Liebe Highsmith-Liebende

Beitragsbild: Patricia Highsmith, 1942, mit 21 Jahren  // © Rolf Tietgens/Courtesy of Keith De Lellis 

„Ideen fliegen mir zu wie Vögel, die ich aus dem Augenwinkel sehe. Mal versuche ich sie genauer zu betrachten und mal nicht.“ Dieser Satz Patricia Highsmiths, der manch Kreative und Schreibende vor Neid erblassen lassen dürfte, steht am Anfang der einerseits sehr eindrücklichen und doch etwas mühsamen Dokumentation Loving Highsmith der Schweizer Regisseurin Eva Vitija, die seit heute in den Kinos zu sehen ist.

Patricia Highsmith // © Courtesy Swiss Literary Archives

Grundlage der liebevoll gemachten dokumentarischen Biografie, der deutlich anzumerken ist, dass, wie Eva Vitija selber sagt, sie ein wenig verliebt in Highmsith ist und sich wünscht, dass auch wir Zuschauer:innen uns ein wenig verlieben würden, sind Tage- und Notizbücher, die Highsmith Cahiers nannte, die im Schweizerischen Literaturarchiv lagern und nach ihrem Tod 1995 in ihrem Wäscheschrank gefunden wurden. Im Oktober vergangenen Jahres ist im Zürcher Diogenes Verlag ein knapp 1 400-Seiten starkes, fein aufbereitetes, von Anna von Planta herausgegebenes Buch mit einem Teil dieser erschienen (eine Besprechung folgt).

„Schönheit, Perfektion, Vollendung,…“

In der deutschsprachigen Fassung werden Auszüge von der wunderbaren Maren Kroymann eingelesen (im Original von Gwendoline Christie) und begleiten uns wie ein zweites Narrativ durch die 80 Minuten. Dazu bekommen wir neben Archivaufnahmen aus dem Leben der aus Texas stammenden, vor allem in Europa geschätzten, zeitlebens mit ihrem Lesbisch-Sein hadernden Schriftstellerin, nicht wenige Interviewausschnitte mit und diverse Fotografien von ihr (unter anderem von Rolf Tietgens, von dem auch das Plakatmotiv, Buchcover und unser Beitragsbild stammen) zu sehen. Außerdem konnte Eva Vitija mit der Schriftstellerin Marijane Meaker, die gute Freundin und zeitweilig Geliebte Highsmiths war, der Übersetzerin Monique Buffet und der legendären, 2020 verstorbenen Tabea Blumenschein (Bildnis einer Trinkerin und natürlich Die Tödliche Doris) sprechen. Ebenso mit Verwandten – Judy, Courtney und Dan Coates – was im Mittelteil des Films, bei der Enthüllung einer Liebschaft, für einen der besten Momente sorgt. 

Wir erfahren, dass Highsmith als ungewolltes Kind ihrer abweisenden und abwesenden Mutter nie die Liebe erfuhr, die sie gewünscht und gebraucht hätte; dafür zog ihre Südstaaten-Großmutter sie in den ersten sechs Lebensjahren wohl liebevoll groß, wenn sie auch das eine oder andere rassistische Ressentiment in ihr verankerte. Etwas, das Loving Highsmith zum Ende auch (zu) kurz aufgreift; waren von der Schriftstellerin doch vor allem in späteren Lebensjahren immer wieder rassistische, antisemitische und anti-israelische Töne zu vernehmen; übrigens obwohl sie diverse Liebschaften mit Jüdinnen unterhielt. 

„… alles erreicht, alles erlebt.“

Für Menschen, die noch keinen besonderen Draht zu Highsmith, die das legendäre Zwei Fremde im Zug und natürlich die Tom-Ripley-Bücher schrieb, haben, dürfte der Film allerdings manches Mal auch aus anderen Gründen schwierig sein. Zwar erschließt sich uns nach und nach, in welchem Verhältnis die jeweiligen Gesprächspartnerinnen zu Highsmith standen, doch wann hier was wie passierte bleibt oft schleierhaft. Gerade als es um die Beziehung zu einer verheirateten Frau ging, für die sie nach England zieht, wäre ein deutlicherer zeitlicher Kontext wünschenswert.

Patricia Highsmith, um 1955 // © Ellen Rifkin Hill/Courtesy Swiss Social Archives

Dieser fehlt dafür an anderer Stelle nicht, denn über eine biografische Dokumentation hinaus, ist Loving Highsmith (im Verleih bei Salzgeber) auch eine Zeitgeschichte homosexueller und vor allem lesbischer Lebenssituation im Amerika aber auch Europa der 50er-Jahre und darüber hinaus. Heimlichkeiten, die Versuche der Konversion, erschrockene Nachbarn, freieres Leben in Frankreich, „kesse Väter“ in Berlin, … es gibt reichlich Anekdoten, die ein recht umfassendes Bild lesbischen Lebens und Liebens zeigen

„Als Nächstes kommt nur noch der Tod,…“

Buchcover Patricia Highsmith – Tage- und Notizbücher

In diesem Zusammenhang sind auch die historischen Aufnahmen Highsmiths, wie auch die sehr knappen und unterhaltsamen Einlassungen Meakers (die selber viel unter Pseudonym schrieb) hochinteressant: wenn es nämlich um den zweiten Roman, Salz und sein Preis oder besser bekannt als Carol, geht, den Highsmith unter Pseudonym veröffentlichte. Nicht nur, dass er erst reihenweise von Verlagen abgelehnt wurde, sondern vor allem war er nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, da es die erste lesbische Liebesgeschichte war, die nicht tragisch endete. 

