„Ich vergleich mich nicht“

Eine Ikone, nicht nur der Mode. Weltweit bekannt, mancherorts beinahe vergöttert. In Deutschland immer noch hochgeschätzt trotz seines schwierigen Verhältnisses zur „alten“ Heimat in und um Hamburg und seiner gefühlten Identität als Franzose, Pariser, bourgeoisen, dandyhaften Citoyen. Genannt Kaiser Karl, über sein Modereich genauso herrschend wie über sein in allen Belangen beherrschtes Leben.

Nun erzählt eine Miniserie eine Geschichte über den großen Geschichtenerzähler Karl Lagerfeld, den die ganze Welt kennt, ohne ihn jedoch zu kennen. Ohne zu wirklich zu wissen, wer dieser Modezar war, wenn es auch immer wieder gute Bemühungen gibt und gab, dies auszumachen. Wie etwa Alfons Kaiser in seiner durchaus sehr persönlichen und eleganten Biografie oder dessen 2015 verstorbener Journalistenkollege Paul Sahner (Bunte) im klatschgetränkten, unterhaltsamen Karl; Patrick Hourcade in Karl – Wir Komplizen der Schönheit; Lagerfelds vormaliger Leibwächter, Assistent und Vertrauter Sébastian Jondeau in Ça va, cher Karl? sowie Model und Was-Auch-Immer-Für-Karl-Lagerfeld Baptiste Giabiconi mit Karl und ich. Auch hat die französische Journalistin Raphaëlle Bacqué (Le Monde) ein Buch über Kaiser Karl geschrieben, das auch direkt so heißt und trotz des deutschsprachigen Titels seit seinem Erscheinen im Sommer 2019, wenige Monate nach Lagerfelds Tod am 19. Februar 2019, noch nicht ins Deutsche übertragen worden ist.

Studie, Drama und Stilübung

Eine Chance dies nachzuholen hätte es nun gegeben, denn immerhin basiert die sechsteilige Miniserie Becoming Karl Lagerfeld, die seit dem 7. Juni 2024 auf Disney+ verfügbar ist, auf ebendiesem Buch. Die erstklassig geschriebene, großartig inszenierte, verführerisch gut gespielte, unterhaltsame und fantastisch aussehende, aufwendig ausgestattete Serien-Biografie fokussiert sich dabei auf eine Jahrzehnt im Leben des designenden Tausendsassas, in dem dieser noch nicht die Ikone und der Kaiser Karl war. Sondern Karl Lagerfeld, ein Designer für Prêt-à-porter-Mode bei Chloé und Fendi.

Karl Lagerfeld (Daniel Brühl) und Yves Saint Laurent (Arnaud Valois) begegnen sich auf dessen Modenschau // © Disney

In einer Zeit, in der die Rivalität zum Yves Saint Laurent-Clan zunimmt und Lagerfeld in Jacques de Bascher Muse und Herausforderung, (platonisch) Geliebten und auch mal Gegner findet. Es ist das Jahrzehnt von 1972 bis 1983, das hier erzählt wird. Ein Jahrzehnt, das in Serienform eine Charakter- und Zeitstudie, ein Liebes- und Fashiondrama, eine Stilübung in Flamboyance, Luxus und Begeisterung abbildet. Es prickelt, ist sinnlich, gefühlvoll, emotional, dramatisch, und, und, und.

Nur Superlative

Die von Isaure Pisani-Ferry (ebenso Headautorin), Jennifer Have und Raphaëlle Bacqué konzipierte und von Isabelle Degeorges für Gaumont und Arnaud de Crémiers, Produzent für Jour Premier, der für Scripted Television zuständigen Tochter Gaumonts, gemeinsam mit Pisani-Ferry weiterentwickelte Serie zeigt uns einen Karl Lagerfeld, der zwar bereits rätselhaft und, wie Buchautorin Bacqué anmerkt, schon damals gelogen hat wie kein Zweiter, aber eben noch nicht die enigmatische Lagerfeld-Maske aus schwarz-weißer Kleidung, dunkler Sonnenbrille, weiß gepudertem, zum Zopf gebundenem Haar, massiven Ringen und fingerlosen (Leder-)Handschuhen trägt.

Karl, der Tanzbär? Naja, geht so // © Disney

Nicht umsonst heißt die Disney+-Serie Becoming Karl Lagerfeld. Daniel Brühl, der erste Wahl und Wunsch der Macher*innen war, zeigt uns in der primär französischsprachigen Fashion-Show einen faszinierend wandelbaren Lagerfeld. Von der Kleidung über die Sprache zu seinen Manierismen – dieser Lagerfeld ist habituelles Chamäleon. Was Brühl hier abliefert, ist nichts anderes als eine famose Glanzleistung, wo doch gerade bei einer so ambivalenten und komplizierten Person wie Lagerfeld durchaus die Gefahr bestünde, in die Kategorie „Karikatur“ zu fallen. Dass Brühl, wie er sagt, unendlich viel Energie, Zeit, Leidenschaft und Liebe in die Rolle gesteckt hat, glauben wir ihm gern. Vor allem wenn wir sehen, wie er (Selbst-)Zweifel, Zuneigung, Ambition, Egoismus und subtile Grausamkeit zu vermitteln und an mancher Stelle zu verbinden weiß.

