Augen auf beim Indieluftgucken

Ob gebürtig aus Berlin, zugezogen, als Expat auf Dauerbesuch (hierzu mal Die Perfektionen lesen) oder mal kurz für einen Austausch: Es gab vor so  zehn Jahren eine Zeit, da kannte wohl beinahe jede*r in dieser Stadt (und eine Menge Leute darüber hinaus) die von Joab Nist gegründete Seite Notes of Berlin und ihre Social-Media-Präsenz (vor allem auf Facebook) kannte. Wie es so ist mit Phänomenen: Der Hype ist abgeebbt. Ebenso wie die teils berlintypischen Notizzettel ist der Blog aber noch da, inzwischen mehr Unternehmen als Community wie es scheint. Auch cool. Glückwunsch.

Aus Zetteln mach Episoden

Manche der gezeigten Notes waren beinahe hysterisch komisch, andere irgendwie ein wenig bedrückend, viele belanglos und gerade dadurch heiter und nicht wenige schienen auszudrücken, wie es um das Nachbarschaftsgefüge in manch einem Bezirk, Kiez, Straßenstück bestellt ist. So etwas Organisches und in der Tat Echtes auf eine fiktive Kunstform zu übertragen, ist nicht einfach. 2020 hat Regisseurin Mariejosephin Schneider das gemeinsam mit ihrem Co-Autoren Thomas Gerhold in dem Episodenfilm namens, na…? Richtig: Notes of Berlin allerdings gewagt. 

Baader (Fee) hat genug davon, von seinem Herrchen für politische Aktionen benutzt zu werden, steigt kurzerhand alleine in die Tram und erkundet auf eigene Pfote die Stadt // © rbb/Darling Berlin/UCM.ONE

Im Grunde folgen wir in ihrem Debütfilm als Zuschauer*innen in 15 Momentaufnahmen der Stadt Berlin über 24 Stunden vom frühesten Morgen an über den Tag, die folgende Nacht, bis wir wieder beim aufgehenden Morgen landen. Als Roter Faden ziehen sich Notizen durch diesen Film, die allesamt echt seien, wie es zu Beginn des gut neunzig minütigen Films heißt. Das zu glauben fällt natürlich nicht schwer. Nicht selten verknüpfen die Zettel die Geschichten und beziehen sich auf das zuvor Gesehene und/oder nun Folgende.

Mutterschaft und KANINCHEN HASE

Manche schlagen einen Bogen zueinander. So etwa die erste mit Paul Boche, die zu den drastischsten und schwarzhumorigsten gehört, und eine in der Mitte mit Andrea Sawatzki, die zu den tragischsten und berührendsten gehört (dabei aber doch irgendwie sehr „installiert“ wirkt). Auch die Suche nach dem Vater eines ungeborenen Kindes wird sich mit einer Erzählung um eben diesen verbinden. Jene Episode in der Selma (Yeliz Simsek) und ihre Mutter (Jale Arikan) in einem türkischen Café mit anderen Gästen über die Freiheit von Frauen und die Möglichkeit über den eigenen Körper zu bestimmen, streiten, gehört zu den Highlights. 

Tom Lass als Einzelgänger Alex, der Menschen trifft // © rbb/Darling Berlin/UCM.ONE

Die Geschichte um Kindsvater Rawad (Warsama Guled) ist gut inszeniert, sieht aber eher so aus, als käme sie aus einem mittelstarken Berliner Tatort. Ein weiteres Hoch in Notes of Berlin hingegen ist ein WG-Casting, das in der Tat und nur dezent überspitzt sehr wohl den Ton der Stadt trifft und durch eine famose Performance von Katja Sallay in Erinnerung bleibt. Auch Tom Lass (der kürzlich den Tatort: Lenas Tante inszenierte) als Einzelgänger Alex, der durch ein entlaufenes „KANINCHEN HASE“ mal sein Haus kennenlernt, ist fein.

Ähnlich wie die Original-Notizen (also quasi die OG-Notes), will auch Mariejosephin Schneider in ihrem Stadt-Anekdoten-Film wohl Komisches, Abseitiges, Stilles, Bedrückendes, belanglos Heiteres und Suchendes abbilden. Allein es will nur bedingt gelingen. Wie erwähnt bleibt manches erinnerlich, aber das meiste habe ich kurz nach dem Anschauen bereits wieder vergessen. Das ist dann nicht fröhliche Belanglosigkeit, sondern einfach nur noch Trivialität. 

Inhaltlich und wörtlich verfahren

Dass in Episodenfilmen durch Stil-, Stimmungs- und Tonwechsel ein Auf und Ab eingepreist ist, ist klar. Hier aber wirkt nicht Weniges so, als sei es extra auf Erinnerlichkeit getrimmt worden. Worunter eben die organische Originalität leidet. Dass es auch kaum funktioniert, macht’s umso unnötiger. Hinzu kommt, dass vieles eben nicht typisch Berlin wirkt oder schlicht ist. Dass viele, viele der Momente und Begegnungen in nahezu jeder x-beliebigen Großstadt spielen könnten, zeigt schon die Notwendigkeit, ständig Berlinbilder mit allen möglichen Wahrzeichen zeigen zu wollen oder zu müssen. Sich nur im Innenstadtbereich (also innerhalb des S-Bahn-Rings) zu bewegen, macht die Stadt auch arg klein und Notes of Berlin zu einem Klientelfilm (*winkwink*).

