Von Ur-Wäldern und Ur-Monstern

Der zweite Saarland-Tatort mit neuem Team „Der Herr des Waldes“ erzählt einen Fall so spannend wie der titelgebende Wald dicht ist. Dazu gibt es eine stringent fortgeführte zweite Handlungsebene und diverse Monstrositäten. Ein Muss.

Vor einem Jahr habe ich die Neuauflage des Saarland-Tatorts mit Das fleißige Lieschen recht begeistert besprochen. Mir gefiel das Setting, der Fall, mit einem semi-verstoßenen homosexuellen Sohn als Hauptverdächtigen, war durchdacht und so hintergründig wie insbesondere durch familiäre Verstrickungen und Geheimnisse spannend und die neuen Ermittelnden – Hauptkommissare Adam Schürk (Daniel Sträßer) und Leo Hölzer (Vladimir Burlakov, 1900) und die Hauptkommissarinnen Esther Baumann (Brigitte Urhausen) und Pia Heinrich (Ines Marie Westernströer) – bildeten ein interessantes und reibungsreiches Team, auch wenn, wie nicht nur ich kritisierte, Baumann und Heinrich noch sehr im Hintergrund blieben. Hinzu kam ein klasse Drehbuch, das es mit gut sitzenden Einzeilern nicht übertrieb, die Düsternis des Falles also nich konterkarierte, es aber auch nicht zu deprimierend werden ließ.

Auch der zweite Tatort des neuen Teams, Der Herr des Waldes, funktioniert ähnlich. Wenn die Einzeiler hier auch etwas weniger und durch die for(s)tgesetzt gut gemachte Charakterzeichnung der vier Ermittelnden inzwischen hintergründiger und gleichsam in die Zukunft weisender sind, was sie im Grunde noch interessanter macht. Manchmal ist das auch nur eine Geste (Kaugummis!). Und auch hier ist der Fall an sich wieder Aufhänger für das eine oder andere menschliche Drama im Hintergrund, dieses Mal jedoch nicht von der historischen Schwere der Verbrechen der Nazidiktatur. Grausam und traurig bleibt es allemal.

Wer hat Jessi Pohlmann (Caroline Hartig) ermordet? Das Ermittlerteam beginnt mit der Arbeit: Hauptkommissare Leo Hölzer (Vladimir Burlakov) und Adam Schürk (Daniel Sträßer), Hauptkommissarinnen Esther Baumann (Brigitte Urhausen) und Pia Heinrich (Ines Marie Westernströer) sowie Rechtsmedizinerin Dr. Henny Wenzel (Anna Böttcher). // © SR/Manuela Meyer

Ein grausamer Ritualmord?

Die vier Hauptkommissar*innen stehen also im Wald, wo ihnen die Rechtsmedizinerin Dr. Henny Wenzel (Anna Böttcher) zur Leiche der 18-jährigen Schülerin Jessi (Caroline Hartig) erst einmal nicht so viel erzählen kann, außer dass sie Bissspuren aufweist, eine ominöse Wunde am Oberschenkel, ihr das Herz entfernt und anschließend wieder eingesetzt und zwei Finger abgetrennt wurden, außerdem hat sie einen Zweig im Mund. Dieser weist auf einen alten Jägerbrauch hin, wie Adam Schürk, dessen Vater Roland (grandios widerwärtig: Torsten Michaelis), der am Ende des letzten Tatorts im Cliffhanger aus dem Koma erwachte, Jäger war/ist, feststellt. Haben sie es also mit einem Ritualverbrechen zu tun?

Möglich, oder auch nicht. Erst einmal wird im schulischen Umfeld der Ermordeten ermittelt. Dabei geraten ihr Immer-mal-wieder-Freund Manuel (Aaron Hilmer, ein erträglicher Teil von Sløborn) und dessen Kumpel und kompromissloser Tier- und Umweltschutzaktivist Simon (Julius Nitschkoff) in den Fokus der Ermittelnden. Durch einen weiteren Hinweis allerdings führt die Spur auch nach Frankreich, wohin die Hauptkommissarinnen Baumann und Heinrich sich begeben, um ein menschliches Drama zu entdecken. Doch hat dieses den Täter hervorgebracht?

Allen ihre Monster

Hätte der diesjährige österliche Tatort nicht den beinahe mythisch anmutenden und zu diversen Interpretationen einladenden Titel Der Herr des Waldes, so hätte er auch etwas plakativer schlicht Monster heißen können. Denn letztlich sind diese hier überall. Beginnend bei der grausam monströsen Tat, die einem derben Slasher in nichts nachsteht (aber Entwarnung für jene mit schwächeren Nerven, die Tat sehen wir kaum, nur das Resultat) über das Monster von Angst und Sorge, das Leo Hölzer hier begleitet und die Monster der Vergangenheit, die Adam Schürk plagen und nun im Jetzt wieder Realität werden, über das Monster des Zufalls, das in Frankreich aufgedeckt wird, zu den Monstern in Person, die hier durch den Wald wandeln.

Jublie Huiblot (Noémie Kocher), die Mutter des verdächtigen Rasa Huiblot (Vladimir Korneev), wird von den Hauptkommissarinnen Esther Baumann und Pia Heinrich in Frankreich aufgesucht. // © SR/Manuela Meyer

Diese verschiedenen Monster-Formate werden jedoch glücklicherweise durch das wieder sehr sichere und in der Tat unfassbar ausgewogene Drehbuch von Hendrik Hölzemann, der auch den Vorgänger schrieb, nicht symbolisch überladen transformiert, sondern viel eher bleibt die Ausbildung und somit der Wirkungsgrad zu einem Teil auch der Interpretation der Zuschauer*innen überlassen. Das ist in eine Leistung, fordert uns aber auch, uns auf die Geschichten und Charaktere einzulassen. Was durch die erneut anregende und den Figuren nahebleibende Regie von Christian Theede durchaus Freude macht.

