Am Westwall manch Neues

Beitragsbild: Julia (Emma Bading, re.) fragt sich (und ihn), wie viel Hakenkreuz-Mentalität noch in Nick (Jannik Schümann, li.) stecken mag. // © ZDF/Krzysztof Wiktor

2020 hat die Zahl politisch motivierter Gewalttaten aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum im Vergleich zum Vorjahr deutlich zugenommen. Mit der AfD sitzt eine rechtsextreme Partei, die sich in diesem Superdupermegawahljahr 2021 noch weiter radikalisiert hat, im Deutschen Bundestag, sie hat Rederecht im Plenum desselben, eigentlich ein Hort demokratischer Prozesse. Mystische Esoteriker oder esoterische Mystiker, Corona-Leugner, Querdenker und Reichsbürger geben sich nicht nur die Klinke in die Hand, sondern haben so starke Überschneidungen, dass der Blutmist gar nicht mehr zu sprudeln aufhört.

Immerhin aber ist Beate Zschäpe rechtskräftig verurteilt und die Taten wie auch die Strukturen des Nationalsozialistischen Untergrunds, NSU, sind restlos aufgeklärt. Hmm? Achso, nein, hier trifft ja lediglich der erste Punkt zu. Dass es gerade im Falle des NSU so manches Problem gab, lag nicht auch zuletzt daran, dass der Verfassungsschutz, mal salopp gesagt, irgendwie den Überblick über diverse V-Männer in der rechtsextremen Szene verloren hat (was Danger Dan hier sehr schön besungen hat).

Thriller, Drama und Familie: Der Verfassungsschutz

Hier und da planlos im Kampf gegen rechten Terror sind so manche innerhalb des deutschen Inlandsgeheimdienstes, formal Bundesamt für Verfassungsschutz, auch in Westwall, einem politischen Thriller von Benedikt Gollhardt, der 2019 als Roman erschienen, nun von ihm als sechstteilige Event-Miniserie adaptiert und von Isa Prahl umgesetzt, von heute an für 12 Monate in der ZDF-Mediathek zur Verfügung steht. Allerdings ist Westwall viel mehr, als „nur“ ein Thriller um den Geheimdienst, Unterwanderung desselben und rechten Terror. 

Die Welt is noch in Ordnung: Die Polizeischülerinnen Julia (Emma Bading, l.) und Lydia (Lorna Ishema, r.) // © ZDF/Krzysztof Wiktor

Denn Gollhardt, der mit Westwall seinen ersten Roman schrieb, zuvor unter anderem Drehbücher für Danni Lowinski, Türkisch für Anfänger, Edel & Starck und den schwulen Fußballfilm Männer wie wir verfasste und für die Serie sein Buch wiederum zum Drehbuch umschreiben durfte und gar einen Cameo-Auftritt hat, verknüpft geschickt und zumeist sehr erfolgreich Thriller, Drama und Familiengeschichten, auch im Sinne von Wahlfamilien und Zusammengehörigkeitsbedürfnissen. Da ist die Polizeischülerin Julia (Emma Bading), deren Mutter starb, als sie klein war und die regelmäßig ihren linksalternativen, querschnittsgelähmten Vater Wolfang (Karsten Antonio Mielke) besucht und eines Tages zufällig auf den mutig-mysteriösen Nick (Jannik Schümann) trifft.

Im Dunkeln

Und der ist ein Nazi und soll sie verführen. Nein, nicht ganz. Aber sie lernen einander kennen, schlafen, etwas stolpernd in Szene gesetzt, miteinander und beim gemütlichen Kuscheln entdeckt Julia statt eines Leberflecks ein riesengroßes Hakenkreuz-Tattoo auf Nicks Rücken. Schnell ist sie weg, nicht sicher, was zu tun ist. Auch ihre beste Freundin und Mitbewohnerin Lydia (Lorna Ishema) kann wenig helfen; an ihren Ausbilder Berthold Roosen (Rainer Bock) mag sie sich aber auch nicht wenden.