Dieses „Mädelsbuch“, wie es immer wieder genannt wird, jedoch tat viel für lesbische Frauen wie homosexuelle Menschen allgemein in jener Zeit (und seien wir mal ehrlich: noch heute). Highsmith entwickelte hier nach einer kurzen Begegnung eigene Gedanken weiter, übernahm Motive aus ihren Tage- und Notizbüchern (die sie in verschiedenen Sprachen verfasste) und schuf so ein persönliches Werk, ohne dass es zuerst ihren Namen trug. Übrigens ist hier die bildliche Übertragung der Notizen wunderbar eingefasst, wie der Film handwerklich überhaupt sehr stimmig und stimmungsvoll ist; etwas unentschlossen ist der Rezensent in Bezug auf die Musik von Noël Akchoté, die für sich genommen wunderbar ist, jedoch an mancher Stelle deplatziert wirkt.

Wenn jedenfalls Monique Buffet erzählt, dass Patricia Highsmith nichts anbrennen ließ – „Sie hatte eine enorme Anzahl an Eroberungen. Pat hat ihr eigenes Frauenfestival veranstaltet.“ – freuen wir uns, dass sie trotz aller gesellschaftlichen und familiären Problemstellungen gelebt hat (Geld hilft sicherlich…). Etwas, das die später eher einsiedlerisch mit Katzen und Schnecken im Tessin lebende Autorin, die sich ebenso wie ihrer Arbeit auch dem Alkoholismus verschrieb, selber wusste und wohl auch zu schätzen wusste. Andererseits schrieb sie auch: „In Paris, als ich anfing das Leben um des Lebens Willen zu genießen, das war der Anfang vom Ende für mich.“

„…nur einen Schritt entfernt.“

So begegnen wir in Loving Highsmith einer Frau, die ihre Fragen zur eigenen Identität und ihrer Lebenssituation immer wieder auch verarbeitet, was wenig überraschend ist, aber doch jedes Mal interessant. Von den gezeigten Weggefährtinnen und Geliebten wird sie als gute Freundin, unprätentiöse Frau und teils selbstlose Persönlichkeit beschrieben, was sicherlich im Kontrast zum sonst oft von ihr kolportierten Bild als eher schwieriger und zumindest später auch bitterer Person steht. Wieso aber soll nicht beides möglich sein? 

Die junge Patricia Highsmith: „Ich hatte ‚gruselige‘ Ideen seit ich 16, 17 Jahre alt war.“ // © Courtesy Family Archives

„Es gelang Highsmith zwar diese Themen in ihrem Werk meisterlich zu transzendieren, doch sie haben wohl ihren Liebesbeziehungen geschadet. Die meisten endeten enttäuschend“, sagt Regisseurin Eva Vitija und vermittelt dieses Persönliche in den Geschichten auch immer wieder durch die Verknüpfung ihrer gewählten Film-, Interview- und Tagebuchausschnitte. Dennoch mag es für Menschen, die wie erwähnt noch keinen starken Bezug zu ihr haben, schwerfallen, den Charme in der Sache zu sehen. Oder anders: Um Highsmith erstmalig kennenzulernen, mag diese „filmische Liebesbiografie“ nicht unbedingt taugen. Für Freund:innen ihrer Arbeit und stark an ihr und ihrem Leben Interessierte hingegen, dürfte Loving Highsmith ein Muss, ein Fest und genau die richtige „Liebesbiografie“ sein.

AS

Loving Highsmith läuft ab heute, 7. April 2022, in den deutschen Kinos; Trailer, Termine und Orte findet ihr bei Salzgeber (ebenso interessante biografische Informationen, die manches einzuordnen vermögen).

Loving Highsmith; Schweiz/Deutschland 2022; Regie: Eva Vitija; Kamera: Siri Klug; Musik: Noël Akchoté; Darsteller:innen: Maren Kroymann (Leserin Tagebuchauszüge), Marijane Meaker, Monique Buffet, Tabea Blumenschein, Judy Coates, Courtney Coates Blackman, Dan Coates; Laufzeit: ca. 83 Minuten; deutsche Fassung, teilweise mit deutschen Untertiteln; eine Produktion der Ensemble Film in Koproduktion mit Lichtblick Film, arte/ZDF, SRF, RSI im Verleih von Salzgeber

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