Es gilt zu l(i)eben

Das Bild zeigt das Cover und im Hintergrund den von Romy Schneider und wohl auch ihrer Tochter Sarah Biasini geschätzten Ort Ramatuelle in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur // Bild: Petroos/Getty Images via Canva

Zugegeben: Nachdem ich Sarah Biasinis Buch Die Schönheit des Himmels fertig gelesen, zugeklappt, nochmals über den schönen Schutzumschlag aus kräftigem, mattem Papier gestreift und es zur Seite gelegt hatte, war ich erst einmal ratlos. Ratlos, wie über dieses sehr persönliche und schlaglichtartige Buch der Tochter Romy Schneiders, deren Mutter aus dem Leben ging, als sie selber vier Jahre alt war, zu schreiben sei.

„Die Neugierde besiegt oft die Skepsis.“

Die Antwort liegt hierbei im Grunde schon in der Frage: Ebenfalls möglichst persönlich. Mehr auf die sehr subjektive Wahrnehmung des Gelesenen eingehen als auf die sehr verschiedenen Inhalte.  Das ergibt auch insofern Sinn, da viele Gedanken, die Biasini notiert, sich aus völlig anderen Überlegungen ergeben, sie auf eine Erinnerung oder eine vermutete Erinnerung in ihrer Kindheit zurückkommt, um Momente später von einem Essen mit Freunden im Jahr 2018 zu berichten.

Darüber hinaus ist Die Schönheit des Himmels, erschienen im Zsolnay Verlag, gleichsam eine Leseerfahrung, die durch eine allzu ausführliche Beschreibung der einzelnen Gedanken, Fragen, Annahmen, Sorgen, Wutmomente und Wünsche Sarah Biasinis getrübt würde. Viel Wirkung erzielt das Geschriebene durch den Kontext, in den nicht nur die Autorin es setzt, sondern sicherlich auch durch jenen, in dem es gelesen wird. Da mag es auch jedwede Erwartungshaltung unterlaufen.

Das Wesentliche, was über den Kern von Die Schönheit des Himmels zu wissen ist, ist schnell erzählt: Die 1977 geborene Sarah Biasini, selber Schauspielerin, schreibt ihrer neugeborenen Tochter Anna, hält fest, was vor und während der späten Schwangerschaft, bei der Geburt und in der ersten Zeit danach in ihr vorging. Ebenso berichtet sie von ihrer (nicht nur) für Außenstehende überlebensgroßen Mutter, der ewigen Sissi und doch so vieles darüber hinaus, und dem Umgang mit der Frage: Wie trauert und vermisst mensch als erwachsene Person, einen Menschen, der einer selbst im Grunde unbekannt war?

„Ich idealisiere ihre Gefühle.“

Das Buch besteht dabei aus vielen Fragen. Mal sind es rhetorische, mal solche, die Biasini sich selbst beantwortet, mal solche, die sie an ihre Tochter oder auch an uns Lesende richtet, an mancher Stelle gar philosophische Fragen, die sich zuweilen in Richtung des Himmels wenden. Letzteres etwas, das hier durchaus im doppelten Sinne gemeint ist. Fragen, das muss ich zugeben, stellten sich mir auch während der Lektüre. Anfangs waren es durchaus häufiger misstrauische.

Wie offen ist Sarah Biasini ihrer Tochter, im Grunde aber doch uns, gegenüber? Schließlich ist es kein geleaktes Tagebuch, sondern eine durch ein Lektorat gegangene, an mancher Stelle schon beinahe ins Kitsch-poetische kippende Veröffentlichung. Beides hängt nicht unbedingt miteinander zusammen, beschäftigte mich aber anfangs, oder eher während des ersten Drittels des Buches. Immer wieder die Frage: Wie stark kuratiert, womöglich inszeniert, ist diese Offenheit?