Die Ur-Berlinerin Rosa (Katja Salay) sucht dringend eine Bleibe und gerät dabei in ein WG-Casting der etwas anderen Art // © rbb/Darling Berlin/UCM.ONE

Und auch hier wieder der Fauxpas aller Fauxpas’ in Berlin-Filmen: Wege nehmen, die kein Mensch, je nehmen würde. Wenn Menschen rechts abbiegen und an einem Ziel landen, das sie nur übers Linksabbiegen erreichen könnten, ist das ärgerlich. Irgendwelchen internationalen Produktionen mag das verziehen werden können (naja). Die fucking Oberbaumbrücke muss halt gezeigt werden, auch wenn es von Charlottenburg nach Spandau geht. Aber in einem Berlin-Berlin-Film der Notes of Berlin heißt? Nee, sorry. Nee.

Kaum Queerness, kein Berlinern

Gut gezeigt wird hingegen, dass Berlin eine Stadt mit vielen und sehr facettenreichen Menschen ist. Auch wie multikulturell sie ist, bildet das Autor*innen-Duo gut ab. Was fehlt, ist die Queerness. Es gibt zwar eine nette, recht unterhaltsame Episode um Drag Queen Miriam (Holger Behr) und die schüchterne Stella (Stella Musell). Leider entwickelt diese sich aber zu Drag Queen hilft Mädchen aus ihrer Schale auszubrechen. Das ist so künstlich wie klischeehaft. Und als einzige queere Szene im Film zu wenig, dit is nämlich nich’ Balin. Berlinert wird übrigens auch so gut wie gar nicht, alle deutsch Sprechenden sprechen perfektes Hochdeutsch (außer sie lallen). Ist dieser Berlin-Film also für alle außer Berliner*innen? Who knows, who cares?!

Miriam (Holger Behr), die Queen von Berlin, interpretiert in einem Nachtclub hinreißend schön Marlene Dietrichs Klassiker „Johnny, wenn du Geburtstag hast“ zu Ehren ihres Schützlings Stella // © rbb/Darling Berlin/UCM.ONE

Am Ende der Filmanekdoten dachte sich der Rezensent: Das ist wie nach einer Partynacht, die mit einer Feier in einer Wohngemeinschaft begann, in der die Bewohner*innen mehr aus Not denn aus Wunsch zusammenwohnen und in einem Club endete, der irgendwo zwischen Mainstream, Hipsterness und Underground zu arbeiten versucht und dabei nicht cool irritiert, sondern eher anödet: Es ist ganz schön, nun heimzugehen und sich auf die Katerpizza am späten Mittag zu freuen.

AS

PS: Die Szene in der Kunstgalerie ist fein. Aus der ließe sich ein guter Film machen.

PPS: Ist die Aussage am Ende des Films eigentlich „Zettel töten“?

Das Erste zeigt Notes of Berlin im Rahmen der Reihe Debüt im Ersten in der Nacht von Sonntag auf Montag um 00:05 Uhr; anschließend steht er zwei Monate in der ARD-Mediathek zur Verfügung.

Notes of Berlin; Deutschland 2020; Buch: Mariejosephin Schneider, Thomas Gerhold; Regie: Mariejosephin Schneider; Bildgestaltung: Carmen Treichl; Musik: Rafael Triebel, Fabian Saul; Darsteller*innen: Paul Boche, Louit Lippstreu, Lana Ellenrieder, Gareth Lennon, Olivia Kundisch, Bartholomew Sammut, Axel Werner, Katja Sallay, Zoe Steinbrenner, Matus Krajnak, Ardian Hartono, Malwina Senkiw, Yeliz Simsek, Jale Arikan, Nisan Arikan, Gizem Cetin, Şükriye Dönmez, Attila Kabuk, Ali Ekber, Hasan H. Tasgin, Helena Abay, Asil Aydin, Resit Ballikaya, Mex Schlüpfer, Stephanie Stremler, Tom Lass, Marko Dyrlich, Maria Mägdefrau, Taneshia Abt, Andrea Sawatzki, Leopold Altenburg, Frizzipina Schneider, Edgar Harter, Marc Philipps, Holger Behr, Stella Musell, Sandra Julia Reils, Maximilian Gehrlinger, Gernot Kunert, Sean Black, Warsama Guled, Alexander Martschewski, Ben Gibson, Frederik von Lüttichau, Nizam Namidar, Richard Dreher, Alaaddin Kemec; Laufzeit ca. 100 Minuten; FSK: 12; Entstanden im Rahmen der Initiative LEUCHTSTOFF von rbb und Medienboard Berlin-Brandenburg.

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