Zürich-Tatort: Gute Taten, böse Menschen?!

Manches Mal ist es nicht so einfach, etwas über einen Tatort zu schreiben, ohne zu viel zu verraten. Der heutige Zürcher Tatort: Seilschaft ist so einer davon. Dies gar nicht mal weil er so clever und verschachtelt ist (gar nicht, jede Person, von der die Zuschauer*innen denken könnten, sie hat Dreck am Stecken, hat hier Dreck am Stecken. Wobei das für die Schweizer Tatorte generell zu gelten scheint: Niemand ist gut.), sondern weil er gekonnt mit Ängsten und Wahrnehmungen spielt.

Verbindungen sind alles

Nach einer Charity-Veranstaltung in einem noblen Hotel am Zürichsee wird der Host des Abends ermordet in seiner Suite aufgefunden. Nur ein paar Tage später wird ein Top-Unternehmer – auf dem Grund des Zürichsees an sein Ruderboot gefesselt – tot geborgen. Beide Leichen weisen besondere Merkmale auf, die auf ein Verbrechen der N’Drangetha deuten. Dann landen bei Dominic Mercier (Leonardo Nigro), einem der Veranstalter des Charity-Events, abgeschnittene Zehen.

Es gibt ein prominentes Mordopfer zu beklagen: Tessa Ott (Carol Schuler, re.) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) untersuchen das Mordopfer James McDermott (David Chrisman) // © ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek

Außerdem hat die Organisation Verbindungen zu einem Waisenheim, das in Verbindung mit einem Boxclub steht, der wiederum irgendwie mit allem in Verbindung und Konflikt steht und vieles ist mit dem Darknet verbunden. Eine komplexe Angelegenheit also für Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (Carol Schuler). Zumal die Letztgenannte noch eine persönliche Verbindung zu all dem zu haben scheint. 

Only dark vibes

Etwas, das der von Claudia Pütz und Karin Heberlein geschriebene Tatort: Seilschaft ganz richtig macht, ist es, die persönliche Anteilnahme Otts, die gern mal in unvermittelt erscheinender Wut zum Ausdruck kommt, gekonnt in eine Geschichte einzubinden, die per se nicht direkt spannend ist. Uns aber durchgehend mitzunehmen versteht und durchaus an mancher Stelle überrascht. 

In der Garderobe des Boxclubs: Gina „Gogo“ Keller (Rabea Egg, Mitte) // © ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek

Hinzu kommen diverse queere beziehungsweise lesbische Vibes, die in der Schweiz schon immer mal angedeutet worden sind. Da bleibt natürlich zu hoffen, dass das nicht nur teasing, sondern am Ende auch pleasing ist. Davon unabhängig freut es zu sehen, wie die Bekanntschaft der beiden Ermittlerinnen ausgebaut wird und vor allem Grandjean ihrer Kollegin Ott mittlerweile mehr Raum zur eigenen Entfaltung gibt. 

Keine Postkartenansichten

Etwas, das hier leider immer ein wenig nervt: Die Nachsynchronisation ist teilweise ganz, ganz furchtbar und lässt auch manch gutes Spiel schwach erscheinen. Das kann einige Zuschauer*innen sicherlich so stören, dass sie schlicht nicht einschalten und schauen wollen (…und ist der Grund, warum es hier bei the little queer review nur eine Person gibt, die diese Folgen schaut und etwas darüber schreibt). 

Die Kommissarin versucht, das Vertrauen einer wichtigen Zeugin zu gewinnen: Ronja (Lillyenne Zünd, li.) und Kommissarin Tessa Ott (Carol Schuler) // © ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek

Dabei lohnt sich das Einschalten durchaus. Dies nicht nur weil Kameramann Michael Saxer unter der Regie von Tobias Ineichen tolle Bilder des Zürichsees einfängt, die mancher So-Sieht-Die-Lebensrealität-In-Zürich-Aus-Bild entgegensteht. Nein, der Tatort: Seilschaft verknüpft sehr gut das Persönliche mit Fall, ist politisch ohne großartig tendenziös zu sein, lässt die Ermittlerinnen manches Mal ahnungslos, aber nie dämlich wirken (im Gegensatz zum Borowski der kommenden Woche. Spoiler Alert: „Wo ist denn Ihr Keller?“) und funktioniert in sich einfach gut.

AS

PS: Der Wallstein Verlag hat uns kürzlich zur Rezension das Buch Gegen die Frau. Der weltweite Kampf gegen die Emanzipation von Abram de Swaan geschickt. Auf dem Buchrücken steht: „Dieser Zugewinn an Wissen, Einkommen und auch Macht [von Frauen, Anm. d. Red.] ist für viele Männer schwer zu ertragen. Abram de Swaan zufolge führt dieses relative Schwinden der männlichen Dominanz zu sozialen und psychologischen Spannungen, die auf die Verletzung des männlichen Ehrgefühls zurückzuführen sind: eine kollektive und individuelle narzisstische Kränkung.“ Das beschreibt nicht nur dieses sicherlich lehrreiche Buch, sondern auch den Tatort: Seilschaft sehr gut. 

Verfolgen die Spur bis ins Kinderheim: Die Ermittlerinnen Tessa Ott (Carol Schuler, li.) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) // © SRF/Sava Hlavacek

Tatort: Seilschaft läuft am 30. April 2023 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend für 30 Tage in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Seilschaft; Schweiz 2022; Regie: Tobias Ineichen; Buch: Claudia Pütz, Karin Heberlein; Kamera: Michael Saxer; Musik: Fabian Römer; Darsteller*innen: Carol Schuler, Anna Pieri Zuercher, Rabea Egg, Leonardo Nigro, Lillyenne Zünd, Ariane Pochon, Veton Hamza, Elidan Arzoni, Rachel Braunschweig, Aaron Arens, Peter Jecklin, Igor Kovac, David Chrisman, Sobenna Balaban, Aaron Hitz, Marietta Jemmi, Patrick Slanzi, Cheyenne Tanner, Daniel Frei; Laufzeit ca. 88 Minuten

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