Es schien mir anfänglich so, als wolle uns Biasini unbedingt erreichen, in jedem Fall in ihren Bann ziehen und dabei selbst einfachste Emotionsfetzen noch möglichst lyrisch aufladen. Vertraut sie ihren eigenen Gedanken nicht? Vertraut sie uns nicht? Will sie ihre Tochter, will sie ihre Anna, so sehr beeindrucken? 

„Wir müssen nicht immer Schmerz erfahren.“

Irgendwann, kurz vor der Geburt dieser, besucht sie eine Ausstellung, beschreibt eine Art Hypnosezustand, wenn sie Bilder Kandinskys betrachtet (andere fallen bei großer Kunst à la Caravaggio in Ohnmacht) und schildert anschließend ausführlich ihre Erfahrung der Geburt. Ab hier ändert sich etwas. Von nun an scheint sie sich freier ihren Gedanken und Gefühlen hinzugeben, ihre Worte wirken offener, so auch durchdringender auf uns.

Eine Natürlichkeit der Gefühle, die Sarah Biasini in verschiedener Form immer wieder erwähnt, erreicht nun auch uns. Jedenfalls mich, andere Leser:innen mögen bei der Lektüre an meine Fragen zurückdenken und wiederum sich selber fragen: „Was hat er denn bitte schön?“ Sei’s drum. 

Wenn Biasini – ein, zwei Dinge müssen an dieser Stelle eben doch vorweggenommen werden – davon berichtet, dass es auch in ihrer Beziehung Reibereien gibt und die Reaktion des Vaters ihrer Tochter, Gilles, auf das Geschriebene zeigt, da haben sich zwei gefunden, berührt und beruhigt das. Auch in Bezug auf das eigene Leben. Wenn sie ganz offen schreibt, dass es ihr guttue, das Muttersein auch mal für einen halben Tag vergessen zu dürfen, weil ihre Tochter bei den Groß- oder Urgroßeltern ist, beeindruckt das.

„Ein Düngemittel für die Lebenden.“

Wenn sie über die Liebe einer Familie schreibt, die selber mit dem Verlust umzugehen hatte – ihr Vater Daniel Biasini liebte ihre Mutter abgöttisch, dessen Eltern sahen in ihr eine Tochter, letztlich auch in ihrer Enkelin, Daniels Mutter Monique bezeichnet sie ihre Mutter-Großmutter. Wie viel Leben in vielen der Beschreibungen steckt, wie viel aufrichtige Zuneigung und unmittelbare Liebe dort sind. Auch das muss ich zugeben: Als jemand, der in einem distanzierten Elternhaus, einem emotional eher abwesenden familiären Umfeld aufwuchs, ließ mich das an mancher Stelle neidisch sein, diese robuste Liebe und Nähe.

Wieder eine Frage: Darf ich, jedenfalls in diesem Punkt, neidisch auf eine Person sein, die ihre Mutter als kleines Kind verlor und noch darüber hinaus viel Tod und Tragik gesehen und erlebt hat? Und darf ich es dann erwähnen? Muss ich es durch die Bemerkung, dass auch ich viel gesehen habe, relativieren? „Warum nicht?“, „Ja.“ und „Nicht unbedingt.“ sind die Antworten. Nach der Lektüre des Buches schulde ich mir diese Offenheit irgendwie auch selbst.

So hallt Die Schönheit des Himmels offensichtlich nach, haben die Gedanken Sarah Biasinis mich erreicht, an mancher Stelle kalt erwischt und zugegeben hier und da ratlos gelassen. Damit ist das Buch in der Tat eine perfekte Allegorie aufs Leben.

JW

PS: Sehr schön ist die nahezu die Worte fliegen lassende Übersetzung von Theresa Benkert.

Eine Leseprobe findet ihr hier

Sarah Biasini: Die Schönheit des Himmels; Aus dem Französischen von Theresa Benkert; Oktober 2021; 192 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-552-07261-9; Zsolnay Verlag; 22,00 €; auch als eBook erhältlich

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert