Weib, stirb leise!

„Auch heute noch wird das Motiv ‚Sorge um die Liebe‘ genannt, wenn ein Mann die Frau tötet, die ihm emotional nahesteht.“ – Andrea Petö, Das Unsagbare erzählen, S. 176.

Was bei uns landläufig als „Eifersucht“ bekannt ist, hat in Ungarn eine fast schon poetische Bezeichnung. In ihrem Buch untersucht die ungarische Forscherin Andrea Petö Vergewaltigungen und Unrecht, das primär durch die Rote Armee im besetzten Nachkriegsungarn begangen wurde. Darunter fallen vor allem sexueller Missbrauch, aber selbstverständlich auch so manch ein Leben, das Ungarinnen und Ungarn lassen mussten, weil Gewalt – sexueller oder anderer Natur – im Spiel war.

Sagen, was ist

Heute wird die Gewalt an und gegen Frauen zunehmend mit dem dennoch noch immer verhältnismäßig unbekannten Begriff „Femizid“ bezeichnet. Oft genug aber hören wir nicht diesen dramatischen Begriff, sondern es ist – ähnlich wie in Ungarn mit der „Sorge um die Liebe“ – verharmlosend von „häuslicher Gewalt“ oder einem „Beziehungs- oder Eifersuchtsdrama“ die Rede.

Damit muss Schluss sein, denn was dahintersteckt, ist nichts anderes als Gewalt gegen Frauen, Mord, Totschlag, Vergewaltigung. Das muss benannt und darüber muss gesprochen werden. Und das ist das Ziel, das sich die österreichische Journalistin und Autorin Yvonne Widler setzt. Ihr auf die österreichische Nationalhymne anspielendes Buch zu dem Thema heißt Heimat bist du toter Töchter – Warum Männer Frauen ermorden – und wir nicht mehr wegsehen dürfen und ist im Wiener Verlag Kremayr & Scheriau erschienen.

Theorie und Tobak

Das Buch folgt einer recht konsequenten Struktur: Es besteht aus sechs Kapiteln, die dezent aufeinander aufbauen, aber (dank einiger dennoch klug gewählter Querverweise mit gewissen Abstrichen) unabhängig voneinander gelesen werden können. Diesen Kapiteln vorangestellt ist jeweils ein Fallbeispiel, in dem Widler einen Femizid behandelt. Die Beispiele und die inhaltlichen Kapitel stehen dabei nicht in direktem Zusammenhang, aber lassen sich dennoch sehr gut in Kombination lesen.

Die Fallbeispiele sind dabei harter Tobak. Von einer Frau, die eine Weile gestalked, abgehört und am Ende angezündet wurde, über eine weitere, die erwürgt und mit Bodylotion und einer Socke erstickt wurde, bis hin zu Fällen, in denen Männer „nur“ auf ihre Frauen eingeprügelt oder sie mit Messern tödlich verletzt haben, findet sich hier eine große und erschreckende Bandbreite. Und nochmal: Diese Fälle haben es wirklich in sich und sind nichts für seichte Gemüter oder Gemütsverfassungen. Hierfür wertet Widler Polizeimaterial aus und spricht mit Expertinnen und Experten wie auch mit Angehörigen der getöteten und geschändeten Frauen.

Etwas tun…

In den inhaltlichen Kapiteln beschreibt Widler eine Reihe von Aspekten rund um Femizide und Gewalt gegen Frauen. Es geht um allgemeine Statistiken – Österreich ist offenbar ein überaus gefährliches Land für Frauen, die von „häuslicher Gewalt“ betroffen sind –, um staatliche Maßnahmen wie Annäherungs- und Betretungsverbote und um Ansätze, bei gefährdeten und labilen Männern Gewaltausbrüche zu verhindern. 

Sie schreibt aber auch über den Umgang mit Angehörigen sowie übe Frauenhäuser, die Bedeutung, die diese für den Schutz von Frauen haben, welche Probleme es bei der Vernetzung untereinander gibt und wo auch die Verantwortung des Staates – auch der Polizei, die dennoch mehr für das Thema „sensibilisiert“ (dieser Begriff wird auch kritisch betrachtet) werden muss – für das Individuum endet.

Stichwort Verantwortung: Auch die Medien bekommen ihr Fett weg. Wie erwähnt, oftmals werden Vorfälle in der Berichterstattung verharmlosend dargestellt oder journalistische Ethik im Zusammenhang mit Femiziden und dem Umgang mit Angehörigen einer getöteten Frau verletzt. Auch hier geht die Autorin hart mit ihrem Berufsstand ins Gericht und zeigt auf, wo auch die Vertreterinnen und Vertreter der Medien „sensibilisiert“ werden müssen. Sich selbst nimmt sie dabei nicht aus, was überaus anerkennenswert ist.

Frau am Herd?

Wie breit die Menge an Informationen und Themen, die mit Femiziden verbunden ist, wird bereits in dieser Zusammenstellung offenkundig. Das Wichtigste, das zu Yvonne Widlers Buch gesagt werden kann: dass es überhaupt verfasst und veröffentlicht wurde, denn allein dadurch verschafft es der Problematik die Öffentlichkeit, die es braucht. Femizide sind ein in der öffentlichen Debatte unterrepräsentiertes oder falsch dargestelltes Phänomen, sie sind aber so alt wie die Menschheit (oder sagen wir mal die Bibel), denn am Ende sind sie nur die Spitze dessen, was wir unter gescheiterter Gleichstellung verstehen können.

