Das Eigenleben der Handtasche

Auf die Milano Moda Uomo, also die Mailänder Herrenmodewoche der Milan Fashion Week®, vom 15. bis zum 19. Juni 2024 sowie die Menswear Paris Fashion Week® vom 18. bis zum 23. Juni 2024, ausgerichtet von der Fédération de la Haute Couture et de la Mode, folgt nun die Berlin Fashion Week, die von 1. bis 4. Juli in der Hauptstadt stattfindet. Neben jungen, aufstrebenden Designer*innen und Marken sowie der Concept Competition Berlin Contemporary, diversen Showrooms und Workshops begegnen Besucher*innen in diesen Tagen natürlich auch längst etablierten Namen wie Kilian Kerner, Ewa Herzog, Marcel Ostertag, GMBH, Marc Cain oder Anja Gockel.

Von Armani bis Valentino

Zudem dürfte mensch so manch ein Anhängsel begegnen, das häufig das eigentliche Highlight eines Outfits, eines Auftritts ausmacht und nicht selten gar einer Performance gleichkommt. Und nein, damit ist kein flamboyantes und/oder augenfällig (un)bekleidetes Begleitungswesen gemeint. Sondern – die Handtasche. The Bag.

Auf geht’s – aufgesattelt die Galleria von Prada // © Megan Hess/Prestel

So auch der englische Titel des im vergangenen Herbst in deutscher Übersetzung im Prestel Verlag erschienenen Bandes der renommierten Illustratorin Megan Hess. Hierin finden geneigte Betrachter*innen 27 der berühmtesten und ikonischsten Handtaschen von Modehäusern und Labels wie Armani und Balenciaga, Chanel, Dior und Fendi, Gucci, Hermès und Louis Vuitton, Prada, Saint Laurent und Valentino nach Fotovorlagen liebevoll und detailgenau illustriert von Megan Hess höchstselbst, die auch kurze Texte zu Kreation der Taschen, Mustern und Verlauf sowie Weiterentwicklung des Designs verfasst hat.

„Eine luxuriöse Handtasche kommt nie aus der Mode“

Zunächst aber leitet Hess, die auch Candace Bushnells Bestseller Sex and the City illustrierte und Portraits unter anderem für die Vanity Fair, Animationen für Prada in Mailand, Schaufenstergestaltungen für Bergdorf Goodman in New York (Hey, Gossip Girl!) und Live-Zeichnungen für Fashion Shows wie Christian Dior Couture schuf, den Band mit ein paar, auch persönlichen, Worten ein. Von Beginn an macht die publizierende Fashionista klar, dass „Taschen viel mehr als nur funktionierende Gegenstände“ seien.

Die legendäre Birkin Bag – u. a. mit Füßchen, auf denen die Tasche sicher steht. Jedes Exemplar wird in Maßarbeit angefertigt // © Megan Hess/Prestel

Nicht nur ist die Wahl der richtigen Taschen zur richtigen Zeit eine sehr persönliche, da sie durchaus „Ausdruck unserer Persönlichkeit und unserer Vorlieben“ sind. Ebenso sind die besten unter den Bags Wertanlagen (nicht nur die Birkin Bag, die natürlich den ihr gebührenden Platz in Die Handtasche findet), Erbstücke und modische Icons, meint nicht nur, sondern weiß Megan Hess.

Zeitloser Klassiker: die Jackie (1958), eigentlich unter dem Namen „Fifties Constance“ auf den Markt gebracht. Da Jackie (Kennedy) Onassis allerdings sechs Stück besaß und diese auch als Schutz vor Paparazzis nutzte, tauften die Mitarbeitenden Guccis die Tasche kurzerhand um // © Megan Hess/Prestel

Damit erzählt auch jede der 27 im Buch porträtierten Taschen etwas aus ihrer Zeit. Somit ist der Band nicht nur eine Chronik der Mode-, Accessoire- und Designgeschichte, sondern ebenfalls eine von Stimmung und Repräsentation von Bedürfnissen. Er erzählt etwas über Menschen und ihre Einstellung, deren Lebensweise.

Die erste Tasche, der erste Koffer

Ob Jane Birkin, Jackie Onassis, Sarah Jessica Parker als Carrie Bradshaw oder die „Eiserne Lady“ Margaret Thatcher – eine jede nutzte ihre Tasche anders und setzte sie je nach Bedarf gar strategisch ein. Das trifft ganz klar auch auf Megan Hess zu, die uns wissen lässt, dass die erste Designertasche, die sie kaufte „(in einer Chanel-Boutique in London), eine bonbon-rosafarbene Classic Chanel Flap“ war (die im Band nicht fehlen darf). Jahrelang habe sie gespart, um sich das gute Stück leisten zu können, aber „sie war jeden Cent wert und eine Investition fürs Leben – noch heute, zwanzig Jahre später, hat diese Handtasche einen Ehrenplatz in meiner Garderobe.“

Die von Karl Lagerfeld Anfang der 1980er-Jahre angepasste legendäre 2.55-Handtasche – u. a. wurden aus dem Drehverschluss die mittlerweile berühmten ineinander verschränkten CCs // © Megan Hess/Prestel

Genau das macht diese Taschen aus – sie bedeuten uns etwas, sie erzählen etwas, werden Teil der eigenen Geschichte, sind Kunst. Und angefangen hat das alles mit den mit wasserdichtem Segeltuch überzogenen Flachkoffern Louis Vuittons im Jahr 1858, die sich vor allem dazu eigneten auf größeren Reisen übereinandergestapelt zu werden (mensch schaue sich Titanic an).

