Keine Spaßunterhaltung für Systemkritiker

Heute gibt es im ZDF die ersten beiden Folgen des seriengewordenen Romans Westwall von Benedikt Gollhardt. Wir hatten die feine Gelegenheit, mit ihm sprechen zu können: Hier reden wir über den Sprung von Dramedy zum politischen Thriller, Familiengeschichten, die Geschichte des Westwalls und eine der grausamsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs, aber auch über die Verfasstheit unserer Demokratie und, wie könnte es anders sein, Homofeindlichkeit in Polen.

„Ich bin ein Chamäleon.“

the litte queer review: Wie kommen Sie und damit wir von Danni Lowinski und Türkisch für Anfänger zum Buch und zur Serie Westwall? Das ist inhaltlich nun doch recht unterschiedlich.

Benedikt Gollhardt // © Cornelis Gollhardt

Benedikt Gollhardt: [lacht] Ich habe festgestellt, dass ich eine Art Chamäleon bin, das sich im Laufe der Jahre immer mehr auf unterschiedliche Genres gestürzt hat und gar nicht so das eine ganz typische, ausschließliche Gebiet bedient. Das ist einerseits toll, weil man vielfältig ist; andererseits wird es schwierig, wenn man dann doch auf ein Gerne festgelegt wird. Das wird auch spannend, wo ich nun im Thriller-Gerne mit etwas Erfolg unterwegs, ob ich dann auch wieder was anderes machen kann. 

Angefangen hab ich mal mit einem Drehbuch für Alarm für Cobra 11, damals in den Neunzigern, als es auch noch üblich war, dass man als im Grunde Nobody mal ein Drehbuch schreiben konnte, was heute leider gar nicht mehr geht. Allerdings hatten Drehbücher damals auch noch nicht immer die Qualität, die sie heute haben müssen. 

Der Gedanke zu Westwall kam jedenfalls in der Zeit der Enthüllung der NSU-Morde, bzw. deren Selbstenttarnung. Da war dann klar, dass es nun allein mit Humor nicht getan ist und ich mich relevanteren Themen zuwenden wollte. Wobei in den Dramedys auch wichtige gesellschaftliche Themen verarbeitet wurden, so ist es nicht. Aber ich wollte mich auch wegen der spürbar steigenden Politisierung in der Gesellschaft wirklich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen.

Die Demokratie oder das Demokratieverständnis schien zu bröckeln und dadurch sei er angehalten gewesen, sich damit zu beschäftigen. Geplant sei Westwall von Anfang an als Serie gewesen, doch ließ sich hier trotz ausführlichen Konzepts und positiven Feedbacks zuerst kein Abnehmer finden, wie Autor Gollhardt ohne jede Scheu erzählt. Und häufiger fiel die Frage: „Gibt es das denn nicht als Roman?“ Da er zu der Zeit ohnehin ein wenig Abstand von der Fernsehbranche suchte, war der Entschluss einen Roman zu schreiben schnell gefasst – „Was dann auch wegen der intensiven Recherche allerdings fast zwei Jahre gedauert hat.“ Dieser Roman und sicherlich dessen nicht unbeträchtlicher Erfolg (über 40 000 verkaufte Exemplare) haben dann letztlich dazu geführt, dass nun eben doch eine Serie daraus wurde.

Ein kreatives Privileg

Benedikt Gollhardt betont allerdings, dass der Roman nun nicht die Serie in Schriftform sei, sondern in diesem natürlich mehr Figurentiefe und mehr Handlungsebenen abgebildet würden. Das wiederum sei kein Manko der Serie; eine Serie könne eben einfach nicht so viel erzählen wie ein Roman. Dazu können wir, die wir die Serie gesehen und das Buch zu lesen begonnen haben, nur sagen: Stimmt. Zumal das Übertragen eines Buches in ein Serienformat eben Anpassungen mit sich bringt. In diesem Sinne ist es ein Glück für Stoff und Zuschauer*innen, dass Roman– und Drehbuchautor ein und dieselbe Person sind.

Westwall // © ZDF/[F] Krzysztof Wiktor / [M] Serviceplan

the litte queer review: Genau das muss doch auch interessant gewesen sein: als Drehbuchautor einen Roman zu verfassen und diesen wiederum als Drehbuch adaptieren zu können. Ohnehin ein Privileg, das nicht viele Romanautor*innen haben. 

