„Du musst deine Wahrheit finden“

Anfang der 1980er-Jahre dürfte der Fall Johannes Erlemann zu den spektakulärsten Entführungsfällen der Nachkriegszeit gehört haben. Am 6. März 1981 wurde der 11-jährige Erlemann-Spross auf dem Nachhauseweg entführt und über gut zwei Wochen in einem Holzverschlag im Wald festgehalten. Derweil sein Vater, Jochem Erlemann, ein Investor und Lebemann sondergleichen, wegen vermeintlichen Steuerbetrugs in Untersuchungshaft saß und sein zwei Jahre älterer Bruder Andreas wegen einer bei Kindern seltenen Krebserkrankung in Behandlung war. Mensch sieht: Geld allein schützt vor Schaden nicht.

Der Fall einer Familie…

Dies erkennt auch Ehefrau und Mutter Gabi Erlemann, die in der Verfilmung des Falles unter dem Titel Entführt – 14 Tage Überleben, gespielt von Sonja Gerhardt (Ku‘damm), zu ihrem Mann während eines ihrer Besuche sagt, dass das wohl alles nicht passiert wäre, so sie ein ganz normales Leben ohne all das Geld, die hohlen Dinge und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gelebt hätten. Dieser ist perplex, wieso sie in der Vergangenheit spreche. Nun – seit kurzem wisse sie von einer heimlichen Wohnung in Paris. Hoppala.

Genießen noch das gute Leben: V. l.: Andreas Erlemann (Jacob Speidel), Gabi Erlemann (Sonja Gerhardt), Jochem Erlemann (Torben Liebrecht) und Johannes Erlemann (Cecilio Andresen) // Foto: RTL / Tom Trambow

Und als sei dies alles noch nicht genug, geht die Polizei, angeführt von Oberhauptkommissar Albers (Ronald Kukulies), ohnehin davon aus, dass der Vater hinter der Entführung steckt, um so wieder an Geld und in die Freiheit zu kommen. Immerhin fordern die Entführer 3 Millionen Mark. Damit kann mensch sich wohl schon mal ins Ausland absetzen.

Einzig der vom geschätzten und immer gern gesehenen Jonas Nay verkörperte Herbert Fischer sowie seinen Kollegen Albert Gumberger (David Hugo Schmitz), den er mehr oder weniger mitzieht, sehen das anders und ermitteln in eine andere, schlussendlich richtige Richtung. Dies in einer Art und Weise, die ihn auch das Vertrauen des Jungen gewinnen lässt (im Gegensatz zu den anderen Ermittelnden, die Johannes nach der Freilassung direkt mal wieder retraumatisieren) und schließlich zur Verurteilung der Täter führen soll.

…den kannste dir nich‘ ausdenken

Manchen mag die Erlemann-Entführung erinnerlich oder schon einmal untergekommen sein, anderen weniger. Das mag sowohl daran liegen, dass sie durchaus lange zurückliegt als auch daran, dass sie glimpflich ausging – im Gegensatz zu etwas jener Jakob von Metzlers. RTL+ und RTL rufen sie uns nun jedenfalls wieder groß in Erinnerung. Denn nicht nur strahlt der Sender heute Abend um 20:15 Uhr den Film aus, auch ist in der Mediathek die vierteilige Dokumentation Lebenslänglich Erlemann zu sehen, ein True-CrimePodcast ist verfügbar und ebenso wird im April kommenden Jahres im Penguin Verlag ein Buch von Johannes Erlemann selber unter dem Titel Befreit. Wie ich als Kind entführt wurde und was ich dabei über das Leben gelernt habe erscheinen.

WO IST MEIN SOHN? V. l.: Albert Gumberger (David Hugo Schmitz), Hauptkommissar Albers (Ronald Kukulies), Herbert Fischer (Jonas Nay), Polizist Friedrich (Joscha Baltha), Gabi Erlemann (Sonja Gerhardt) // Foto: RTL / Tom Trambow

Wer sich erst einmal einen ersten Eindruck verschaffen möchte, denen sei der vom Oscar-nominierten Marc Rothemund inszenierte und von Johannes Erlemann in der Entstehung beratend begleitete und, neben u. a. von Veronica Ferres, auch produzierte Film Entführt – 14 Tage Überleben empfohlen. Er funktioniert sowohl auf der Thriller-Ebene wie auch auf der emotionalen und nicht zuletzt auch als ein manches Mal schon satirischer Blick auf eine sehr spezielle Zeit und Familie. Auch dank Sätzen wie: „Ich muss noch zu diesem Trump. Ganz komischer Kauz“ von Papa Jochem. Oder: „Mein Vater is‘ im Knast; Johannes is‘ irgendwo entführt und ich kann nicht ohne nen Plastiksack scheißen“ von Sohn Andreas, als dieser vom Kompagnon der Mutter, Günni (Klaus Steinbacher, 1900, Das Boot, Tatort: In seinen Augen) ein Fahrrad zum Geburtstag geschenkt bekommt.