Florian Keppler (Devid Striesow, l.) gibt Nick (Jannik Schümann, r.) Anweisungen, wie er sich bei Julia verhalten soll. // © ZDF/Krzysztof Wiktor

Derweil hat Nick das Problem, dass er Julia irgendwie wieder für sich gewinnen muss. Denn sie zu verführen und ihr Vertrauen zu gewinnen, das war in der Tat der Plan. Allerdings nicht, um sie für rechtsterroristische Zwecke einzuspannen, sondern im Gegenteil: Nick ist Teil eines Aussteigerprogramms und ist vom Verfassungsschützer Florian Keppler (Devid Striesow) und dessen Vorgesetzter Dr. Gräf (Suzanne von Borsody) auf sie angesetzt worden. Die tappen nämlich im Dunkeln, wenn es darum geht, nachzuweisen das die Rechtsextremistin Ira Tetzel (das darstellerische Highlight der Nummer: Jeanette Hain) noch immer aktiv am Umsturz arbeitet. Ach ja, wo sie, ihr Quasi-Adjutant Karl (David Schütter) und ihre Gruppen an jungen Schergen, bestehend aus verlorenen Kindern und Jugendlichen, zu denen Nick ebenfalls einmal gehörte, nun steckt, das wissen sie auch nicht. Erschwert wird die Arbeit durch einen Maulwurf (dass dieses tolle Tier einen so unrühmlichen Ruf durch diese Bezeichnung hat…) im eigenen Haus.

Wird die Serie dem eigenen Anspruch gerecht?

So hat Westwall auf dem Papier also schon einmal alles, was ein hintergründiger, spannungsreicher und dramatischer Thriller mitbringen sollte. Zusätzlich setzt sich die Geschichte mit einem Milieu auseinander, das wir uns in Deutschland lange Zeit als marginal und unbedeutend hindrapieren wollten, nur um spätestens mit der Selbstenttarnung des NSU Gegenteiliges vor Augen geführt zu bekommen. Dass die Geschichte die rechtsterroristische Zelle Iras hier nicht nur etwas mystisch auflädt – Waldkram und so, Bäume und Natur sind schön, aber leider auch für Nazis ein wichtiges Narrativ – sondern sie auch an die vormals riesige, immer noch üppige, Westwall-Anlage der Nazis packt, hat zwei Vorteile.

Ira (Jeanette Hain) lehrt über Kohlen zu laufen, zu kochen und zu schießen – Jonas Bauhoff (Gustav Strunz) ist noch nicht ganz überzeugt // © ZDF/Krzysztof Wiktor

Zum einen schafft Autor und Serien-Creator Benedikt Gollhardt, ein Ethnologe übrigens, es so, eben jene naturverbundene, weltflüchtige Erzählung rechter Kreise zu nehmen und sie zu spiegeln, die Mechanismen zu entlarven. Zum anderen bringt er die Geschichte des Westwalls an ein Publikum heran, das möglicherweise noch nie wirklich Berührung damit hatte, eine Absicht, die er auch in einem ausführlichen Gespräch mit uns beschrieb, das wir am kommenden Samstag, 27. November, veröffentlichen werden (da laufen auch die ersten zwei Folgen der Serie im ZDF, Anfang Dezember alle Folgen auf ZDFneo).

Ira (Jeanette Hain, 3.v.l.) und ihre Geisterarmee bereiten sich auf den Tag X vor. Von links: Jonas Bauhoff (Gustav Strunz), Ben Dilling (Lorenzo Germeno), Anni Jeschek (Nora Islei), Lenni (Maurizio Magno), Maik Radic (Elmo Anton Stratz), Kiki (Maria Matschke Engel), Lynn (Sophia Urbach) und Locke (Jeremy Miliker) // © ZDF/Krzysztof Wiktor

Aber neben jeder Idee, jedem Anspruch und löblicher Absicht, muss so etwas natürlich auch in der Umsetzung funktionieren. Hier lässt sich sagen: Läuft. Zwar kommt auch eine knapp 300-minütige Serie, mit zwischendurch beinahe unzähligen Haupt- und vor allem Nebenschauplätzen, einem sehr breiten Ensemble, reichlich Tempowechseln und sich stetig veränderndem Erzählton nicht ohne Schwächen aus, doch vermögen es Autor Benedikt Gollhardt und Regisseurin Isa Prahl, uns nicht nur bei der Stange zu halten, sondern beinahe alle hier und da mal lose hängenden Stränge dann doch wieder zusammenzubringen.