Benedikt Gollhardt: Ganz klar! Da war es natürlich auch von Vorteil, dass ich eben von Haus aus Drehbuchautor bin, auch die Produktionsfirma kannte und das alles selbst mit eintüten konnte. Das dann auch auf Wunsch des ZDF als Creator zu begleiten, die Vision des Romans auf die Serie zu übertragen, das war eine tolle Erfahrung. Dann ist es natürlich auch spannend zu sehen: Wie reagieren Leute darauf, die eher lesen würden und dann schauen oder eher schauen und dann lesen, das ist ja auch nochmals eine andere Wahrnehmung der Geschichte. Wirklich ein spannender Prozess- auch ein herausfordernder. Ein dreimonatiger Dreh plus eine etwa zweimonatige Vorbereitungsphase in Polen unter recht starken, einschränkenden Coronabedingungen, das war eine heftige Expedition [lacht]. Sehr, sehr spannend, sehr, sehr anstrengend.

Bei einer Produktion wie Westwall, die nicht nur eine Ensembleserie, sondern eben eine Großproduktion ist, da „fräst sich ein gigantischer Tross durch die Landschaft.“ Trotz des auch bei aller Vorsicht vorhandenen Risikos, das Corona eben bedeutete, meint Gollhardt, wollten eben alle dieses Projekt machen, es sei eine enorme Motivation und kreative Kraft spürbar gewesen, besonders bei der Regisseurin Isa Prahl, die in einem außergewöhnlichen Kraftakt alle sechs Folgen fantastisch inszeniert habe. Auch die Schauspieler*innen hätten sich ganz dem Projekt verschrieben, blieben über lange Zeit in Krakau, auch während der Drehpausen. So habe sich eine besonders intensive Zusammenarbeit ergeben.

Etwas, das der Serie Westwall anzusehen ist, wie wir meinen. Die Darsteller*innen verkörpern ihre Rollen, sagen nicht nur Sätze auf. Was bei der emotionalen Komplexität und einiger mehr als zwielichtiger Personen umso mehr zu begeistern vermag. 

„Die sind krass gut!“

Benedikt Gollhardt: Ja, die haben das auch wirklich gelebt. Vorneweg Emma Bading [spielt Julia Gerloff, Anm. d. Red.] und Jeanette Hain [spielt Ira Tetzel, Anm. d. Red.], Jannik Schümann [spielt Nick Limbach, Anm. d. Red.] und Devid Striesow [spielt Florian Keppler, Anm. d. Red.] auch, das ist wirklich krass gut gewesen. Jeanette Hain hat auch gesagt, dass das eines der Projekte ihres Lebens gewesen wäre, da hab ich mich wirklich sehr geehrt gefühlt. Und auch Emma und Jannik haben da alles für die Rollen gegeben. Und der Arme musste in der ersten Drehwoche mit sehr wenig Dialog fast nur durch den Wald latschen.

Ira (Jeanette Hain, 3.v.l.) und ihre Geisterarmee bereiten sich auf den Tag X vor. Von links: Jonas Bauhoff (Gustav Strunz), Ben Dilling (Lorenzo Germeno), Anni Jeschek (Nora Islei), Lenni (Maurizio Magno), Maik Radic (Elmo Anton Stratz), Kiki (Maria Matschke Engel), Lynn (Sophia Urbach) und Locke (Jeremy Miliker) // © ZDF/Krzysztof Wiktor

Benedikt Gollhardt hat auch einiges sehr Feines und Positives über den großartigen David Schütter gesagt – hier könnt ihr es nachlesen.

the litte queer review: Die Geschichte ist aber neben einem Thriller auch ein Drama, eine Familiengeschichte, oder eher eine Geschichte von verschiedenen Familienkonstellationen, Wahlfamilien und Zugehörigkeit oder eben dem Nicht-Dazugehören.

