In was für einer Welt leben wir eigentlich?

„Wie so viele Menschen mache ich mir große Sorgen, was für eine Welt wir unseren kleinen Erdenbürgern hinterlassen. Doch will ich nicht vor lauter Sorge um deren Zukunft die Hoffnung verlieren, denn nur wenn wir die Hoffnung und das Vertrauen in die Vernunft hochhalten, geben wir der jüngeren Generation eine starke Basis, um schwierige Zeiten überstehen zu können. Es wird auch wieder besser.“

Diese Sätze stammen von Adele Neuhauser, die im Presseheft zum heutigen Wiener Tatort: Was ist das für eine Welt gefragt wird, mit welchen Gefühlen und Gedanken sie in die Zukunft für Ihre beiden Enkelkinder blicke. Eine Frage, die ihre Figur, Major Bibi Fellner, sicherlich ein wenig patziger beantwortet hätte — vom Freund und Kollegen Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) einmal ganz zu schweigen. 

Tatort-Abrechnung mit sich selbst?

Weniger schweigsam ist in diesem von Evi Romen inszenierten Fall, der sich um den Tod von IT-Und-Lebensoptimierer-Hotshot Marlon Unger (Felix Oitzinger) dreht, die von Christina Scherrer gespielte Kriminalassistentin Meret Schande. Diese sitzt nämlich im Büro eines Psychiaters (Christian Himmelbauer) und schildert die Zusammenarbeit mit Fellner/Eisner und die Vorgänge zum letzten Fall einmal aus ihrer Sicht. Dabei wird nicht selten der Konflikt mit den aus einer gänzlich anderen Generation und Sozialisation kommenden Vorgesetzten zutage gefördert.

ARD Degeto TATORT: Moritz Eisner (Harald Krassnitzer, 3. v. re.) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser, 2. v. li.) am Tatort des ermordeten IT-Mitarbeiters Marlon Unger (Felix Oitzinger, am Boden) // © ARD Degeto/ORF/Prisma Film/Petro Domenigg

Dennoch wird dieser Wien-Tatort keine Abrechnung mit sich selbst, wie es anfangs den Eindruck macht. Stattdessen verknüpfen die Drehbuchautoren Stefan Hafner und Thomas Weingartner recht gekonnt die Kritik am Optimierungswahn diverser Arbeitgeber mit Blicken auf eine Full-Power-Generation, die aber doch gern als ein wenig zu weich gesehen wird. So wird hier also auf kleiner Flamme auch ein schwelender Generationenkonflikt debattiert. 

„In welcher Abteilung arbeiten sie eigentlich?“ – „Leib und Leben“

Dass bei all diesen sozial- und arbeitspolitischen Gedanken die Krimi-Ebene in Tatort: Was ist das für eine Welt nicht zu kurz kommt und mit dem von Valentin Postlmayr bravurös gespielten Ex-Kollegen des Erstochenen Arnold Cistota einen wunderbaren (vermeintlichen) Antagonisten hervorbringt, ist schon ein kleines Glück. Ähnlich wie in Hochwald, den Evi Romen geschrieben und umgesetzt hat, wird auch hier deutlich, dass sie sehr viel von gekonnter Schauspieler*innenführung versteht. Das sehen wir auch, während einer… Szene um ein Missverständnis zwischen Fellner und Eisner.

Moritz Eisner, Kollegin Bibi Fellner und Meret Schande (Christina Scherrer, Mitte) – die dieses Mal im Fokus steht // © ARD Degeto/ORF/Prisma Film/Petro Domenigg

Ebenso tastet der Film sich ruhig, aber nicht dröge dahin vor, was Meret Schande, die in einer Beziehung mit Jasmina Celan (die nicht-binäre Schauspielerin, Regisseurin und Kabarettistin Elena Wolff) ist, in ihrem Leben und im Rahmen der Ermittlungen antreibt. Diese erweisen sich allerdings als vertrackt, als Meret sich für die Ex-Freundin des Toten, Anna Feistinger (auch klasse: Marlene Hauser), zu interessieren beginnt.

Eigenwillig gekonnt

Natürlich kommen aber auch in diesem Figuren- und Krimi-Karussell sowohl der Humor als auch Wiener Schmäh nicht zu kurz. Vor allem wenn Eisner und Fellner den sehr speziellen Ex-Chef (Dirk Stermann) und andere Kolleg*innen befragen. Auch erwähnter Antagonist sorgt an mancher Stelle für hintergründige Lacher.

Moritz und Bibi sprechen mit Gernot Schlager (Dirk Stermann) // © ARD Degeto/ORF/Prisma Film/Petro Domenigg

Ob diese eigenwillige Mischung und manch Kniff in der Inszenierung bei allen Zuschauer*innen ankommen werden oder sie sich fragen, in was für einem Tatort bin ich hier eigentlich? Wir wissen es nicht. Sagen aber, dass dies, nach dem entsetzlichen Machwerk Die Amme, nun der vierte österreichische Tatort in Folge ist, der in sich hervorragend funktioniert und zumindest uns für die neunzig Minuten in die Handlungswelt gezogen hat. 

AS

PS: Die Musik kommt in dieser Woche von der Indie-Rock-Band Kreisky, die wir auch während eines Live-Auftritts sehen (der weit organischer daherkommt, als jener im kommenden Münsteraner Tatort: MagicMom) — wurde hier nach Sichtung des Films jedenfalls mal wieder mehr gehört.

PPS: Bibi-Fellner-Spruch der Folge: „Der hat alles, was ich einfach wegschmeißen würde, fein säuberlich in Schachteln gesammelt…“

Moritz Eisner und seine Kollegin Bibi Fellner reden über früher // © ARD Degeto/ORF/Prisma Film/Petro Domenigg

PPPS: Haben wir nicht alle Freund*innen, die früher (!) einmal Drogen nahmen? Ich frag für ne österreichische Freundin.

Tatort: Was ist das für eine Welt läuft am 26. Februar 2023 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend für 30 Tage in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Was ist das für eine Welt; Österreich 2023; Regie: Evi Romen; Drehbuch: Stefan Hafner, Thomas Weingartner; Kamera: Ioan Gavriel; Musik: Kreisky; Darsteller*innen: Adele Neuhauser, Harald Krassnitzer, Christina Scherrer, Valentin Postlmayr, Marlene Hauser, Rainer Egger, Elena Wolff, Dirk Stermann, Katja Lechthaler, Felix Oitzinger, Paul Hassler, Johanna Orsini-Rosenberg, Stefan Wancura, Christian Himmelbauer; Laufzeit: ca. 89 Minuten; Eine Produktion des ORF, hergestellt von der Prisma Film- und Fernsehproduktion GmbH – ein Lizenzerwerb der ARD Degeto für die ARD 

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