Backen ist aus Teig geformter Sex

Okay, okay. Streng genommen lautet das auf die berühmte Person Unbekannt zurückzuführende Zitat: „Backen ist aus Teig geformte Liebe.“ Doch liegen Liebe und Sex häufiger nahe beinander. Manches Mal auch nicht — das ist auch mal gut so. Einem Mal-So-Und-Mal-So begegnen wir in dem zauberhaften und glücklicherweise doch so gar nicht überzuckerten italienischen Film Mascarpone des Regieduos Matteo Pilati und Alessandro Guida, die gemeinsam mit Giuseppe Paternò Raddusa auch das Drehbuch zu der sexuell offenen Komödie mit dramatischem Touch geschrieben haben. 

Ein Lebens-Soufflé, das in sich zusammenfällt

Zu Beginn treffen wir auf den hart attraktiven 30-jährigen Antonio (Giancarlo Commare) im Fitnessstudio. Hier wird er solide angeflirtet, lehnt aber einen Quickie mit Verweis auf seinen Ehering ab. Doof nur, dass ihm Ehemann Lorenzo (Carlo Calderone), mit dem er das perfekte Leben zu haben glaubt, kurze Zeit später eröffnet, dass dieses Leben nun vorbei und er in einen gemeinsamen Freund verliebt sei. Oh-oh! 

*rrrr*: Luca (Gianmarco Saurino) würde gern mit Antonio (Giancarlo Commare) duschen… oder so // © Cinemien

Schon hier wird deutlich, dass Mascarpone (im Verleih von Cinemien/Pro-Fun-Media)ein wenig anders aufgebaut ist, als die übliche (heteronormative) romantische Komödie. Wir bekommen nicht etwa prompt einen mit beschwingt-trauriger Popmusik unterlegten dreieinhalbminütigen Zusammenschnitt von Trauer, Wut, Erwachen, et cetera zu sehen. Nein, stattdessen geht es darum, wie Antonio seiner besten Freundin Cristina (Michela Giraud) von der Trennung erzählt, wie er versucht die Beziehung zu bewahren und so weiter. Das ist fein und blendet einmal nicht aus, dass ein Ende nicht immer abrupt umgesetzt werden muss.

Flambiert-flamboyante Rezeptur

Unvermeidlich ist es hier aber doch und so zieht Antonio schließlich in ein Zimmer in der Wohnung des libertinen Denis (fantastico: Eduardo Valdarnini). Nun versucht er nach und nach wieder Boden unter die Füße zu bekommen, wenn er sich dem auch lange verweigert. Bis auch Denis ihm schließlich dabei hilft den Stock aus respektive die Spinnweben vom Arsch zu bekommen. Als Antonio einen Job in der Bäckerei des ansehnlichen Luca (Gianmarco Saurino), den er bereits aus dem Fitnessstudio kennt, bekommt, kann er zwei gar schmackhafte Leidenschaften verknüpfen: Backen und Sex.

Vertraut: Antonio, Denis (Eduardo Valdarnini) und Cristina (Michela Giraud) // © Cinemien

Mascarpone schafft es auf ganz deliziöse Weise, eine fluffig-leichte Komödie mit vielerlei wahren Pointen, eine eingehende Geschichte einer Trennung und Selbstfindung sowie leichtes, aber effektives Drama miteinander zu vermischen. Das ganze wird gut durchgerührt, wie es scheint vor allem per Hand und nicht Maschine, was der Story einen ganz persönlichen Charakter gibt. Auch hier nimmt der in vielerlei Hinsicht reizend-reizvolle Film sich von diversen anderen aus: Die Verbindung der Figuren untereinander wirkt glaubhaft; entstehende Freundschaften und manch ein kleiner Riss in dieser — das alles scheint authentisch. Nicht zuletzt liegt das an dem famos zusammengestellten, sympathischen und sexy daherkommenden Ensemble.

Kräftig durchgebacken 

Wunderbar ist, dass Mascarpone keine RomCom in Gay erzählt (wie etwa der daran grandios scheiternde Bros). Dass er aufzeigt, dass es nicht immer um die große Liebe zu zweit gehen muss, sondern es auch um die Liebe zum Leben und dem Selbst gehen kann. Dass Erfüllung nicht nur darin zu finden ist, sich für jemanden zu erfüllen — und darüber hinaus womöglich die eigene Person nicht ausreifen zu lassen. So erfüllt Antonio sich beispielsweise endlich den Traum, eine Ausbildung zum Konditor zu starten (übrigens nochmals zum Anfang: „Backen ist Liebe.“ — „Bullshit.“, backen ist nämlich harte Arbeit).

Backen will gelernt werden // © Cinemien

Dass die Realität und manch Eifersucht aber auch vor einer dem Hedonismus frönenden und sexpositiven Welt nicht Halt machen, merkt das Trio unter anderem, als Antonio den Mailänder Fotografen Thomas (Lorenzo Adorni) kennenlernt. Ihn mehr als einmal trifft (eine Art goldener Regel für’s Online-Dating: nicht wiedertreffen. Von dieser mag mensch halten, was er*sie mag. Zumal Luca, der diese ausgegeben hat, auch regelmäßig mit Antonio in Backstube und Co. vögelt) und gar in die Wohnung zum Essen einlädt. Oh-oh! 

Neue Liebe? Thomas (Lorenzo Adorni) und Antonio // © Cinemien

So schlägt der forsche Mascarpone immer mal wieder eine kleine Finte, überrascht uns Zuschauer*innen mit einem unerwarteten aber nicht unglaubwürdigen Twist und ergibt so eine nahezu perfekte Filmmischung. Dass die Inszenierung von Film, die Bilder eines urbanen Roms (Bildgestaltung: Michel-Clement Franco) und die musikalische Untermalung (Umberto Gaudino und Jean Michel Sneider) hervorragend zu Stimmung und Figuren passen, runden den Film, bei dem manche hier und da an Xavier Dolans frühere Werke denken mögen, ab und machen ihn zu einem besonderen Genuss. Kalorienarm und doch üppig macht er Lust auf mehr Leben, mehr Sex, mehr Erfüllung. 

JW

PS: „Gebäck ist oft eine Zuflucht bei Liebeskummer. Aber man isst es eher.“

PPS: Wer noch nicht genug Mascarpone hatte: Im Buch Säure des schwulen niederländischen Koch Bas Robben findet sich ein nettes Rezept zur Herstellung der Sahnecreme. Eine Besprechung des Buches folgt selbstverständlich.

Mascarpone ist am heutigen Montag im Rahmen von MonGay im Berliner Kino International und im Münchener City Kino zu sehen. Weitere Termine findet ihr bei Cinemien.

Mascarpone; Italien 2021; Buch: Giuseppe Paternò Raddusa, Matteo Pilati, Alessandro Guida; Regie: Alessandro Guida, Matteo Pilati; Bildgestaltung: Michel-Clement Franco; Musik: Umberto Gaudino, Jean Michel Sneider; Darsteller*innen: Giancarlo Commare, Eduardo Valdarnini, Gianmarco Saurino, Michela Giraud, Lorenzo Adorni, Carlo Calderone, Barbara Chichiarelli; Laufzeit ca. 101 Minuten; FSK: 16; verfügbar auf DVD, als VoD und Filmdownload sowie in manchen Kinos

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