Menschliches Spielzeug

Manche Eltern vermitteln ihren Kindern, dass es ihnen gar nicht gut bekommt, mit Barbie-Puppen zu spielen. Damit sind nicht unbedingt jene Eltern(teile) gemeint, die eine Verweichlichung aka Verschwulung und Vertransung eines Sohnes befürchten, sobald er mit Barbie- und Ken-Dolls auf Shoppingtour geht. Sondern vor allem solche, die – Greta Gerwigs feministisch-gesellschaftskritischen Barbie-Film hin oder her – daran zweifeln, dass durch die anatomisch freigeistig angelegten Spielzeuge die richtigen Werte transportiet würden. Immerhin allerdings, das muss mensch den Mattel-Produkten schon zugestehen, entführen, missbrauchen, vergewaltigen und morden sie nicht (wenn vonseiten des Autors auch keine Verantwortung für die Fantasie der mit den Puppen spielenden Menschen übernommen wird).

Dies hingegen tat das Pärchen Paul Bernardo und Karla Homolka zu Beginn der 1990er-Jahre in Kanada. Die beiden sind als die Ken-und-Barbie-Killer zu zweifelhafter Berühmtheit gelangt. Diese wurde durch die anhaltende True-Crime-Welle nur noch gesteigert. Ob in Anthologie– und/oder Magazinbeiträgen, Podcasts oder einer kurzen, aber intensiven Dokumentation auf RTL+, das Mörderpaar bleibt präsent. So dürfte auch der heute erscheinende True-Crime-Thriller Im Kopf des Bösen – Ken und Barbie nicht dazu beitragen, dass das narzisstischsadistische Killerpaar allzu schnell in Vergessenheit gerät.

Beton im Rhein

Für diesen hat sich das Autoren-Duo Axel Petermann, seines Zeichens sicherlich einer der bekanntesten Profiler Deutschlands, ehemals Leiter der Mordkommission sowie der Dienststelle Operative Fallanalyse in Bremen, und Petra Mattfeldt, gelernte Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte, im Hauptberuf allerdings erfolgreiche Bestseller-Autorin, auch unter diversen Pseudonymen, nämlich Bernardo und Homolka genommen und deren Taten ins Heute und nach Deutschland, konkret Köln, verlegt.

Dort wird im Juni 2023 eine einbetonierte, zerstückelte Leiche aus dem niedrigstehenden Rhein gezogen. Auftritt der ambitionierten Fallanalytikerin im BKA, Sophie Kaiser, sowie ihres BKA-Ermittlerkollegen Leonhard Michels. Zu den sich gut ergänzenden Zweien gehören noch die Spurensicherungs-Profis Marcus Brandner und Stephan Moritz, die ähnlich eigen, manches Mal genial und vor allem detailverliebt und verbissen agieren wie Kaiser und Michels. Durch ihr Asperger-Syndrom hat Sophie dabei nicht nur einen anderen Blick auf die Zusammenhänge der Fälle, sondern geht ebenso hier und da nicht unbedingt super geduldig und einfühlsam mit ihrem Gegenüber um. Wobei auch sie den Kollegen Leonhard zu überraschen weiß, denn nahe gehen ihr die Verbrechen doch.

Fakten und Fiktion

Ken und Barbie ist bereits der zweite Band um diesen kleinen und eigenwilligen, etwas verschrobenen aber doch charmanten und vor allem aufrecht und aufrichtig wirkenden Ermittlertrupp. Das allerdings sollte niemanden abschrecken – denn auch wer das erste Buch namens Im Kopf des Bösen – Der Sandmann (angelehnt an den deutschen Kinder-Serienmörder Adolf Seefeld(t), der zwischen 1933 und 1935 mindestens zwölf Jungen tötete, dazu gibt es auch eine sehr hörenswerte Folge von Verbrechen von nebenan) nicht kennt, kommt gut in die Geschichte und versteht die Dynamik schnell.

Hand aufs noch nicht herausgetrennte Herz: Auch für mich war der heute im Blanvalet Verlag erscheinende True-Crime-Thriller die erste Begegnung mit Sophie Kaiser und Leonhard Michels. Die im Duo schreibenden Axel Petermann, der vielen sicherlich aus diversen Dokumentationen sowie als Podcast-Gast bekannt sein dürfte, und Petra Mattfeldt schaffen es zu Beginn des teils durchaus heftigen Krimis, sowohl die Story voranzutreiben als auch uns Erstleser*innen ein Bild der Figuren zu zeichnen.