Benedikt Gollhardt: Auf jeden Fall! Für mich ist Westwall unbedingt auch eine Familiengeschichte. Da müsste gar nicht „Thriller“ drunter stehen. Weil ich glaube, ohne diese Familienkomponente wäre es einfach „just another Thriller“ und es sind diese Verstrickungen, die die Geschichte am Ende dreidimensional werden lassen. Da können wir aber nicht zu viel drüber reden, weil wir sonst die Hälfte spoilern würden [das übernehmen wir dann in unserer Besprechung *hrhr*, offensichtlich: Anm. d. Red.]. Auf jeden Fall ist Familie für die Geschichte elementar.

Auch aus schriftstellerischer Sicht ist da jenseits des Thriller-Plots am meisten rauszuholen. Und natürlich hofft man, dass das dann auch goutiert wird und sowohl Leser wie auch Zuschauer findet, die sonst vielleicht eher nicht auf die Thriller-Themen gehen.

In der Tat verknüpft die Geschichte das in Buch und Film sehr fein, Gollhardt ist ein guter Erzähler, ein über die Bande spielender Einfädler. Wir merken an, dass es etwas irritiert, dass das ZDF die Geschichte irgendwie als Liebesgeschichte mit ein wenig Verschwörung zu vermarkten scheint (vermutlich weil der Fokus auf die Jungstars Bading und Schümann gelegt werden soll), das allerdings wird der Nummer nicht gerecht, wie wir meinen. Hier weist Benedikt Gollhardt darauf hin, dass es durchaus schwer ist, auf ein „Erzähl mal die Story in einem Satz“ einzugehen, gerade durch die verschiedenen Ebenen. Klar, meint er, würde man dem Charakterensemble und der Story in ihrer Breite nicht gerecht werden können, wenn das eben für eine möglichst spoilerfreie Bewerbung eingedampft werden müsse.

Beeindruckend: David Schütter als Karl // © ZDF/Krzysztof Wiktor

Dem stimmen wir zu, hadern dennoch mit dem Fokus, den das ZDF hier auf die Beschreibung legt. Aber das mag ein*e jede*r anders sehen und sich durch eine „eine Nacht zusammen“ und  „Hakenkreuz-Tattoo“-Situation prompt angefixt fühlen. Nur für den Fall, dass nicht: Trotzdem mal reinschauen. 

Kalter Mief & Föderalfuzzis 

Darüber hinaus geht es in der Geschichte um Moral, was sind wir bereit zu geben, zu opfern. Welche Ideale rechtfertigen welche Handlungen und wie viel Persönlichkeit können wir in unsere Handlungen geben? An einer Stelle wird der von Devid Striesow gespielte Florian Keppler von seiner Vorgesetzten, ausgezeichnet verkörpert von Suzanne von Borsody, als Moralist bezeichnet. Für die letzten Moralisten ging es nicht so gut aus; so bleibt auch ein innerlich angeschlagener Keppler zurück.

Benedikt Gollhardt: So ist es eben in dieser kalten Verfassungsschutz-, dieser miefigen Beamtenwelt, in der Keppler zu Hause ist. Das habe ich dort auch so erlebt beim Verfassungsschutz – ich durfte dankenswerterweise da rein. Tatsächlich hat mich ein pensionierter Verfassungsschützer kontaktiert, der sich nach der Lektüre des Buches wunderte, wo ich das aller herhätte. Dabei habe ich nicht sooo viel mehr gemacht, als Sekundärliteratur gelesen. Verfassungsschutz ist halt nicht ein so großes Thema in der Literatur oder überhaupt in fiktionalen Medien.

Dagegen steht dann diese organische wilde Waldwelt, in der die Kids auf glühenden Kohlen gehen, im Schlamm catchen und so was alles. Diese beide Pole brauchen beide ihren Raum.

the litte queer review: In der Serie gibt es feine Momente, die die Abwägung des Erwünschten gegen das Machbare aufzeigen. Zum Beispiel wenn von „Föderalfuzzis“ die Rede ist.

Die Verfassungsschützer Florian Keppler (Devid Striesow, r.) und Dr. Gräf (Suzanne von Borsody) geraten ins Visier von Kollege Henning Badtke (Kostja Ullmann, hinten Mitte). // © ZDF/Krzysztof Wiktor

Benedikt Gollhardt: [lacht kurz auf] Ja, das ist auch so ein Triggerwort. Das zu nutzen, lässt die Leute vom Verfassungsschutz aufhorchen. Es ist halt deren Begriff, den kannte man quasi nur dort. Es vermittelt den Eindruck, als hätte ich einen immensen Einblick gehabt. Was nur bedingt so war; es ist schon eine sehr geschlossene Gesellschaft.