Und unter anderem auch dadurch erleichtert wird, dass im Gegensatz zum fleißigen Lieschen hier die zwei Hauptkommissarinnen Esther Baumann und Pia Heinrich weit mehr zu tun und zu sagen haben, als es noch im ersten Film der Fall war. Dort war es insofern nachvollziehbar, da die Geschichte der Verbindung von Schürk und Hölzer erzählt werden musste, was sich nun bezahlt macht, da die Vergangenheit noch weniger ruht als im vergangenen Jahr. So ist es nun erst recht toll, die Schauspielerinnen Brigitte Uhrhausen und Ins Marie Westernströer etwas mehr zu erleben und dass ihre Figuren wesentlichen Anteil am Erfolg der Ermittlungen haben ebenso. Das Täterprofil, welches Pia Heinrich aus dem Ärmel schüttelt, soll am Ende gar nicht mal nur auf den tatsächlichen Täter passen, wie es Adam Schürk dämmert.

Was den Täter als solchen angeht: Mittelerfahrene und erfahrene Tatort-Zuschauer*innen dürfte die Identität des Täters (es stehen nur Männer unter Verdacht) wenig überraschen, der Weg dorthin und auch, wie sich uns der Täter nach und nach entblättert, ist jedoch spannend und auch schauspielerisch klasse umgesetzt. Wie überhaupt der ganze Film wieder auf den Punkt besetzt ist. Da ist der mysteriöse und ebenfalls sehr verdächtige Waldläufer Rasa (Vladimir Korneev) oder auch der beste Freund des Opfers und die Schüchternheit in Person, Clemens Lausch, gespielt von Oscar Brose, der in einer Szene des Ausbruchs famos auftrumpft, wenn dieser auch irgendwie unerklärt bleibt. Interpretationsmöglichkeiten allerdings eröffnet er so einige. Kai Wiesinger als dessen Vater und Lehrer (wohl auch früher einmal von Schürk und Hölzer) Peter Lausch ist ebenfalls klasse, allerdings musste ich die ganze Zeit an seinen Auftritt bei Kroymann – Die Entgiftung denken und daher viel schmunzeln.

Famos, jedoch nur mit Vorkenntnissen

Ein kleineres Manko allerdings ist festzuhalten: Wer Das fleißige Lieschen nicht gesehen hat, ist durch die stringent fortgeführte, hier sogar in den Fall und die Gegenwart greifende, Vorgeschichte klar im Nachteil und wird Der Herr des Waldes nicht nur nicht so genießen, sondern sich an manch einer Stelle gar etwas verloren vorkommen. Der Saarland-Tatort vom letzten Jahr ist allerdings aktuell in der Mediathek verfügbar, somit kann das nachgeholt werden (im Zweifel auch anschließend, um Lücken zu füllen). Empfohlen sei er allemal. 

Nachdem nun also vor einem Jahr der Wald eine Nebenrolle spielte, spielt er hier im „richtig schönen alten Urwald vor der Stadt“ (Autor Hendrik Hölzemann) nun quasi eine der Hauptrollen, dies auch in fantastischen Bildern von Tobias Schmidt. Vielleicht gehen wir im dritten Film ja einmal Richtung Wasser und ermitteln an der Saarschleife? Die Boote der Wasserschutzpolizei im Binnenland Saarland waren auf jeden Fall auffällig oft im Bild, Wald hin oder her.

Nein! Manuel Siebert (Aaron Hilmer) unternimmt hier nicht den Versuch Clemens Lausch (Oscar Brose) mithilfe seines Freundes Simon Jendrek (Julius Nitschkoff) einem PCR-Test zu unterziehen, v.l. // © SR/Manuela Meyer

Ähnlich also wie im vergangenen Jahr ist der neue Saar-Tatort Der Herr des Waldes unbedingt zu empfehlen (auch für Nicht-Tatortelnde) und wieder endet er mit einem Cliffhanger. Er begeistert durch eine dichte Story, ein überdurchschnittliches Drehbuch, das konstant gekonnt die Frage in der Waagschale hält, ob Monster geboren oder gemacht werden, ausgezeichnet spielende Darsteller*innen und ein beeindruckendes Setting. Und natürlich nach wie vor Daniel Sträßers Wangenknochen. 

Tatort: Der Herr des Waldes lief am 5. April 2021, also Ostermontag, um 20:15 Uhr im Ersten; um 21:45 Uhr auf one und ist erneut in der ARD-Mediathek (bis zum 25. Juli 2023) zu finden.

Tatort: Der Herr des Waldes; Deutschland 2020/2021; Regie: Christian Theede; Drehbuch: Hendrik Hölzemann;  Musik: Dominik Giesriegel, Florian Riedl; Darsteller: Daniel Sträßer, Vladimir Burlakov, Brigitte Urhausen, Ines Marie Westernströer, Anna Böttcher, Torsten Michaelis, Gabriela Krestan, Aaron Hilmer, Julius Nitschkoff, Kai Wiesinger, Oscar Brose, Noémie Kocher, Vladimir Korneev; Laufzeit: ca. 88 Minuten; Eine Produktion der PRO SAAR Medienproduktion GmbH im Auftrag der ARD Degeto und des Saarländischen Rundfunks. 

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