Dabei kommt es anfänglich zu manch einer Wiederholung – ja wir haben verstanden, dass Fallanalyse das Wort ist und nicht Profiling; ja, wir haben kapiert, dass es nicht fotografisches sondern eidetisches Gedächtnis heißt und Sophie über ein solches verfügt – das aber gibt sich mit der Zeit. So kommt also nicht das Gefühl auf, dass wir immer wieder an der gleiche Stelle hocken oder Petermann und Mattfeldt uns nicht für ihrer Story würdig erachten würden.

Nie nur ein Opfer

Diese hat es in sich, wartet mit einigen Twists and Turns auf, ohne je ins Hanebüchene abzudriften und dürfte vor allem mit der letzten Wendung beziehungsweise Enthüllung überraschen (wenn auch in erster Linie all jene, die mit dem der Geschichte zugrundeliegenden Fall nicht allzu vertraut sind). Ins Mark trifft so oder so einiges, nicht nur die Ermittelnden. Das liegt vor allem an zwei, drei Dingen, die Petermann und Mattfeldt ganz richtig machen.

Zunächst schreiben sie in einem angenehm zugänglichen, aber so gut wie nie plumpen Stil; das ist mitnichten bei allen Krimigeschichten der Fall, wie nicht zuletzt ein Blick auf so manch eine Weihnachtsanthologie beweist. Dazu nehmen sie sich Zeit für ihre (Neben-)Figuren und den Austausch zwischen Menschen, sei es konkret zum Vorgehen im Fall, mancher Interpretation oder auch Gefühlslage. Dabei wird klar, was auch in diversen True-Crime-Podcasts und -Dokumentationen gern betont wird: Eine Tat hat nie nur ein Opfer.

Genauso wie es heißt „It takes a village [to raise a child]“, darf in Bezug auf Gewaltverbechen gegen Individuen gesagt werden, dass es ebenso die ganze Umgebung mitnimmt. So erfahren wir in Im Kopf des Bösen – Ken und Barbie von diversen Familienschicksalen, die trotz ähnlicher Ausgangslage unterschiedlicher kaum sein könnten.

Spannend bis aufwühlend

Zu guter Letzt ist dem gefühl- und stimmungsvollen Serienkiller-Thriller anzumerken, dass das schreibende Duo sich mit der Materie auskennt und insbesondere Axel Petermann im Umgang mit Verdächtigen sowie Angehörigen geschult ist. Verhörmomente und Befragungen haben Raum in diesem so spannenden wie durchdachten Thriller. Es gibt keinen Auf-Den-Tisch-Schlag-Moment, keine (emotionale) Erpressung während des Gesprächs. Stattdessen auch mal Misserfolge und falsche Fährten.

Abgerundet wird der zweite Band dieser True-Crime-Reihe von einem Nachwort, das sich kurz mit dem ursprünglichen Fall, möglichen Motiven und dem aktuellen Stand befasst. (In das sich ein kleiner popkultureller Fehler eingeschlichen hat: 1991 erschien nicht die Literaturverfilmung American Psycho sondern das Buch von Bret Easton Ellis; der Film mit Christian Bale kam im Jahr 2000 in die Kinos.) Zudem werden uns im Laufe des Buches auch immer wieder Begriffe wie Nachtatverhalten oder Übertötung erläutert, was für True Crime- und/oder Criminal Minds-Fans nun nichts Neues sein dürfte, manchen Leser*innen aber sicherlich taugt.

Im Kopf des Bösen – Ken und Barbie ist eine solide Empfehlung. Der True-Crime-Thriller von Axel Petermann und Petra Mannfeldt hebt sich jedenfalls eindeutig von manch dröger, plakativer und diffus bis schlichtweg orthographisch unerträglicher Massen-Thriller-Ware ab und ist konstant spannend, bisweilen aufwühlend.

AS

PS: Ja, Der Sandmann wird noch von uns rezipiert werden.

PPS: Nach True Crime geht’s zum Cold Case – seid schon mal gespannt auf unsere nächste Krimi-Rezension in der kommenden Woche.

PPPS: Gutes Material übrigens für eine Mini-Serie oder eben Krimireihe beim RTL+. Sollte es dazu kommen, you read it here first.

Informationen zur Reihe sowie Lesungstermine findet ihr hier.

Axel Petermann, Petra Mattfeldt: Im Kopf des Bösen – Ken und Barbie; Juni 2024; 272 Seiten; Quality Paperback, Klappenbroschur; ISBN: 978-3-7645-0832-6; Blanvalet; 17,00 €

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