Aus dem Off hören wir einen Anrufer, der der Rettungsstelle Tote nach Schüssen meldet, keine Gefahr mehr, aber ein kleines Mädchen im Haus, um das sich gerade die Frau des Anrufers kümmere. Überblende – neun Jahre später. Wir können uns also auf einen harten Film zum Thema Traumaverarbeitung mit vermutlich finsterem Ende einstellen, oder? Überraschenderweise gar nicht. Princess Cyd (im Verleih von Salzgeber) ist ein lichtdurchflutetes Porträt von unterschiedlichen Frauen voller Menschlichkeit und Wärme.
Aller Anfang ist schwer…
Regisseur und Autor Stephen Cone (The Wise Kids, Henry Gamble’s Birthday Party) bringt vordergründig zwei Frauen unterschiedlicher Generationen zusammen, die neben ihrem Altersunterschied noch unterschiedliche Vorstellungen von „Spaß“ im Leben haben. Die sechzehnjährige eigensinnige Cyd (Jessie Pinnick) soll den Sommer über bei ihrer nicht weniger eigenwilligen Tante Ruth (Rebecca Spence), einer erfolgreichen Autorin teils spiritueller Belletristik, in Chicago verbringen. Gesehen haben die beiden sich seit der Beerdigung von Cyds Mutter vor vielen Jahren nicht mehr.
Aller Anfang ist schwer und so haben auch die zwei einen etwas holprigen Start; jedenfalls hören es Autor*innen sicherlich nur bedingt gern, wenn ihnen die Nichte sagte, sie lese nicht gern und auch die Bücher der Tante würden eher nicht zur Hand genommen werden (Spoiler Alert: das ändert sich noch). Ebenso ist Cyd mehr an Sport und Sonne interessiert, während Ruth ihre Tage schreibend, lesend und essend verbringt; Cyd entdeckt ihre Sexualität, experimentiert, Ruth derweil hat die ihre, gemeinsam mit ihrem lilafarbenen Badeanzug, vorerst in eine Schublade verräumt.
Menschen aus unserer Umgebung
Doch statt diese Unterschiede als großes Hindernis aufzubauen, vermittelt Cones Drehbuch dies auf eine unbeholfen-sympathische Art, dass es eine Freude ist, dem Geplänkel und der Annäherung auf Augenhöhe zuzusehen. Wenn diese einmal nicht gegeben ist, wird sie schnell durch eine der beiden hergestellt, was in einer Szene zu Beginn des letzten Drittels führt, in der Ruth in einem wunderbaren Monolog erläutert, was sie zufrieden macht und begeistert, wieso aber nur jedes Individuum dies für sich selber vollends erschließen und verstehen könne. Ein ergreifendes und aufklärendes Schlaglicht, das ohne jede Melodramatik auskommt.
Dazu tragen auch die beiden Hauptdarstellerinnen bei, die ihre so nah geschriebenen Rollen eben so ausfüllen, dass es wirkt, als seien sie tatsächlich Menschen aus unserer Umgebung, als würden wir ihnen jederzeit begegnen können. Dazu kommt der Fokus auf Bewegung, kleine Blicke und Gesten, die in ihrer Selbstverständlichkeit diese authentischen Personen abrunden. Das ist eine große Leistung aller Beteiligter, die die gut neunzig Minuten Laufzeit nicht ein einziges Mal bricht und auch bis in kleinere Nebenrollen hält.
Selbstbewusst, aber keine Superheldinnen
Kurz nach ihrer Ankunft lernt Cyd, nachdem sie sich beim Joggen verlaufen hat, die Barista Katie (Malic White) kennen, zu der sie prompt eine Anziehung spürt. Ebenso scheint es Anziehung zwischen Ruth und ihrem Autorenfreund Anthony (James Vincent Meredith), der theoretisch geschieden ist, zu geben. Während Cyd recht freimütig ihrem Interesse an Katie und am Nachbarsjungen Ridley (Matthew Quattrocki) nachgeht, ist Ruth eher zurückhaltend.
Und doch eine gute Zuhörerin und Freundin für Cyd, was vice versa gilt. Stephen Cone versteht es gekonnt, die Dynamik zwischen den Figuren zu entwickeln und natürlich fortzuführen, kein Moment wirkt aufgesetzt. Dazu hat er Figuren geschaffen, die zwar selbstbewusst, aber keine Superheldinnen sind, zweifeln und sich doch nie in Frage stellen, komplex sind und doch nicht psychologisiert werden, die etwas eigen und doch keine Karikaturen sind.
Kein Ego dafür Empathie
Nicht zuletzt erfreut Princess Cyd auch als ein Film über die Kunst des Schreibens und Lesens, vermittelt manch einen allgemeingültigen Lebensgedanken über den Sinn von Büchern und geschriebenem Wort (mit welchen Cone seinerseits sehr elegant umzugehen weiß), ohne jedoch jemals in eine theoretische Abhandlung über selbes zu rutschen oder uns mit intellektuellem Zeigefinger die eigenen Genialität vorzuführen. Es ist kein Ego-Film sonder ein Empathie-Film ohne falsche Sentimentalität.
Princess Cyd, an den wir ohne jede Erwartungshaltung rangingen und ihn eher als Pflichtprogramm sahen, ist einer der begeisterndsten, tiefsten, wärmsten, liebevollsten, emphatischsten, unkitschigsten und ergreifendsten Filme, die wir in langer Zeit sehen durften. Interessanterweise erinnert er uns in dieser Hinsicht an den kenianischen Film Rafiki, der vor zwei Jahren in der Reihe rbb Queer lief und das macht sehr zufrieden. Und ihr werdet es auch sein.
AS
Der rbb zeigt Princess Cyd am Samstag, 23. Juli 2022 um 23:30 Uhr in deutscher Erstausstrahlung.
Princess Cyd; USA, 2017; Buch und Regie: Stephen Cone; Kamera: Zoë White; Musik: Christopher Gotschall; Darsteller*innen: Rebecca Spence, Jessie Pinnick, Malic White, James Vincent Meredith; Laufzeit ca. 97 Minuten; englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln; FSK: 12; eine Produktion von Sunroom Pictures im Verleih von Salzgeber; erhältlich als DVD oder VoD
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