In der zweiten Reihe

Zu Beginn der Serie ist Lagerfeld achtunddreißig, kreativ, geschätzt, vor allem von der Chloé-Gründerin Gaby Aghion (toll: mehrfach César-Gewinnerin Agnès Jaoui) und den Fendi-Schwestern, und doch nur zweite Reihe. Vor allem wenn mensch und er den Haute Couture und Ready-to-wear-Erfolg (mit Yves Saint Laurent Rive Gauche) seines vormaligen Freundes und irgendwie Geliebten Yves Saint Laurent (immer gern gesehen: Arnaud Valois, 120 BPM) bedenkt, der gefördert und geschützt durch seinen Geschäfts- und Lebenspartner Pierre Bergé (hardcore: Alex Lutz) in den (Pariser) Modehimmel aufgestiegen ist.

Lagerfeld beäugt den verbissenen und unberechenbaren Pierre Bergé (Alex Lutz) // © Disney

Auftritt Jacques de Bascher (ein Traum, in vielerlei Hinsicht: Théodore Pellerin), dem Lagerfeld im, für die Serie wunderbar nachempfundenen, Club Le Sept auffällt. Der Anfang 20-jährige de Bascher, geprägt von undefinierbarer Schönheit, ausgestattet mit stolzem Charme und wenn nötig einer gehörigen Portion feixender Arroganz, macht Lagerfeld mit einem Brief auf sich aufmerksam. Auch wenn Letzterer es nicht zugeben mag, ist es bereits während des ersten Treffens um ihn geschehen. Um beide, letzten Endes.

Das Persönliche ist nie privat

De Bascher wird für Lagerfeld Muse und Partner-in-Crime, Lagerfeld für de Bascher, der sich anschickt Autor zu werden, lebenslanger Freund und Förderer seines Images als Dandy. Ihre toxisch geprägte On-Off-Liebesbeziehung, wie erwähnt rein platonisch, macht einen ebenso großen Teil der Serie aus, wie jener, der Karls schwieriges Verhältnis zu seiner Work-Work-Life-Balance zeigt. Vermengt wird das ganze, als Jacques eine nicht minder ungesunde Sexbeziehung mit Saint Laurent eingeht, der, verbittert, überfordert und im Grunde einsam, recht tiefe Gefühle für Jacques entwickelt.

Jacques de Bascher (Théodore Pellerin) und Yves Saint Laurent // © Disney

Dies wiederum vertieft den Graben zwischen Lagerfeld, Saint Laurent und Bergé, der ausgerechnet in dieser Zeit Präsident der Fédération de la Haute Couture et de la Mode wird, in die junge Designer*innen reindrängen und von der Lagerfeld auch den Prêt-à-porter-Bereich repräsentiert sehen möchte. So bilden das persönliche Leben beziehungsweise Drama und das professionelle Streben nach mehr, die berufliche Weiterentwicklung, nicht selten eine widersprüchliche Einheit.

Keine Zauberei

Headautorin Isaure Pisani-Ferry schafft es dabei mit ihren Co-Autor*innen zumeist meisterhaft das Reale mit Fiktion anzureichern oder auch mal zu verkürzen, wenn etwa diverse Ereignisse zu einem einschneidenden Moment gerafft werden. Genauso reichen sich in der von Jérôme Salle (der später auch noch als künstlerischer Produzent einstieg) und Audrey Estroguo inszenierten Miniserie Ernst und Witz, Tragödie und Komödie, Glanz und Abgrund, Freud und Leid in einer Art und Weise die Hand, dass es manches Mal beinahe wie ein Zaubertrick anmutet.

Am Aufsteigen: Karl Lagerfeld // © Disney

Zauberei scheint es auch zu sein, wie Kostümbildnerin Pascaline Chavanne (Sorry Angel, Gelobt sei Gott, Intrige) und Produktionsdesigner Jean Rabasse (Intrige, Jackie, Delikatessen, Climax, Die Träumer) die Atmosphäre von Saint-Germain-des-Prés der 1970er-Jahre einfangen, ohne eine modellhafte Nachbildung zu formen. Über 3 000 Kostüme, davon 160 von Chavanne und Team extra für Becoming Karl Lagerfeld entworfen und hergestellt/genäht, sowie gut vierzig Setdesigns Rabasses und 90-köpfigem Team zeigen uns allerdings, ganz im Lagerfeld’schen Sinne, dass es sich hierbei nicht um Zauberei, sondern harte und gewissenhafte Arbeit handelt.