„Es war ein Abschlachten.“

the litte queer review: Sie haben auch am Westwall direkt recherchiert. Gedreht worden ist dort aber nichts?

Benedikt Gollhardt: Recherchiert habe ich da, das gehört definitiv auch dazu, wenn man eine solche Geschichte schreiben und aufbauen will, wie ich meine. Gedreht worden ist dort allerdings nichts, das ist alles in Polen gewesen. Die Bunker von außen sehen in der Serie aber 1:1 so aus, wie sie auch in der Eifel zu finden sind; das Innenleben ist ein wenig anders, das ist in der Serie größer. In Richtung Karlsruhe gäbe es dann aber schon wieder Bunker, das sind riesengroße Festungen, in denen es kleine Eisenbahnen gab. 

Die Höckerlinien sind so auch zum Großteil noch da. Insgesamt aber muss man sagen, von den 630 Kilometern Westwall von Holland in die Schweiz sind noch etwa drei Prozent da. Und es herrscht dort reger Tourismus. Wenn man den so genannten Westwall-Wanderweg entlanggeht trifft man auf Heerscharen aus Holland und Belgien mit ihren Familien, die sich da ein wenig historischen Grusel abholen, den dieses Monstrum an Bauwerk durchaus noch verbreitet.

Bunkeranlage am Westwall // © Benedikt Gollhardt

In der Nordeifel gab es auch eine der schrecklichsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs, die Allerseelenschlacht. Da haben die Amerikaner ab September 1944 im Hürtgenwald monatelang festgesteckt und es kam zu massiven Kampfhandlungen in dieser Stellungsschlacht, die auch mal das Verdun des Zweiten Weltkriegs genannte wird, und ein Teil dieser war die Allerseelenschlacht von Oktober bis November 1944, bei der die Nazis auch schon Kindersoldaten einsetzten und es insgesamt um die 20 000 Verluste, also Tote, zu beklagen gab [die gesamte Schlacht im Hürtgenwald zog sich noch bis in den Februar 1945; Anm. d. Red.]. Teilweise war das wirklich ein Abschlachten, also schon sehr grausam, was dort in der Gegend stattgefunden hat.

Das kann man sich heute kaum mehr vorstellen und doch ist es nur gut 70 Jahre her.

Monströs und üppig

the litte queer review: Da mag dann auch ein Format wie Westwall hilfreich sein, dass Menschen sich wieder oder auch bewusst erstmalig, damit und mit der Geschichte beschäftigen. Dass sie womöglich nach der Serie oder dem Buch sagen: „Ach, da geh ich mal tiefer ins Thema.“

Benedikt Gollhardt: Ja, und es ist auch interessant, wer das eigentlich – noch – kennt. In den ostdeutschen Bundesländern ist das weniger bekannt, hier in der Gegend ist es schon präsenter. Allerdings auch eher bei den Älteren. Wahnsinnig bekannt ist es nicht. Als würde die Auseinandersetzung damit aufhören. Wobei ich diesen Titel Westwall, der eben auch monströs klingt, schon seit bald 20 Jahren im Kopf hatte.

the litte queer review: Stimmt, monströs und üppig, was auch wieder zur Story und dem Umfang passt.

Benedikt Gollhardt: [lacht etwas] Ja, das ist wahr.

the litte queer review: Sie sprachen eben von Kindersoldaten. In der Geschichte geht es ebenfalls um Kinder und Jugendliche, sehr junge Erwachsene, die sich aber auch teils noch wie kleine Kinder verhalten. Da geht es auch nicht immer zimperlich zu und Reaktionen bspw. schon zu manch einem Tatort, in dem es auch mal um Kinder oder ihnen gar an den Kragen geht, gehen oft in die Richtung: „Oh mein Gott, nein, das kann ich nicht sehen; die armen Kinder.“ Kam Ihnen da mal die Sorge in den Kopf, dass das hier auch so sein könnte?