Geschichte und Geschichten

Auf den kommenden, immer fantastisch illustrierten und mit diesen Illustrationen kleine Geschichten erzählenden Seiten, erfahren wir unter anderem, wann das kultige Vuitton-Leder mit braunem und goldenem Monogramm kreiert wurde und wie die Neverfull Bag 2007 weiteren Schwung ins Design brachte und was die Patina so wunderbar sein lässt. Wir lesen, dass es der Überredungskünste Balenciagas Kreativdirektors Nicolas Ghesquière bedurfte, um die Führungskräfte des Labels dazu zu bringen, die als zu brav empfundene Motorcycle City zu präsentieren und letztlich auch Dank Kate Moss zur It-Bag werden zu lassen.

Nicolas Ghesquières Motorcycle City für Balenciaga (2001) // // © Megan Hess/Prestel

Die Geschichte, der kreative Prozess und die anspruchsvolle Handwerkskunst der Birkin Bag wird erläutert (ein Modell wird in Einzelarbeit binnen 48 Stunden gefertigt, jede*r Kunsthandwerker*in durchläuft eine jahrelange Ausbildung) und schließlich begegnen wir Hedi Slimane, der mit der Sac de Jour eine Hommage an die Birkin Bag für Saint Laurent schuf. Rockig-modern wird es mit Valentinos Rockstud sowie der Roman Stud (die an die Boy von Chanel erinnern mag) und sehr praktisch mit Vela von Prada oder einer Tasche, die in meine Räumlichkeiten gehört – der Book Tote von Dior.

Taschen sind Politik

Apropos Dior: Raf Simons Diorama darf ebensowenig fehlen wie die von Gianfranco Ferré entworfene Lady Dior, die ihren Namen erst erhielt, nachdem Lady Diana 1995 von der damaligen First Lady Frankreichs, Bernadette Chirac, eine Tasche des Modells „Chouchou“ geschenkt bekommen hatte. Diese nahm Lady Di fortan ständig mit sich, was Ferré dazu veranlasste, sie umzubenennen.

Die Lady Dior ehemals „Chouchou“ // © Megan Hess/Prestel

Warum aber nicht gleich in „Lady Diana“ oder wenigstens „Diana“, fragt ihr euch?! Nun, der Name ist seit 1991 vergeben. In diesem Jahr nannte Gucci eine aus den Tagen des Zweiten Weltkrieges aus Segeltuch und Henkeln aus Bambus gefertigte Tasche um, da die Princess of Wales diese praktische und robuste Tasche quasi als Alltagsbegleiterin nutzte. 2021 interpretierte Gucci-Kreativdirektor Alessandro Michele die Diana Bag übrigens anlässlich des sechzigsten Geburtstag der zu früh verstorbenen Diana als Hommage an diese neu (gestern wäre sie übrigens 63 Jahre geworden).

„Mode besteht nicht nur aus Kleidung“

Neben den genannten und weiteren Taschenmodellen und vielen kleinen Anekdoten zu diesen finden sich auch einige Erläuterungen zum Aufwand und manch Besonderheit wie etwa ausgeklügelten und als unknackbar geltenden Schlosssystemen, weiteren Namensgebungen, Redewendungen und Bonmots, spontanen Eingebungen und langen Prozessen. Fein ist zudem, dass Hess die Individualität einer jeden Tasche für alle Leser*innen und Träger*innen betont, indem sie kein Best-Of-Ranking daraus macht, sondern nach Modehäusern und Zeiten vorgeht.

Klassischer und unnachahmlicher Gucci-Reisestyle // © Megan Hess/Prestel

Der um Zitate von Persönlichkeiten wie Marc Jacobs, Grace Kelly und Robert Dumas, der 1935 die später in Kelly Bag umbenannte „Le Sac à Dépêches“ entwarf, Tom Ford, Karl Lagerfeld oder Maria Grazia Chiuri, der ersten weiblichen künstlerischen Leiterin Diors, angereicherte Band mit Goldfolien-Prägung und Farbschnitt liegt gut in der Hand und geht ins mode-, kultur- und kunstaffine Herz. Neben einem optimalen Geschenkbuch gehört er m. E. n. ebenso sehr in jede Haus-Modebibliothek. Nicht nur, dass Die Handtasche sich ausgezeichnet neben Coco und wie sie die Welt sah macht, auch hat diese Bag es in sich, vermag einen tristen Tag bunter zu gestalten und verdeutlicht, dass diese Fashion-Accessoires weit mehr als nur hübsche Anhängsel sind. Charakter und Leben zeichnen Buch wie Bags aus.

AS

PS: Im Grunde erstaunt es, dass Disney noch keine Kooperation mit einem Label oder einem Konzern wie LVMH oder Kering eingegangen ist, um sprechende (Marken-)Taschen zu animieren. The Walt Disney Corporation lässt ja sonst alles sprechen.

Berühmt auch dank Sex and the City: Fendis Baguette (1997), von der es über tausend Varianten gibt // © Megan Hess/Prestel

PPS: Apropos: Bei Disney+ gibt’s die nicht nur optisch ansprechende Serie Becoming Karl Lagerfeld im Stream oder auch den Fashion-Fantasy-Film Cruella.

Die Handtasche – Eine illustrierte Hommage an einen Modeklassiker von Megan Hess

Megan Hess: Die Handtasche; September 2023; 144 Seiten, durchgehend farbig illustriert; Hardcover, gebunden mit Goldfolien-Prägung und schwarem Buchschnitt; ISBN: 978-3-7913-8984-4; Prestel Verlag; 16,00 €

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