Chic und queer

In diesem Zusammenhang freut es erst recht, dass die Serie nicht als Abfolge von Schlaglichtern in Lagerfelds Leben und Karriere angelegt ist, sondern sich über sechs Folgen intensiv mit einem Abschnitt seines Lebens befasst. Gerade dadurch bleibt auch Raum für die ihn umgebenden und prägenden Menschen wie eben Jacques de Bascher, Yves Saint Laurent, Gaby Aghion, sicherlich auch Pierre Bergé sowie der von der grandiosen Sunnyi Melles gespielten Marlene Dietrich („Der Couturier ist ein Spiegelbild der Frau, die er einkleidet.“) oder Karls Mutti Elisabeth (Lisa Kreuzer).

Muse und Society-Girl: Paloma Picasso (gespielt von Muse und Socialite Jeanne Damas) // © Disney

Dass bei all dem Chic, dem Drama, den Intrigen, der immer präsenten Queerness (inklusive Anti-Schwulen-Razzia am Ufer der Seine und einer drogenpositiven Lederszenerie, die Saint Laurent gern frequentierte, zu „Yes Sir, I Can Boogie“), den Modenschauen, den Stadtansichten, dem Luxus, dem Streit und der Liebe noch Raum für eine recht tiefgehende Erzählung und Charakterstudie eines schon beinahe verzweifelt nach oben strebenden, sich dabei immer weiter kaschierenden, maskierenden und isolierenden Lagerfelds Raum findet, mag beinahe überraschen. Ist aber so.

Nicht nur für Modeinteressierte

Dabei gibt es an keiner Stelle von Becoming Karl Lagerfeld den erhobenen Zeigefinger, wenn auch reichlich, nicht immer nur um sich selbst, besorgte Menschen durch die Pariser Szenerie laufen und fahren, saufen und tanzen, pöbeln und vögeln. Genausowenig driftet die durchaus häufiger berührend dramatisch Serie nie ins zuckrige Melodrama ab, wenn es hier und da auch einen leichten Campy-Faktor gibt. Den aber dürfte diese Welt, die sich um sich selbst dreht, mit sich bringen. Sobald es in Hör auf zu lügen um den Literaturbetrieb ging, trat auch dort ein gewisser Camp zu Tage.

Auf jeden Streit folgt eine (halbgare) Versöhnung: Jacques und Karl // © Disney

Geprägt aber ist diese hart zu empfehlende Mode-Miniserie, derer es noch nicht viele gibt, wenn Disney+ in diesem Jahr schon Cristóbal Balenciaga ein Serien-Denkmal setzte (Rezension folgt) und Ryan Murphys Halston uns vor ziemlich genau drei Jahren auf Netflix begeisterte, von abwechslungsreicher, musikalisch wunderbar von den Galperine Brüdern begleiteter, optisch begeisternder Ernsthaftigkeit, die nicht vor einem reflektierenden Blick in den Spiegel zurückschreckt. Ein Must-See – auch für jene, die sich sonst weder für einen Karl Lagerfeld noch diese ach so oberflächliche Modewelt interessieren.

AS

PS: Wenig überraschend endet die Serie mit einem Fax (das ist quasi eine gedruckte E-Mail durch ein Telefon) von Chanel. Somit wäre eine zweite Staffel über diese neue Etappe Lagerfelds im Grunde möglich.

© Disney+

Becoming Karl Lagerfeld ist seit dem 7. Juni 2024 auf Disney+ verfügbar.

Becoming Karl Lagerfeld; Frankreich 2024; Idee: Isaure Pisani-Ferry, Jennifer Have, Raphaëlle Bacqué; Drehbuch: Isaure Pisani-Ferry, Dominique Baumard, Jennifer Have, Nathalie Hertzberg, basierend auf der Biografie Kaiser Karl von Raphaëlle Bacqué; Regie: Jérôme Salle, Audrey Estroguo; Bildgestaltung: Mélodie Preel, Mahdi Lepart; Musik: Evgueni und Sacha Galperine; Kostümbild: Pascaline Chavanne; Setdesign: Jean Rabasse; Darsteller*innen: Daniel Brühl, Théodore Pellerin, Arnaud Valois, Alex Lutz, Agnès Jaoui, Sunnyi Melles, Lisa Kreuzer, Julia Faure, Jeanne Damas, Giorgia Sinicorni, Paul Spera, Carmen Giardina, Féodor Atkine, Caroline Archambault, Victorie Du Bois, u. v. m.; sechs Folgen à ca. 40 Minuten; FSK: 12

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