Handlung und Bilder immer in Bewegung

Auch hier gibt es Ausnahmen – das mag wiederum dem Komplex der Übertragung der Geschichte vom Buch aufs bewegte Bild geschuldet sein. Es schmälert oder verrät die Erzählung Westwalls im Serienformat auch nicht, doch gibt es Momente, an denen es wundert, dass dieser Ort, jene Person oder jener Handlungspunkt nicht nochmals aufgegriffen wurde. Natürlich kann dies auch aus der Perspektive der Hauptcharaktere betrachtet werden: Ab dem Moment, in dem sie nicht mehr im Umfeld dieser Situationen agieren oder reagieren – aus welchen Gründen auch immer – sind sie eben auch nicht mehr von Belang.

Dies mag auch erst wirklich auffallen, wenn die Serie zu Ende geschaut ist, denn von ein oder zwei kleinen Längen im hinteren Mittelteil abgesehen wird die Handlung konstant vorangetrieben, auch wenn uns Momente des Durchatmens in kleinen Dosen vergönnt sind und es trotz einiger Wendungen niemals hanebüchen wird, gleichsam an ein, zwei Stellen ein wenig wirr (Stichwort: Beerdigung). Ein wesentlichen Teil dieses immer in Bewegungseins machen die teils wirklich famosen Bilder von Kameramann Andreas Köhler und die sichere, sich an den Figuren und Momenten orientierende Inszenierung von Prahl aus. Wie erwähnt gibt es hierbei einige Stimmungswechsel zu inszenieren, an so mancher Stelle ist Westwall düster, kalt und brutal, schreckt auch nicht davor zurück, die Zuschauenden direkt damit zu konfrontieren.

„Fabian, Sie sind ein Moralist“: Die Verfassungsschützenden Dr. Gräf (Suzanne von Borsody, re.) und Keppler // © ZDF/Krzysztof Wiktor

Umso spannender ist, dass Platz für Ambivalenzen und Grautöne bleibt. Nehmen wir den wirklich rechtsextremen und zumeist kaltblütigen Karl, der eben aber auch eine Geschichte und eine Persönlichkeit hat, nicht einfach nur plump böse ist. Das ist auch Schauspieler David Schütter zu verdanken, über den Benedikt Gollhardt sagt, er habe in seine Figur, „diesen Killer mit Riesenherz, wahnsinnig viel reingegeben und ist unglaublich spielfreudig.“ Ebenso gefällt es, dass Westwall, auch wenn klar ist, auf welcher Seite wir hier stehen, nie moralisierend unterwegs ist, wenn auch Keppler einmal als „Moralist“ bezeichnet wird – das aber meint etwas anderes.

Krasse Leistung überall

Wie überhaupt das ganze, fein ausgewählte Ensemble viel gibt. Der gefühlt und von uns dankbar angenommen, dauerpräsente Rainer Bock spielt seine – essenzielle und ebenfalls ambivalente – Nebenrolle des Polizeiausbilders Roosen überzeugend. Was aber auch dazu führt, dass wir uns gerade hier noch mehr gewünscht hätten, was, so der Autor, im Buch das Fall sei. Dort sei er intensiver in dessen Geschichte und was Roosen antreibe reingegangen. Es ist nun aber nicht so, dass Roosen in der Serie ein Enigma wäre, nur wünscht man sich schnell mehr.

