Der Vater, der Sohn und belgischer Gesandter

Wenn Kinder über das Leben ihrer Eltern schreiben, kann vieles dabei herauskommen. Sarah Biasini, die Tochter von Romy Schneider, hat vor etwa zwei Jahren ein Buch herausgegeben, das uns nur bedingt begeistert hat. Beim Buch Roter Staub der Portugiesin Isabela Figuereido ging uns das in Teilen ähnlich – auch wenn letztere auch und vor allem ihr eigenes Leben in den Fokus rückte, ihr Vater aber dennoch eine wesentliche Rolle spielte. Maren Wurster hingegen legte mit Papa stirbt, Mama auch ein hervorragendes Buch vor, das sich auch mit den Folgen der Handlungen auseinandersetzt.

Über die jungen Jahre ihres Vaters schreibt auch die Autorin Amélie Nothomb in dem Buch Der belgische Konsul, das in der grandiosen Übersetzung von Brigitte Große bei Diogenes erschienen ist. Patrick Nothomb wurde wenige Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg in ein eher niedriges belgisches Adelsgeschlecht geboren, aber sein Vater André wurde noch vor dem Zweiten Weltkrieg getötet.

Abhärtung in der Jugendzeit

In Der belgische Konsul begleiten wir Patrick durch seine Kindheit und manch kurze Episode seiner Jugend. Da Mutter Claude mit dem Verlust ihres Mannes André nicht gut umgehen zu können scheint, nehmen ihre Eltern den kleinen Patrick bei sich auf. Dort wächst er zwar behütet auf, aber im Alter von sechs Jahren soll er auch bei der „Horde von Barbaren“, die seine Verwandtschaft väterlicherseits darstellt, einige Zeit verbringen, um etwas mehr abzuhärten.

Weite Teile von Nothombs Erzählung illustrieren sodann die Zeiten und die Widrigkeiten, die der junge Patrick auf dem Schloss des Großvaters Pierre Nothomb verbringt und wie erstaunlich anregend er diese findet. Gerade diese Widrigkeiten und die Resilienz mit ihnen umzugehen, scheinen ihn für sein Leben zu prägen und in seinem späteren privaten wie diplomatischen Leben an einigen Stellen zum Vorteil zu gereichen – vor allem, wenn es darum geht, eine Geiselnahme im kongolesischen Stanleyville möglichst unblutig zu beenden.

Väterliches Tagebuch

Viel mehr soll an dieser Stelle gar nicht vorweggenommen werden, denn die knapp 140 Seiten lassen sich leicht an einem Nachmittag wegsnacken. Amélie Nothomb berichtet aus der Jugend ihres Vaters und erzählt die Geschichte ausschließlich aus seiner Perspektive. Das legt nahe, dass sie vor seinem Tod 2020 viel Zeit mit ihm verbrachte und er ihr ausführlich von seinen teils frühesten Erinnerungen erzählt hat.

Hieran lässt sie uns wie in einem Tagebuch teilhaben. Da geht es hier um eine Jugendfreundschaft, um die ersten Versuche, Mädchen kennenzulernen oder um die vielen nur wenige Jahre älteren Geschwister von Nothombs Vater André, also seine Tanten und Onkel. Es geht um verschiedene Möglichkeiten, ein Kind großzuziehen, entweder fürsorglich wie bei den Großeltern mütterlicherseits oder eher gleichgültig, wie bei den Eltern von André.

Ein Handicap

Eine wesentliche Eigenschaft, derer Patrick erst im Lauf seiner Jugend gewahr wird, ist die Unfähigkeit Blut zu sehen, die sich noch an einigen Stellen als Handicap erweisen wird. Es ist interessant zu verfolgen, wie dieses Detail und einige andere in die Geschichte eingeflochten werden, während andere Dinge einfach im Sand verlaufen.

Seine wohl geistig behinderte Tante Donate beispielsweise, zu der Patrick ein herzliches Verhältnis pflegt, wird an einer Stelle etwas abrupt aus der Geschichte „hinausgeschrieben“ und ward im Anschluss nicht mehr gesehen. Es ist nicht klar, ob das im Leben des Patrick Nothomb auch so war oder ob sie einander doch noch einmal begegneten. An vielen Stellen jedoch enden Dinge recht abrupt. Das ist völlig in Ordnung, denn so ist das Leben manchmal, wird aber manche Leserinnen und Leser auch vor den Kopf stoßen.

Eine Überraschungskiste

Was hingegen etwas kurz kommt, ist die tatsächliche diplomatische Phase. Bei dem Titel Der belgische Konsul und dem beigefügten Klappentext würden die Wenigsten eine ausführliche Jugendgeschichte erwarten, sondern eher diplomatische Verstrickungen oder sonstige Geschichten aus dem Leben eines Gesandten. Wer hiernach sucht, wird an dieser Stelle erst gegen Ende der Geschichte wirklich fündig, selbst wenn es diese Episode in der Tat in sich hat (und sie – zugegeben – mit wenigen Zeilen am Anfang einen Rahmen hierfür spannt).

Dass die Geschichte dabei voll mit Parabeln und anderen Stilmitteln ist, ist jedoch ein großes Plus. Stefan Zweig, der Autor der bekannten Schachnovelle, wird gegen Ende der Geschichte erwähnt und eine kurze Episode erinnert nicht nur am Rande an seine bekannte Schachnovelle. Oder auch der französische Lyriker Arthur Rimbaud, der offenbar nahe des Schlosses von Pierre Nothomb geboren worden war, wird an einer Stelle markant erwähnt.

Der belgische Konsul ist die kurze Geschichte eines Mannes, der mit manch einer Vaterrolle hadert – auch seiner eigenen. Die Geschichte endet früh, vermutlich aber nicht zu früh, wie das Leben seines Vaters André. Dessen ihm konsequenterweise unbekannte Enkeltochter Amélie Nothomb fasst in nüchterner und dennoch erhabener Sprache Schlaglichter aus dem frühen Leben ihres Vaters zusammen. Das ist einerseits unterhaltsam und fesselnd, lässt mich aber andererseits auch ein wenig fragend zurück. Ob das gut oder schlecht ist, darüber muss ich noch eine Weile nachdenken.

HMS

Amélie Nothomb: Der belgische Konsul; Juni 2023; Aus dem Französischen von Brigitte Große; 144 Seiten; Hardcovereinband, Leinen, gebunden; ISBN: 978-3-257-07231-0; Diogenes; 23,00 €

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