Benedikt Gollhardt hat im Rahmen seiner Recherche die „Höckeranlangen“ besucht // © Benedikt Gollhardt

Benedikt Gollhardt: Das kann ich natürlich sehr gut nachvollziehen. Aber ich hab da ehrlich gesagt nie so drüber nachgedacht und war auch ein bisschen überrascht, weil mir doch mehrere Leute sagten; „Boah, die ganze Story ist aber düster.“ Da ist mir das dann auch erst so richtig klar geworden. Es ist ein Unterschied, etwas zu schreiben oder es erstmalig zu lesen und zu reflektieren. Ich denke, beim Schreiben geht man ohnehin viel weiter, empfindet das auch als intensiv, leidet da aber womöglich nicht so dran, wie Leser oder Zuschauer es dann tun. 

Wirklich Sorge habe ich da aber auch nicht. Ich hätte eher Sorgen, wenn Menschen auf mich zukämen und sagen würden: „Du, deine Rechtsextremistin ist aber zu menschlich gezeichnet.“ Oder mir eine Verharmlosung unterstellen würden. Zwar will ich die „böse Seite“ auch in ihrem Menschsein zeigen, politisch aber ganz klar sagen, wo die richtige Seite ist. Ich denke aber, das ist deutlich zu erkennen. 

Erstmal wieder schreiben lernen

Wir reden ein wenig über den Folgeroman, an dem Benedikt Gollhardt derzeit arbeitet und der voraussichtlich im kommenden Herbst erscheinen wird. Er sei ein langsamer Schreiber meint er. Außerdem:

Benedikt Gollhardt: Nachdem ich den ersten Roman als Drehbuch adaptiert hatte, musste ich dann erstmal wieder monatelang lernen, als Romanautor zu funktionieren. Da liegt sehr viel dazwischen und es sind einfach zwei sehr unterschiedliche Formate. Und ich will auch keinen Mist schreiben, sondern sauber recherchierte Dinge. Wenn da einer beim Verfassungsschutz aus dem Fenster guckt, hab ich halt bei Google oder so geschaut, aus welchem Winkel kann der da was sehen. Das ist [lacht] vielleicht ein bisschen pingelig, aber ich denke, wenn man sich im politischen Sinne mit heißeren Dingen befasst, darf man da nicht schludrig sein, nicht frei Schnauze fantasieren. 

Wobei ich den Verfassungsschutz im zweiten Teil wahrscheinlich rauslasse, auch weil ich so eine Unterwanderungs- oder Verschwörungsgeschichte nicht weiter ausbauen möchte. Da blas ich sonst in ein Horn, in das ich auf keinen Fall blasen möchte. Diese Geschichte soll keine Steilvorlage für Rechtsextreme oder auch Querdenker sein; oder so für diese systemischen Systemkritiker, die einfach den ganzen Baum absägen wollen, weil da ein paar faule Früchte dranhängen. 

Ich seh den Verfassungsschutz jetzt auch nicht als bedrohlich unterwandert, dass der nicht mehr funktionstüchtig wäre. Es mag bei manchen Beamten eine Tendenz zu einer verfassungsfeindlichen Gesinnung geben, aber da jetzt noch größere, akute Umsturzbedrohungen zu zeichnen, das will ich auch nicht [wer sich übrigens ein wenig damit befassen mag, denen seien u. a. Bücher von Dirk Laabs (Staatsfeinde in Uniform, bei Econ) oder Matthias Meisner und Heike Kleffner (bspw. Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz, bei Herder) empfohlen; Anm. d. Red.]. 

the litte queer review: Das ist, denk ich, auch ein schmaler Grat: Auf der einen Seite spannend zu erzählen, da es auch die Bösen im Guten und Ambivalenzen braucht und auf der anderen Seite, auch bei einem von der Wahrheit inspirierten Hintergrund, eben nicht diese „Da-sehen-wir-es-doch“-Reaktion zu bekommen.

„Ich hab größte Sorge, dass…“

Benedikt Gollhardt: Ganz genau, ich will wie gesagt nicht, dass das dann irgendwie zur Spaßlektüre für Systemkritiker verkommt. Zumal, klar, ist es heutzutage so leicht und irgendwie cool „das System“ zu kritisieren und das geschieht auch nicht immer zu unrecht. Aber wenn wir uns mal in anderen Ländern umgucken – wie zum Beispiel in Ungarn, Polen, Russland oder noch Schlimmeres – da geht’s uns hier noch verdammt gut. 