Es fängt bei gleicher Bezahlung und Entlohnung für gleiche Tätigkeiten, bei der Aufgabenteilung im Haushalt oder bei den Möglichkeiten, die Frauen im Alltag haben, an. Ganz allgemein ist das Bild der „Frau am Herd“ immer noch viel zu verbreitet und wenn ein Friedrich Merz behauptet, dass er kein Problem mit Frauen haben könne – er habe ja selbst drei davon zu Hause, dann ruft das vielmehr Fremdscham hervor als inbrünstige Zustimmung.

Die „Paschas“ und die Gleichstellung

Wenn aber derselbe Friedrich Merz in einer Talkshow auf das Gebaren „kleiner Paschas“ hinweist, mag es einen Aufschrei geben, denn hey, es kam ja aus dem Mund von Friedrich Merz. Damit fällt das unter den Generalverdacht der Misogynie und der Xenophobie. Auch das ist allerdings problematisch, denn am Ende mag an seinem Kernargument ja doch etwas dran sein.

Nein, hier möchte niemand Friedrich Merz verteidigen oder ihm recht geben, aber wenn es darum geht, dass manch junge (oder auch nicht so junge) Männer egal welcher Abstammung so erzogen werden, dass sie ein fragwürdiges Bild von Gleichberechtigung und Frauenrechten haben, dann ja, dann muss dem etwas entgegengesetzt werden.

Gleichstellung muss überall sein

Das wiederum führt uns zu Yvonne Widler. In einem Gespräch mit einer Sozialwissenschaftlerin zitiert sie diese indirekt und hier wird herausgehoben, dass „Männer, die wie kleine Prinzen erzogen wurden“ ein wesentliches Problem seien. Im Kern trifft sie damit also dieselbe Aussage wie Friedrich Merz. Das Frauenbild, das wir in unserer öffentlichen Debatte leider immer wieder finden, ist nicht nur subtil herabwürdigend. Bestimmte Familienkonstellationen begünstigen dies – und da ist es egal, ob diese einen mittel- oder osteuropäischen, einen arabischen, muslimischen oder einen Hintergrund auf dem Balkan haben.

Diese Ungleichbehandlung fängt also im Kleinen an, zieht sich aber dennoch durch das System und die öffentliche Debatte hindurch. Hier gilt es somit anzusetzen. Das heißt: gleiche Chancen für alle, unabhängig vom Geschlecht (wie auch der sexuellen Identität und Orientierung, aber das sind andere Baustellen). Bereits im Jugendalter müssen diese Werte vermittelt sowie ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass jeder Mensch dieselben Rechte besitzt. Bei der Erziehung von Kindern und vor allem Jungen sollte bereits darauf geachtet werden, ein entsprechendes Frauenbild zu vermitteln.

Dass sich auch das gesellschaftliche Bewusstsein zum Besseren wendet, deutet sich zuletzt an. Vor einem knappen Monat entschied das Bundesarbeitsgericht, dass ein Gehaltsunterschied von tausend Euro bei etwa gleicher Qualifikation zwischen Frauen und Männern nicht gerechtfertigt sei – gestern war übrigens Equal Pay Day. Und auch Frauenquoten – kein gerade schönes Mittel – zeigen immer mehr Wirkung. Es ist ein langer Weg zur wahren Gleichberechtigung von Mann und Frau (und nichtbinären Personen), aber es bleibt zu hoffen, dass das Bewusstsein, diesen Weg gehen zu wollen vielerorts steigt und die geschlechtsbasierte Diskriminierung abnimmt.

Lektüre, die aufrüttelt

Femizide – um zurück Heimat bist du toter Töchter zu kommen – mögen eine Extremform dieser Diskriminierung sein, nämlich wenn Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind. Leider gibt es aber immer wieder Fälle von solch brachialer Gewalt. Nur wenn wir darüber reden, dies nicht verharmlosen und uns mit Ursachen und Gegenmaßnahmen auseinandersetzen, kann etwas gegen „häusliche Gewalt“ oder „Beziehungsdramen“ getan werden.

Yvonne Widler macht auf erschreckende, aber dennoch anschauliche und gut nachvollziehbare Weise auf Femizide aufmerksam und regt eine Debatte über die generelle Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft an. Nicht nur für den heutigen Internationalen Frauentag, sondern überhaupt ist Heimat bist du toter Töchter also eine wichtige, unaufgeregte und reflektierte Lektüre, die aufrüttelt und einen Unterschied bewirken kann. Denn jede getötete Frau – egal, ob aus „Liebe“, Verzweiflung, Hass oder im Affekt – ist eine zu viel.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Yvonne Widler: Heimat bist du toter Töchter – Warum Männer Frauen ermorden – und wir nicht mehr wegsehen dürfen; September 2022 (2. Auflage, 2023); 256 Seiten; Hardcover, kartoniert; 978-3-218-01343-7; Kreymar & Scheriau; 24,00 €

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