„Erwachsene sind manchmal einfach nicht so flexibel im Kopf“

Doch nicht nur das Drehbuch von Beatrice Huber trifft den richtigen Ton, auch finden die Bilder von Ahmet Tan immer einen guten Blickwinkel – ob es um das Jet-Set-Leben der Familie geht, die bedrohliche Situation für Johannes, die wachsende Verzweiflung Gabis, als sie erkennen muss, dass wohl sie sich um die Beschaffung des Lösegeldes zu kümmern hat oder die Sorge um den kranken Andreas.

Warten auf Neuigkeiten: Günni (Klaus Steinbacher) und Gabi Erlemann (Sonja Gerhardt) // Foto: RTL / Tom Trambow

Nicht zuletzt wissen neben Ausstattung und Kostümen vor allem die schauspielerischen Leistungen zu überzeugen. Allen voran Cecilio Andresen, der gekonnt und ohne Anflüge von unfreiwilliger Komik einen eigensinnigen, selbstbewussten und so altklugen wie panischen Johannes gibt. Ebenfalls stark Torben Liebrecht, der hier ein weiteres Mal nach Gestern waren wir noch Kinder in der Rolle eines inhaftierten Vaters überzeugt. Sonja Gerhardt, Jonas Nay und Klaus Steinbacher haben wir erwähnt. Auch kleinere Rollen wie die des Hauptentführers Wolf Kruse (Moritz Heidelbach) oder von Andreas (Jacob Speidel) funktionieren.

Angstmacher: Wolf Kruse (Moritz Heidelbach, l.) und Johannes Erlemann (Cecilio Andresen) // Foto: RTL / Tom Trambow

Entführt – 14 Tage Überleben lässt sich also im Grunde rundum empfehlen, weiß er doch trotz der nicht gerade heiteren Geschichte bestens zu unterhalten, ohne irgendjemanden durch den Kakao zu ziehen. Zwar mag das Schwarz-Weiß-Bild engagierter Privatleute und größtenteils denkfauler Polizist*innen etwas grob daher kommen, doch ist dies auch aufgrund der zugrundeliegenden wahren Geschichte verzeihlich. Einzig eine Texttafel, wie es am Ende mit dem Fall Jochem Erlemann und der Familie weiterging, dürfte manch geneigte Zuschauer*in vermissen. Dafür gibt es eine Widmung.

AS

PS: „Wir haben keinen Helikopter. Wir haben einen Learjet.“ – Wie unvollständig. Pffft.

PPS: „Is‘ ja nur, bis ihr wieder reich seid. Wir sind doch Freunde.“ – Aww…

PPPS: Die Haare von Johannes sehen nach gut zwei Wochen eingesperrt sein doch ein wenig zu gut aus.

V. l. hinten: Brigitte Kohnert (RTL), Hauke Bartel (RTL), Konstantin Mayer (Ausführender Produzent), Klaus Steinbacher (Rolle Günni), Sonja Gerhardt (Roll Gabi), Torben Liebrecht (Rolle Jochem), Ralf Berchtold (Ausführender Produzent), Jacob Speidel (Rolle Andreas), Meike Savarin (Förderreferentin Film- und Medienstiftung NRW); V. l. vorne: Veronica Ferres (Produzentin), Johannes Erlemann (das Original), Cecilio Andresen (Rolle Johannes), Marc Rothemund (Regisseur), Laura Roll (Producerin), Ahemt Tan (Kameramann) // Foto: RTL / Tom Trambow

Entführt – 14 Tage Überleben ist am Donnerstag, 14. September 2023, um 20:15 Uhr beim RTL zu sehen und bereits seit dem 7. September 2023 auf RTL+ verfügbar Das stern-TV Spezial: Entführt in Deutschland – Der Fall Erlemann ist im Anschluss an den Spielfilm um 22:30 Uhr bei RTL zu sehen.

Entführt – 14 Tage Überleben; Deutschland 2023; Regie: Marc Rothemund; Buch: Beatrice Huber; Bildgestaltung: Ahmet Tan; Darsteller*innen: Cecilio Andresen, Sonja Gerhardt, Torben Liebrecht, Jacob Speidel, Jonas Nay, Klaus Steinbacher, Ronald Kukulies, David Hugo Schmitz, Moritz Heidelbach, Joscha Baltha, u. v. a.; Laufzeit ca. 105 Minuten

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Comments

  1. Ich teile leider nichts, was der Autor hier behauptet. Dieser Film ist mies, einfach mies. Schlecht gemacht, furchtbare Dialoge und auch die Schauspieler sind leider nicht gut. Einziger echt guter Darsteller, der Junge, der den „Schnucki“ spielt, auch wenn dieser ja völlig anders aussah… Alle bekannten Details aus dem Fall, wurden hier aneinandergeklebt…fertig. Was V.F. da noch mitgemischt hat, ist wirklich die Frage.
    Interessanter war für mich, die tatsächlichen Menschen in der Doku zu sehen…Der Andreas war ja ein echt schöner Junge und der Geliebte der Mutter war, im Original, auch mal sehr attraktiv. Ich freue mich immer für Familien, die reich sind. Traurig, dass es hier leider nicht von Dauer war. Traurig auch, sehr traurig, dass Andreas und Jochem nun schon tot sind…….Sie wurden nicht alt…

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