Ich hab größte Sorge, dass wir durch eine laute Minderheit am Ende auch verlieren. Das geht wahrscheinlich schneller als man denkt. Gerade Polen ist da ein gutes Beispiel und das hab ich nun auch erst durch den Dreh erlebt. Da hatten sie gerade das unsägliche Abtreibungsgesetz verabschiedet und da haben in der katholischen Hochburg Krakau mal eben triumphierend die Kirchenglocken geläutet.

Und nun hatten wir gerade im Team auch eine Menge junge und liberale Menschen aus Polen, die dort alle noch leben müssen und wollen. Auch diese Homophobie, die dort herrscht, in der Gesellschaft befeuert und staatlich festgezurrt wird, das ist absolut schockierend, wirklich absolut schockierend. Ich war gerade erst in Warschau und dann noch auf einer Hochzeit von zwei Teammitgliedern, die sich eben bei Dreh gefunden und nun geheiratet haben. Die hatten mich eigeladen, weil ich ja irgendwie ein bisschen mit Schuld daran bin [wir lachen], das fand ich natürlich total süß.

Da waren wir jedenfalls vorher in Warschau und das ist ja schon recht queer. Aber dann fährt man ein, zwei Stunden auf’s Land raus und dann ist da Hochzeit mit Kirche und allem, und dann knien die Leute da nieder und dann weißt du halt, da möchtest du, da kannst du vermutlich gar nicht leben als queere Person. Ob nun so genannte LGBT-freie Zone oder nicht.

the litte queer review: Dort in der Gegend ist diese Verknüpfung von Kirche und Staat ohnehin eine ganz schwierige und giftige. Mal befeuert die Kirche die Abneigung und den Hass gegen queere Menschen und selbstbestimmte Frauen, mal der Staat, die andere Seite greift es auf, es wird weiter in die Gesellschaft getragen, wie Sie auch schon sagten. Also ein sich gegenseitig stützendes System von purem Hass und Menschenfeindlichkeit.

Angst und bange

Was auch so schade ist, denn im Grunde ist die Kultur, ist die Gesellschaft dort so interessant wie vielseitig und viele Gegenden sind wunderschön, Warschau, Breslau, Krakau, nicht dank, sondern auch trotz all der Kirchen. Und für viele ist es das direkte Nachbarland, da mag ein Bayer ein anderes Verhältnis zu haben als ein Berliner, aber die geographische und wirtschaftliche Nähe ist ja da.

Steht ein Benedikt Gollhardt im Wald // © Cornelis Gollhardt

Benedikt Gollhardt: Das stimmt, auf jeden Fall. Und Krakau ist eine wunderschöne Stadt. Aber der Katholizismus dort, also im Land, der kann einen wirklich angst und bange werden lassen. Wie wir hier gerade langsam versuchen auch mal ein wenig an Einfluss zurückzudrängen, es an den passenden Platz zu bekommen und auch die Vergangenheit der Kirche aufzuarbeiten, da passiert dort das genaue Gegenteil. 

Gerade mit diesem Blick, würd ich noch sagen, dass Kritik in Bezug auf unser Land durchaus manches Mal angebracht ist, wir aber immer noch in einer sehr feinen Demokratie-Blase leben. 

the litte queer review: Zumal es bei uns auch erlaubt ist, sehr weitreichende und unsachliche Kritik sehr öffentlich und ohne juristische Konsequenzen zu äußern. Da gibt es bei uns schon sehr viel Bewegungsraum. 

Benedikt Gollhardt: Absolut. Da können wir uns hier sehr glücklich schätzen. 

Wir wollen es euch nicht verschweigen: Hiernach haben wir uns noch ein wenig ausgetauscht und festgestellt, dass es noch so viel mehr zu reden gäbe. Das holen wir mit Sicherheit mal nach. Fürs Erste freuen wir hier uns über dieses offene und eindrückliche Gespräch.

Westwall ist in der ZDF-Mediathek verfügbar.

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