Neben der möglichen echten Liebesgeschichte zwischen Julia und Nick-Oder-Wie-Auch-Immer-Dein-Echter-Name-Ist gibt es noch eine zweite spannende Konstellation: Nick und seinen „Handler“, dem Verfassungsschützer Keppler, in der vor allem letzterer immer kurz davor zu sein scheint, mal die Rolle des professionellen Betreuers zu überschreiten, um Buddy zu sein. Leider liegt in der Figur Nick auch eines der wenigen erzählerischen Mankos, zumindest der Serie. Sie ist wichtig, irgendwie, ist immer wieder Handlungstreiber, vieles aber, das sich entwickelt, könnte und würde ebenso passieren, wenn er nicht Teil der Geschichte wäre. Das liegt mitnichten an Jannik Schümanns überzeugender Darstellung des zwischen den Fronten Stehenden, der in dem ganzen Komplott teils weit unsicherer unterwegs ist, als die sehr entschlossene und von Emma Bading famos verkörperte Julia. Was allerdings vor allem durch die Figur Nick in die Handlung getragen wird, ist die Frage von Ver- und Misstrauen: Wie viel Wahrhaftigkeit steckt hinter einer Lüge, wer kann man sein, wenn man schon einmal jemand anderes war und all solche Fragen.

Besser als die Vermarktung

Apropos Komplott: Das ZDF lässt Westwall an mancher Stelle so klingen, als handele es sich im Grunde um eine Liebesgeschichte mit ein wenig Verschwörungstralala; an anderer Stelle, als sei es ein kalter, diabolischer Thriller um Machenschaften und Verschwörungen auf allen Ebenen à la Jason Bourne. Beides ist Blödsinn, wer sich hinsetzt und dieses oder jenes wünscht, dürfte enttäuscht werden. Andere hingegen, die meinen, dann gäbe es eben 08/15-Ware, dürften positiv überrascht sein.

Hat hier der Rechtsterrorismus zugeschlagen? Berthold Roosen und Julia // © ZDF/Krzysztof Wiktor

Denn Westwall ist wie beschrieben eine komplexe, oft recht tief gehende, zutiefst menschliche, zuweilen brutale und konfrontative, stimmungsvolle, action- und spannungsreiche, auch informative und sehr gut anzusehende Reise in manch menschlichen Abgrund, aber auch dorthin, wo es wieder heller wird. 

AS

Westwall // © ZDF/[F] Krzysztof Wiktor / [M] Serviceplan

PS: Diese Besprechung befasst sich nur mit der Serie und wurde aus einer Sicht ohne Detailkenntnisse zum Buch geschrieben. Das Buch, welches gerade in der Taschenbuchausgabe erschienen ist, werden wir ebenfalls besprechen. Im Anschluss daran gibt es noch eine Auseinandersetzung mit Buch und Serie, die dann im Gegensatz zu diesem vor Handlungsdetails explodieren wird.

PPS: Im Gespräch mit Benedikt Gollhardt, das ihr ab Samstag, 27.11.2021, bei uns lesen könnt, reden wir über den Sprung von Dramedy zum politischen Thriller, Familiengeschichten, die Geschichte des Westwalls und eine der grausamsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs, aber auch über die Verfasstheit unserer Demokratie und, wie könnte es anders sein, die Homofeindlichkeit der polnischen Regierung und Katholischen Kirche.

Alle sechs Folgen der Serie Westwall sind vom 20. November 2021 bis zum 19. November 2022 in der ZDF-Mediathek verfügbar (für einige Folgen Registrierung und Altersverifikation wegen der Freigabe ab 16 Jahren erforderlich, sonst nur von 22 bis 6 Uhr zu sehen). Das ZDF strahlt die Folgen 1 + 2 am kommenden Samstag, 27.11., ab 21:45 Uhr aus; das ZDFneo zeigt am 7. und 8.12. jeweils ab 21:45 drei Folgen.

Westwall; Deutschland 2021; Regie: Isa Prahl; Drehbuch; Benedikt Gollhardt, nach dessen gleichnamigem Roman; Kamera: Andreas Köhler; Musik: Volker Bertelmann; Darstellende: Emma Bading, Jannik Schümann, Jeanette Hain, Devid Striesow, David Schütter, Rainer Bock, Suzanne von Borsody, Karsten Antonio Mielke, Kostja Ullmann, Lorna Ishema, Gustav Strunz, Jeremy Miliker, Maria Matschke Engel, Marven Gabriel Suarez Brinkert, u. v. a.; 6 Folgen je ca. 45 Minuten; FSK 16; eine Produktion der Gaumont GmbH Köln im Auftrag des ZDF

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