber in allem, was sie schafft, inspirierend und stets mit Ecken und Kanten versehen. 

Da war es auch nicht zu erwarten, dass, wenn ausgerechnet Conchita eine Moderation für eine Musiksendung übernimmt, diese dem Mainstream zuzuordnen und/oder glatt wäre. Das Konzept ist schnell und einfach erklärt: Zwei Künstler*innen bearbeiten einen ihrer eigenen Songs, allerdings im Stil des Künstlers, auf den sie treffen. Wir verfolgen die Eröffnung, auf wen sie treffen, die Bearbeitung und die abschließende Präsentation vor Publikum.

Natürlich haben sie für die ersten beiden Folgen wunderbare Gegensätze aufeinander treffen lassen. Marianne Rosenberg trifft auf Eko Fresh und Doro Pesch auf Mike Singer.

Ja, geneigte Leserschaft, die jeweiligen Genres liegen ganz schön weit auseinander. Wer jetzt schon Doro Pesch im Ozean des Pop ersaufen sieht, liegt irgendwie ebenso richtig wie jemand, der oder die Eko Fresh keinesfalls mit Schlager in Verbindung bringen mag. Dass unsere Grande Dame des Schlagers sich schlussendlich mit einem Rap auf die Bühne stellt, scheint unglaublich, ist aber in der ZDF-Mediathek jederzeit bis September abrufbar.

Mutwende

Und da haben wir die nächste Überraschung. Kein Sparten- oder Nischensender ist dieses Experiment eingegangen, sondern tatsächlich das große ZDF. Scheint als wäre dieses große öffentlich-rechtliche Schiff doch ganz schön wendig.

Wobei es etwas an dieser Sendung gibt, was einerseits zu wenig in dieser Gesellschaft stattfindet, andererseits kann aber meiner Meinung nach auch die Bravour, mit der die Beteiligten dies meistern, nicht deutlich genug herausgestellt werden: Sich öffentlich aus der Komfortzone zu wagen und der Herausforderung zu stellen.

In diesem simplen Schritt aus der Komfortzone liegt für mich der wahre Kern dieser Sendung. Gestandene Künstler*innen, in einem wirklich klar definierten und umrissenen Genre zu Hause, lassen sich darauf ein. Sie zeigen, wie wir alle in unserer Gesellschaft wieder ein bisschen enger zusammenrücken können und diese gemeinsam gestalten können. Wir lassen uns auf die Komfortzone eines anderen Menschen ein, erspüren sie, erfahren sie, achten sie und bemerken die Leistung, die dahintersteckt, ohne das wertende Instrument des eigenen Geschmacks anzulegen. Denn das ist hier keinesfalls passiert. Es wird nicht abgewertet, sondern in dem Bemühen bestätigt, andere zu verstehen und zu erfahren.

Respektübung

Jeder Weg und jede gezeigte Leistung verdient eine gehörige Portion Respekt für den Mut, der hier seinen musikalischen Weg auf den Bildschirm findet. Streamt. Bitte streamt, was das Zeug hält. Schaut’s euch an, empfehlt weiter und hofft auf mehr und mehr.

Das nach den zwei Folgen durchaus nach viel mehr schmachtende Herz kann ich schon etwas beschwichtigen. Ich hab’ nämlich auch nach nur zwei Folgen gedacht: „Soll das wirklich schon alles sein? Oh, bitte bitte nicht! Ende und aus?“. Die offene, klare und erfreuliche Antwort aus der ZDF-Redaktion: „Nein!“ es kommen noch mindestens zwei weitere Folgen und diese werden auch noch im ersten Halbjahr 2023 veröffentlicht [siehe PS, Anm. d. Red.].

Na, das sind doch mal wirklich gute Neuigkeiten… und jetzt? Üben wir es doch alle mal selbst… aus der Komfortzone herausgehen…

Und los…

Frank Hebenstreit

PS: Die ersten zwei Folgen sind noch bis zum 4. respektive 9. September 2023 abrufbar. Zwei neue Folgen mit Mickie Krause und Tom Gaebel sowie Sarah Engels und Jennifer Weist sind ab dem 20. Mai 2023 in der Mediathek verfügbar und werden im linearen ZDF-Programm jeweils um 23:30 Uhr am 2. und 9. Juni 2023 zu sehen sein. 

PPS: In der Kategorie Unterhaltung war Music Impossible 2023 für den 59. Grimme-Preis nominiert. Zwar klappte es mit der Auszeichnung nicht, aber schon die Nominierung freut. Preisträger sind unter anderem das ZDF Magazin Royale sowie das von Netflix gecancelte Queer Eye Germany, das den Grimme-Preis Spezial für die Ensembleleistung bekommt.

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